Bergedorf. 1898 berichtet unsere Zeitung über den Abriss großer Teile des Bergedorfer Wahrzeichens. Im neuen Park tritt Erstaunliches zutage.

Im August 1892 platzt Bergedorfs Bürgerverein der Kragen: Auch 25 Jahre nachdem Bergedorf zur eigenständigen Stadt im Land Hamburg geworden war, nagt der Zahn der Zeit so massiv am Schloss, dass Bergedorfs Wahrzeichen, Sitz von Bürgermeister, Verwaltung und Amtsgericht, in weiten Teilen akut einsturzgefährdet ist. Außerdem sehen die Vereinsmitglieder eine Umgebung aus alten Wallanlagen, die teils verwildert, teils zum Obst- und Gemüseacker umgestaltet sind und die einzig repräsentative Wiese vor dem Schloss auch noch als Lager- und Trockenplatz an einen Bierbrauer verpachtet war.

Ein Zustand, der einer Hamburger Landgemeinde nicht würdig war, befand der Bürgerverein und mit ihm die Bergedorfer Zeitung, zumal in der Hansestadt zu dieser Zeit gerade viele alte herrschaftliche Gärten zu öffentlichen Parks umgestaltet wurden. Seinen Antrag an die Hamburger Finanz-Deputation begründete der Bürgerverein so: „Den Bewohnern der Stadt Bergedorf fehlt ein solch gesunder, freier Ort, an welchem sie sich werktags, wenn sie einmal ein freies Stündchen haben, in reiner frischer Luft erholen können. Zu einem Gang auf dem Gojenberg oder Bergedorfer Gehölz aber fehlt ihnen am Werktage die Zeit. Dagegen würde ihnen der Schlossgarten sehr bequem liegen.“

„Der Schlossgarten wird eine Brutstätte für Unfug und Liederlichkeit werden“

Im Dezember lehnte Hamburgs Finanzdeputation das zwar zunächst mit dem Hinweis ab, dass Bergedorf viel zu klein für einen öffentlichen Park sei: „Der Schlossgarten wird über Tage vielleicht von einem halben Dutzend Kindermädchen besucht werden, abends aber wieder losem Volk, namentlich Liebespaaren zum Aufenthalt dienen. Der Garten liegt recht abgelegen, er würde bald eine wahre Brutstätte für Unfug und Liederlichkeit werden.“

Doch trotzdem sollte der Vorstoß des Bergedorfer Bürgervereins nach vielen Jahrzehnten, eigentlich sogar Jahrhunderten des Verfalls von Schloss und Wallanlagen das Eis brechen. Denn er fand in der ebenso pragmatischen wie mächtigen Hamburger Baudeputation um ihren Chef, den Oberingenieur Franz Andreas Meyer, quasi einem Vorgänger der späteren Oberbaudirektoren, einen mächtigen Fürsprecher. Schließlich ging es darum, der durch die Industrialisierung rasant wachsenden Bergedorfer Bevölkerung nach dem Verwerfen von Neubauplänen für ein Stadthaus einen adäquaten Verwaltungssitz im Schloss zu schaffen – samt attraktiver Umgebung.

Alte Wallanlagen und Privatgarten des Amtsverwalters werden öffentlicher Park

Schneller, weil deutlich kostengünstiger, klappte die Umgestaltung der alten Wallanlangen und Privatgärten des Amtsverwalters. Diesen Posten hatten die Hansestädte Hamburg und Lübeck quasi als Statthalter geschaffen, nachdem sie 1420 Bergedorf und seine Wasserburg, das heutige Schloss, erobert hatten. Als Hamburg 1867/68 den Lübecker Anteil Bergedorfs für umgerechnet fünf Millionen Euro kaufte, wurde der Amtsverwalter abgeschafft. Ins Schloss zogen jetzt der Bürgermeister samt Stadtverwaltung sowie die Hamburger Landherrenschaft für die übergeordnete Verwaltung ein. Und auch das Amtsgericht blieb hier.

Historisierender Rückblick: Ölgemälde aus 1899 von Friedrich Grotemeyer zur friedlichen Übergabe des Bergedorfer Schlosses nach der Eroberung durch Hamburg und Lübeck im Jahr 1420.
Historisierender Rückblick: Ölgemälde aus 1899 von Friedrich Grotemeyer zur friedlichen Übergabe des Bergedorfer Schlosses nach der Eroberung durch Hamburg und Lübeck im Jahr 1420. © Kultur- & Geschichtskontor | Kultur- & Geschichtskontor

Das so vom Sitz der Obrigkeit zu einem bürgerlichen Herz Bergedorfs gewordene Schloss sollte auch von einem öffentlichen Park umgeben werden, fand die Baudeputation. Dafür wurden im Jahr 1896 Teile der Wassergräben zugeschüttet, repräsentative Beete, Grünflächen, Brücken und Fußwege angelegt. Am 28. Mai 1896 meldete unsere Zeitung: „Der Schlossgarten ist fertig.“

Bergedorf hat „einen prächtigen Anziehungspunkt“ erhalten

Wie der neue Schlosspark bei den Bergedorfer Bürgern ankam, berichtet unsere Zeitung knapp vier Monate später, als Franz Andreas Meyer am 15. September einen Bergedorf-Ausflug des Hamburger Architekten- und Ingenieurvereins nutzt, um den Schlosspark offiziell einzuweihen. Bergedorfs Ratmann Soltau wird zitiert mit den Worten, dass „der Schlossgarten in seinem früheren verwahrlosten Zustande ein Schmerzenskind Bergedorfs“ gewesen sei. „Jetzt sieht aber jeder Bergedorfer mit Stolz auf diese Schöpfung. Der Schlosspark gilt jetzt als Perle Bergedorfs.“

Dieser Lageplan der Hamburger Baudeputation zeigt das Schloss und seine Umgebung 1897, als der Schlosspark gerade fertiggestellt war. Darauf ist auch ein „Lagerplatz
Dieser Lageplan der Hamburger Baudeputation zeigt das Schloss und seine Umgebung 1897, als der Schlosspark gerade fertiggestellt war. Darauf ist auch ein „Lagerplatz" für Baumaterialien zu sehen – ein Vorgriff auf die im Winter 1897/98 bevorstehenden Abriss- und Neubauarbeiten des Schlosses. © Bergedorf-Museum | Hamburger Baudeputation

Besonders wichtig scheint unserer Zeitung aber auch das positive Urteil der angereisten Mitglieder des Hamburger Architekten- und Ingenieurvereins gewesen zu sein: „Beim Rundgang durch den Park fand dessen künstlerische Umgestaltung allgemeine Anerkennung und Verwunderung.“ Bergedorf habe „einen prächtigen Anziehungspunkt“ erhalten. Und bei der Abreise der Gäste „erglänzten der Schlosspark und das Schloss in bengalischem Lichte, welches sich in der vorüberfließenden Bille zauberhaft widerspiegelte. Hochbefriedigt über die hier bereiteten Stunden kehrte die Gesellschaft nach Hamburg zurück.“

Teilneubau des Schlosses sorgt für Chaos – vor allem im Amtsgericht

Deutlich weniger erfreut waren die Bergedorfer über die umfangreiche Umgestaltung ihres Schlosses, die nach jahrelanger Verzögerung im Winter 1897/98 begann und radikal ausfiel: Obwohl Verwaltung und Amtsgericht einschließlich ihrer Tagungs- beziehungsweise Verhandlungszimmer weiter im Schloss blieben, wurde der Nordost-Flügel (Seite zur Ernst-Mantius-Straße) komplett und der Südost-Flügel (Seite zum Vinhagenweg) zu großen Teilen abgerissen. Hinzu kamen auch in den anderen Bereichen umfangreiche Dach-, Fassaden- und vor allem auch Innenarbeiten.

Blick aus der Vogelperspektive auf das Bergedorfer Schloss: Der hintere, sogenannte Nordost-Flügel wurde 1897/98 komplett neu gebaut, der Flügel im Südosten (rechts) in großen Teilen erneuert.
Blick aus der Vogelperspektive auf das Bergedorfer Schloss: Der hintere, sogenannte Nordost-Flügel wurde 1897/98 komplett neu gebaut, der Flügel im Südosten (rechts) in großen Teilen erneuert. © NEWS & ART | Carsten Neff

Das Chaos bei laufendem Verwaltungs- und Gerichtsbetrieb beschreibt unsere Zeitung am 20. September 1898 ungewöhnlich deutlich: „Die Zimmer für das Amtsgericht sind auseinandergerissen und schwer zu finden. Der Eingang in das Sitzungszimmer, in dem auch die Gerichtsverhandlungen stattfinden, ist durch Bretterverschläge ganz verdeckt. Die Bänke in der Vordiele, die gleichzeitig als Wartezimmer dient, sind so voll Schmutz, dass niemand es wagen kann, sich dort niederzulassen. Wagt jemand, ein Fenster zu öffnen, dringt statt frischer Luft eine dicke Staubwolke ins Zimmer, die alles beschmutzt und die darin befindlichen Personen unkenntlich macht.“

Neues Landherrenzimmer wie „eine komfortable Vierländer Bauernstube“

Und es kommt noch schlimmer: „Die Zustände beim Umbau des Schlosses werden nun geradezu unhaltbar“, berichten wir drei Wochen später, am 9. Oktober. „Die Baudeputation scheint auf das in den Räumen des Amtsgerichts verkehrende Publikum absolut keine Rücksicht zu nehmen. Nicht einmal hat man dafür gesorgt, einen Platz für Leidende zum Warten herzurichten, wo diese vor Kälte und Zug geschützt sind. Und die Sitzungen des Schöffengerichts werden jetzt so abgehalten, dass sich das Gericht nicht zur Beratung zurückzieht. Sondern alle anderen müssen den Raum verlassen und auf dem kalten Korridor oder auf dem Schlosshof warten, bis die Beratung beendet ist. Es wäre wirklich an der Zeit, dass das Amtsgericht ernsthaft gegen das Verfahren der Baudeputation Protest einlegt.“

Frühjahr 1898: Das Fundament für den Neubau des Nordost-Flügels und des massiven Turms vom Bergedorfer Schloss wird gelegt. Dafür war der baufällige Vorgänger von 1467 abgerissen worden.
Frühjahr 1898: Das Fundament für den Neubau des Nordost-Flügels und des massiven Turms vom Bergedorfer Schloss wird gelegt. Dafür war der baufällige Vorgänger von 1467 abgerissen worden. © Bergedorf-Museum | Bergedorf-Museum

Dazu kam es nicht – auch weil die wesentlichen Arbeiten an den Fassaden und auch die Neubauten der beiden Schlossflügel im November 1898 beendet waren. Der Abschluss des Innenausbaus ist einschließlich der Premiere einer elektrischen Beleuchtung im April 1899 erreicht – auch wenn sich die Nacharbeiten und vor allem die Frage der angemessenen Möblierung noch bis ins Jahr 1901 hinziehen: „Das mit einem bedeutenden Kostenaufwande eingerichtete Dienstzimmer des Landherrn im Schlosse ist bis auf die Legung des Fußbodens vollendet“, berichtet die Bergedorfer Zeitung am 13. Oktober 1901, um nicht ohne Stolz hinzuzufügen: „Es präsentiert sich nun als eine unter Zuhilfenahme der modernen Technik und des Kunstgewerbes geschaffene komfortable Vierländer Bauernstube.“

Sanierung des Schlosses läuft 1897/98 noch ganz ohne Gedanken an Denkmalschutz

Gut drei Jahre zuvor, am 1. Juli 1898, war das Richtfest für den Neubau des Nordostflügels des Schlosses in einer eher unspektakulären kleinen Feier mit Pastor, Amtsrichter, zuständigem Hamburger Senator, Bergedorfer Bürgermeister und Ratsmitgliedern begangen worden. Damals entstanden auch der heutige Zugang zum Schloss sowie der massive, wehrhaft wirkende Turm direkt daneben, der an Stelle des 1816 eingestürzten Zwingers errichtet wurde. Er hat aber gar keine Verteidigungsfunktion, sondern beherbergt nur ein komfortables Treppenhaus.

Markant, aber gar nicht historisch: Der massive Turm gleich neben dem Schlosseingang im Norden ist erst bei den Umbauten 1897/98 entstanden und beherbergt lediglich ein Treppenhaus.
Markant, aber gar nicht historisch: Der massive Turm gleich neben dem Schlosseingang im Norden ist erst bei den Umbauten 1897/98 entstanden und beherbergt lediglich ein Treppenhaus. © BGZ | Levi Roock

Kritiker bemängeln, dass bei diesem Turm und vor allem den beiden neu gebauten Flügeln des Schlosses keinerlei Gedanken an den Denkmalschutz verschwendet wurden. Immerhin fielen für sie historisch wertvolle Teile des Schlosses aus den Jahren 1467 (Nordost-Flügel) und 1589 (Südost-Flügel). Um sie zu retten, waren die lange ersehnten Sanierungsarbeiten tatsächlich zu früh gestartet: Erst Ende des 19. Jahrhunderts begann Hamburg mit der Erfassung seiner Baudenkmäler. Das Hamburger Baupflegegesetz trat 1912 in Kraft, das Denkmalschutzamt wurde 1920 gegründet – gerade eben zu spät für die Rettung der ältesten Teile des Bergedorfer Schlosses.

Massive Umgestaltungen fördern Reste von zwei alten Zugbrücken zutage

Dafür förderten die tiefen Eingriffe in die Baustruktur des Schlosses ebenso wie die komplette Umgestaltung der alten Wallanlagen aber auch Beeindruckendes zutage: „Beim Ausschachten der Fundamentgruben direkt beim Torbogen des Schlosses wurden Schwellen aus Eichenholz ausgegraben, die in früherer Zeit der damals hier vorhandenen Zugbrücke gedient hatten“, berichtet unsere Zeitung am 25. Oktober 1898. „Die ganze Breite des Fundaments betrug 3,80 Meter. Diese Zugbrücke müsste man passieren, wollte man das Innere des Schlosses betreten. Die Außenmauern des Schlosses waren in früherer Zeit von Wasser umgeben.“

Und die einst wehrhaften Verteidigungsanlagen, die 1420 immerhin der Belagerung des 4000 Mann starken Söldnerheeres der Hansestädte eine ganze Woche bis zur friedlichen Übergabe des Schlosses standhielten, hatten sogar noch eine zweite Zugbrücke: „Nunmehr hat man auch die hölzernen Pfähle und Schwellen bloßgelegt, die zu der Zugbrücke gehörten, die über den äußeren Schlossgraben den Zugang vom Schloss über den Festungswall nach der Stadt bildete. Die Entfernung der inneren Schwelle bis zur äußeren beträgt hier 6,30 Meter. Dies wird demnach die Breite des äußeren Schlossgrabens gewesen sein.“

Teile dieses äußeren Wassergrabens sind heute noch neben der Bergedorfer Schlossstraße zu erkennen. Doch wo die Reste der Brücken nach ihrer Entdeckung gelandet sind, verrät der Artikel in unserer Zeitung nicht. Er endet mit dem Worten: „Die Konstruktion der alten Brücken ist bei beiden gleich: Auf eingerammten Pfählen ruhen die eichenen Schwellen. Letztere sind noch sehr gut erhalten.“ Für die Nachwelt gesichert wurden sie offenbar nicht.