Bergedorf. Er hatte schon den Untertitel Bergedorfer Zeitung: Wie der „Courier“ vor 156 Jahren berichtete, als Bergedorf hamburgisch wurde.
Es ist eines der wichtigsten Jahre in der Geschichte Bergedorfs, das der zweitälteste Band im Archiv unserer Zeitung beschreibt: 1867 kaufte Hamburg das sogenannte Amt Bergedorf mit seinem 3131 Einwohner kleinen „Städtchen“, den Vierlanden und der „Dorfschaft Geesthacht“. Gerade noch rechtzeitig zum Beginn der industriellen Revolution sollte das der entscheidende Schritt werden, um Bergedorf aus seinem fast 450 Jahre dauernden mittelalterlichem Dornröschenschlaf zu erwecken und binnen weniger Jahre zu einer selbstbewussten, aufstrebenden Stadt zu machen.
Die Zeitung verfolgte das im Jahr 1867 aufmerksam, wenn auch nur auf wenigen Seiten: Der erstaunlich erfolgreiche Verleger und Redakteur Christoph Marquard Ed hatte Bergedorf zwei Jahre zuvor verlassen und war samt seiner „Eisenbahn-Zeitung“ nach Lübeck übergesiedelt. Ihm folgte der wirtschaftlich weit weniger glücklich agierende „Nordische Courier“, der erst von einer Buchdrucker-Genossenschaft herausgegeben wurde und ab 1. Oktober 1866 dann – erstmals mit dem Untertitel Bergedorfer Zeitung – von einer Aktiengesellschaft „hiesiger Bürger“, wie es in alten Chroniken heißt.
150 Jahre Bergedorfer Zeitung: Im „Sprechsaal“ diskutieren die Leser
Ihnen gelang es, das Blatt täglich außer montags erscheinen zu lassen, oft nur mit zwei, manchmal immerhin mit vier Seiten. Wie schon bei Christoph Marquard Ed wurde der Schwerpunkt im „Nordischen Courier“ auf nationale und internationale Nachrichten gelegt, dazu manche Meldung aus Hamburg und ein vergleichsweise üppiger Zeitungsroman. Berichte über Bergedorfer Ereignisse sind selten zu finden – mit Ausnahme einiger Bürger-Kommentare zum anstehenden Verkauf des ganzen Landstrichs.
Der sogenannte „Sprechsaal“ gibt über das Jahr verteilt verschiedene Einblicke in die Gefühlslage der Bergedorfer. Sie äußern sich zu einem Vorgang, der in der deutschen Geschichte nahezu einmalig ist: Seit 1857 schon hatte sich der Lübecker Senat mit dem der Schwesterstadt Hamburg darüber ausgetauscht und gestritten, wie er aus dem gemeinsamen Besitz Bergedorfs aussteigen könnte. Beide Hansestädte hatten den Landstrich nämlich 1420 im Zuge der Reinigung ihrer Handelswege von sogenannten „Raubrittern“ gemeinsam erobert und seither auch gemeinsam besessen sowie verwaltet.
Lübeck wollte seinen halben Anteil an Bergedorf seit 1866 zu Geld machen
Fast 450 Jahre später war Lübeck nun hoch verschuldet und wollte Bergedorf zu Geld machen. Nach turbulenten Verhandlungen, die sich vom Sommer 1866 bis zum Juli 1867 hinzogen, unterzeichneten beide Seiten am 8. August schließlich den Vertrag. Er schrieb fest, dass Lübeck seine ideelle Bergedorfer Hälfte zum 31. Dezember 1867 an Hamburg verkauft. Der Preis: 200.000 Goldtaler, umgerechnet fünf Millionen Euro.
Die Bergedorfer selbst hatten in diesen Verhandlungen zu keinem Zeitpunkt ein Mitspracherecht. Genaugenommen wurden sie überhaupt nicht gefragt. Dennoch muss der Vorgang, den Bürgermeister Dr. Lamprecht bei der feierlichen Übergabe am 31. Dezember im Bergedorfer Schloss als „nicht veranlasst und nicht gewünscht“ beschrieb, die Bergedorfer sehr bewegt haben. Drei Veröffentlichungen im „Nordischen Courier“ von 1867 belegen das.
„Jetzt ist es an uns zu zeigen, dass wir unsere Unmündigkeit nur unwillig ertragen“
Am 10. Oktober erscheint eine Sonderausgabe, in der sich ein Aufruf an alle Bergedorfer findet: „Aufgenommen in den Staatsverband der Freien und Hansestadt Hamburg – lasst uns ohne Rückhalt und mit eiserner Konsequenz herangehen an die dadurch notwendig gewordene Revision unserer Verwaltung! Jetzt ists Zeit! Zaudert nicht, Eure Meinung Kund zu geben! Wie man sich bettet, so liegt man! Vorwärts!“
Fünf Tage später äußert sich im „Sprechsaal“ ein nicht namentlich genannter Leser. Er schreibt, dass die Bergedorfer mit dem Ende der Doppelregierung von bloßen Untertanen zu vollwertigen Hamburger Staatsbürgern würden, weil sie jetzt selbst Vertreter für die Hamburger Bürgerschaft wählen dürfen. Eine Petition an den Senat solle diesen Vorgang beschleunigen: „Jetzt ist es an uns zu zeigen, dass wir unsere politische Unmündigkeit bisher nur unwillig ertragen, und dass wir auch imstande sind, den neuen Pflichten, die uns mit einer verbesserten Stellung überkommen, durch eigene Tätigkeit zu genügen.“ Die Petition wurde allerdings nie eingereicht.
„Es ist nicht zu verkennen, dass diese Teilnahmslosigkeit uns sozusagen anerzogen ist“
Mitte Dezember beklagt denn auch ein „hiesiger Geschäftsmann“ im „Sprechsaal“ eine notorische Lethargie der Bergedorfer, die kaum bereit wären, das jetzt mögliche Mitspracherecht auch wirklich einzufordern: „Der einzige Wunsch, den man in dieser Beziehung noch mitunter lautwerden hört, ist der: Es möge doch alles beim Alten bleiben. Es ist freilich nicht zu verkennen, dass diese Teilnahmslosigkeit uns sozusagen anerzogen ist. Insofern, als wir es seit Jahrzehnten bis auf den heutigen Tag gewohnt sind, alle und jede Maßregel von oben her, im Wege der Verordnung zu empfangen. Und ist es die ungeteilte Meinung aller, dass in keiner uns betreffenden Verordnung irgendwelche Mitberatung auch nur in sehr bescheidenem Maße uns zugestanden werden dürfte.“
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Dass die Bergedorfer und ihre Gefühle in den Vorstellungen der Senatoren aus Lübeck und Hamburg überhaupt nicht vorkamen, machte der Ablauf des Festakts selbst unübersehbar: Zur Übergabe luden die Senate beider Städte für den Silvestertag 1867 ab 12 Uhr ins Bergedorfer Schloss. Doch mit Ausnahme von Funktionsträgern wie dem Bürgermeister und den Vierländer Landvögten war kein einziger Bürger geladen.
Auch wurden die ersten Beschlüsse des Hamburger Senats zur Veränderung der Bergedorfer Verwaltung nach Hamburger Recht am Tag der Übergabe nicht etwa im „Nordischen Courier – Bergedorfer Zeitung“ veröffentlicht, sondern im „Hamburgischen Correspondent“. Bergedorfs Lokalblatt sollte allerdings schon im Jahr 1868 mehr Gewicht bekommen: Dann übernahm mit Friedrich Bleidorn wieder ein echter Verleger. Und der stellte sechs Jahre später mit Carl Eduard Wagner einen Mann ein, der zum Gründervater unserer Bergedorfer Zeitung werden sollte.