Bergedorf. Beide Weltkriege bescheren der Heimatzeitung schwere Jahre. Im Dritten Reich drängt dann sogar unverhohlene Propaganda ins Blatt.

Mitten im Zweiten Weltkrieg traf die Bergedorfer ein Schock: „Abschied und Ausblick“ titelte die Bergedorfer Zeitung in ihrer Wochenend-Ausgabe vom 27./28. August 1943. „Mit dem heutigen Tage stellt die Bergedorfer Zeitung für die Dauer des Krieges ihr Erscheinen ein.“

Verfügt hatten das die Nazis wegen der immer dramatischer werdenden Mangelwirtschaft und der großen Papierknappheit. Und es sollte tatsächlich die letzte Ausgabe sein – sogar weit über das Kriegsende hinaus, für insgesamt mehr als sechs Jahre. Erst am 1. Oktober 1949 hielten die Leser ihre Heimatzeitung wieder in den Händen.

„So – jetzt hoffen wir aber auch, dass unsere Sorgen angehört werden“

Das taten sie dann aber mit überschwänglicher Freude: „Viele Frauen Bergedorfs und Umgegend begrüßen das Wiedererscheinen der Bergedorfer Zeitung mit großer Sympathie“, ist der Brief einer Elsa Dreyer in der ersten Ausgabe abgedruckt. Und ein O. M. schreibt: „Das war eine Freude am frühen Morgen, als die Probenummer unserer Zeitung ins Haus geflattert kam.“ Um dann gleich fortzufahren: „So – jetzt hoffen wir aber auch, dass unsere Sorgen angehört werden. Die anderen Zeitungen haben sich zwar eifrig bemüht, uns ins Herz zu sehen – doch nur wer mit der Heimat engen Kontakt hat, kann sie verstehen.“

Glaubt man der „Nummer 1“ von 1949, begrüßten die Bergedorfer unser Blatt also mit ungeteilter, wenn auch schon sehr bestimmender Freude. Diese enge Beziehung hatten viele auch in den Kriegs- und den vorangegangenen Nazi-Jahren zu ihrer Zeitung, obwohl die – natürlich – gleichgeschaltet war. Hitler-Propaganda fand sich ab 1933 auf jeder Titelseite und auch in weiten Teilen des restlichen Inhalts.

Meierei-Inhaber schimpft über Nazi-Blatt als Ersatz für Eingestellte Bergedorfer Zeitung

Trotzdem scheint unser Blatt auch im Dritten Reich für viele Bergedorfer unverzichtbar gewesen zu sein. Das belegt ein Schreiben der NSDAP-Zeitung Hamburger Tageblatt aus dem Dezember 1943 an Bergedorfs Meierei-Inhaber Fritz Kretschmann. Er muss sich so heftig über diese einzige, von den Nazis angebotene Alternative zur Bergedorfer Zeitung beschwert haben, dass die Tageblatt-Schriftleitung ihm antwortete: „Bei allem Verständnis für Ihre geschilderten Empfindungen müssen Sie uns doch gestehen, dass nach dem kriegsbedingten Einstellen Ihres Heimatblattes die dortigen Leser nicht einmal einen auch nur halbwertigen Ersatz haben würden, wenn nicht das Hamburger Tageblatt bemüht wäre, eine besondere Ausgabe für Bergedorf und die Vierlande so umfangreich und vielgestaltig wie möglich herauszubringen.“ Und außerdem sei Kretschmann ja „keinesfalls gezwungen, das Hamburger Tageblatt zu halten und damit an die Ihnen fehlende Zeitung erinnert zu werden“.

Bergedorf-Sander Volksblatt wurde von den Nazis 1934 verboten

Dann hätte Fritz Kretschmann allerdings ganz auf eine Lokalzeitung verzichten müssen. Denn das Bergedorf-Sander Volksblatt war schon zehn Jahre zuvor von den Nazis verboten worden. Von 1919 bis zum 4. März 1933 war es die sozialdemokratische Konkurrenz der bürgerlich-konservativen Bergedorfer Zeitung. Immerhin 5000 Abonnenten zählte das Volksblatt in seinen besten Zeiten, lag damit aber klar hinter dem Platzhirschen: Unsere Auflage lag in der Weimarer Republik, spätestens in der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre, bei deutlich über 10.000 Exemplaren.

Titelseite der Bergedorfer Zeitung vom 1. September 1939, dem Tag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs.
Titelseite der Bergedorfer Zeitung vom 1. September 1939, dem Tag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs. © Ulf-Peter Busse | Ulf-Peter Busse

Diese Zahlen hatte die Bergedorfer Zeitung schon vor und besonders im Ersten Weltkrieg erreicht. Das 1884 bezogene und drei Jahre später neu gebaute Stammhaus am Bergedorfer Markt, dort gelegen wo bis vor wenigen Wochen die ehemalige Kaufhausimmobilie von Karstadt stand, war stetig erweitert und ausgebaut worden.

Bergedorfer Zeitung übersteht Ersten Weltkrieg, ohne den Verlag schließen zu müssen

Das galt trotz aller wirtschaftlichen Engpässe auch für die ersten zwei bis drei Kriegsjahre: „Durch die zahlreichen Feldpostbezieher stieg die Auflage zu einem bis dahin unerreichten und auch in der Folgezeit nicht mehr erreichten Höchststand von rund 13.000“, heißt es in unser Jubiläumsausgabe von 1933. Doch dann sorgte auch der Erste Weltkrieg für Mangel an Papier, Stromausfällen und nicht zuletzt immer mehr zum Dienst an der Front eingezogenen Mitarbeitern. Das Personal reduzierte sich auf kaum mehr als die beiden Verleger Richard Wagner und Wilhelm Bauer, Sohn und Schwiegersohn des 1909 verstorbenen Bergedorfer-Zeitung-Gründers Carl Eduard „Ed.“ Wagner.

Doch im Gegensatz zum Zweiten Weltkrieg konnte eine Schließung des Verlags verhindert werden, sodass anschließend ein zunächst langsamer, ab 1923 rasanter Aufstieg gelang. Wieder wurden das Verlagshaus ausgebaut und die Mitarbeiterzahl rasch aufgestockt. Schon 1925 arbeiteten in Technik und Druckerei, dem kaufmännischen Bereich und der Redaktion der „Bergedorfer Buchdruckerei von Ed. Wagner“ mehr als 40 Menschen.

Leitende Redakteure mussten die Nazis als „politisch zuverlässig“ beurteilen

Doch mit der Weltwirtschaftskrise ab 1929 und den in ihrem Schatten aufsteigenden Nazis ging es wieder bergab – trotz Gleichschaltung und unzähliger Nazi-Parolen. So heißt es im August 1965 in einem Artikel zum 65. Geburtstag von Richard Wagners Sohn Reinhard, der dritten Verlegergeneration unserer Zeitung, auffällig unbeteiligt: „Als 1933 die Nationalsozialisten die Macht an sich rissen, konnte auch die Heimatzeitung vom Presse-Dirigismus eines Joseph Goebbels nicht verschont bleiben. Von Jahr zu Jahr wuchs der Druck der Zensur, durften zum Beispiel nur noch leitende Redakteure vom Verlag eingestellt werden, die den Nazis als ,politisch zuverlässig’ galten. Die neuen braunen Herren aus Berlin bestimmten, was ,man’ zu lesen habe. Schließlich kam das, was viele Heimatverlage schwer treffen musste: Die Stilllegung ihrer Zeitungen. Rotationspapier und Druckfarbe wurden beschlagnahmt. Nur noch genehmigte Druckaufträge durften ausgeführt werden.“

Im Artikel auf der Titelseite der letzten Ausgabe vom Februar 1943 liest sich das etwas anders: „Totaler Kriegseinsatz für den totalen Sieg, das ist das Gebot der Stunde“, lautet einer seiner zentralen Sätze, unterzeichnet von „Verlag und Schriftleitung der Bergedorfer Zeitung“.

Nach dem Tod von Richard Wagner 1952 – sein Schwager Wilhelm Bauer war schon 1927 gestorben – führte Reinhard Wagner den Verlag allein weiter. Die damals schon 150 Mitarbeiter zählende Belegschaft stieg rasant weiter, die Lauenburgische Landeszeitung wurde aufgekauft, Titel wie Geesthachter Zeitung, Schwarzenbeker Tageblatt und Sachsenwald erfunden. Die Gesamtauflage stieg in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre auf über 26.000 Exemplare am Wochenende.

Ein Erfolg, der den Verlagssitz am Bergedorfer Markt trotz der stetigen baulichen Veränderungen überfordern sollte. So begannen 1963/64 schließlich die Planungen für einen Neubau. Er sollte im Gewerbegebiet am Curslacker Neuen Deich entstehen, gleich hinter dem Abzweig der der neuen Straße Lehfeld. Es wurde die Heimat der Bergedorfer Zeitung von 1966 bis zum 3. November 2021.