Hamburg. 20 Jahre nach dem Ende des Weltkriegs beendete die Königin die Eiszeit. Auch in Bergedorf ging es plötzlich „very british“ zu.
Für unsere Zeitung war klar: „Prinz Philip war der heimliche Star“. So titelte die Bergedorfer Zeitung am Sonnabend, 29. Mai 1965, auf der letzten von insgesamt sechs Seiten der Ausgabe zum Finale des legendären Staatsbesuchs der Queen und ihres Mannes in Hamburg. Die elftägige Reise des royalen Paares samt riesiger Entourage durch die ganze Bundesrepublik setzte damals, 20 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Nazi-Diktatur, das entscheidende Zeichen für die Rückkehr Deutschlands in den Kreis der Staaten (West-)Europas.
Viel Symbolik, auch wenn es eigentlich nur der Antrittsbesuch der 1953 gekrönten Queen war – vergleichbar mit der nur dreitägigen Stippvisite ihres Sohnes König Charles samt Gemahlin Camilla in der kommenden Woche vom 29. bis 31. März. Auch sie werden Hamburg als letzte Station vor der Rückreise nach London besuchen, wobei der Besuch längst nicht so pompös geplant ist wie der der Queen mit Prinz Philip vor fast 58 Jahren: Sie legten damals mit der königlichen Yacht „Britannia“ von der Überseebrücke ab, um begleitet von vier Kriegsschiffen und unzähligen Booten voller Schaulustiger langsam elbabwärts Richtung England zu entschwinden.
Bergedorfer Zeitung: Neun Titelseiten zum royalen Besuch
Insgesamt neun Titelseiten widmete die Bergedorfer Zeitung damals dem Staatsbesuch, der am 18. Mai in Bonn begann. Hinzu kamen etliche weitere Berichte, die sich mit der Mode der Queen und ihres Gemahls befassten, den diversen Empfängen, Paraden und Anekdoten am Rande sowie immer wieder das betont menschliche Auftreten des damals 39 und 44 Jahre jungen royalen Paares herausstellten. Mit besonderem Blick auf den Prinzen: „Sonderapplaus erhielt der Herzog von Edinburgh unzählige Male in diesen elf Tagen. Er brauchte nur eine halbe Sekunde später als die Königin die Hand zu einem kurzen Winken zu heben und schon schwollen das Klatschen und die Zurufe deutlich um einige Phon an Lautstärke an.“
Der Prinz sei „immer wieder durch nahezu burschikose Ungezwungenheit“ aufgefallen. „Er setzte einen Kontrapunkt der Natürlichkeit gegen den offiziellen Pomp“, befand unsere Zeitung, die schließlich „eine stämmige Niedersächsin“ in der jubelnden Menge ausmachte, der „ein Seufzer entfuhr“ mit den Worten: „Oh, wie schön er ist.“
Queen spricht von „überwältigendem Empfang“ in Deutschland
Doch neben allem Menschlichen ging es beim Besuch der Queen auch um Staatstragendes. Schließlich wollte sich Deutschland der höchsten Repräsentantin des Vereinigten Königreichs und des Commonwealth in bestem Licht präsentieren. Und das gelang, wie unsere Zeitung nicht ohne Stolz berichtete. Zitiert werden ihre Worte, die die Queen beim Abschiedsdinner an Bord der „Britannia“ im Hamburger Hafen an Bundespräsident Heinrich Lübke richtete: „Ihre Anwesenheit gestattet mir, Ihnen und dem deutschen Volk unseren aufrichtigen Dank für den überwältigenden Empfang zum Ausdruck zu bringen, der uns seit unserer Ankunft in der Bundesrepublik bereitet wurde.“
Die elftägige Reise hatte das royale Paar über 2400 Kilometer kreuz und quer durch Deutschland geführt. Nach der Ankunft am 18. Mai 1965 in Bonn, wo es diverse offiziellen Termine gab, wurde der Großteil der Reise im Sonderzug absolviert. Aber auch eine Fahrt auf dem Rhein samt kilometerlangem Feuerwerk gehörte dazu. Und etliche Fahrten im offenen Wagen durch diverse Städte, deren Straßen von Hunderttausenden jubelnden Menschen gesäumt waren. Besucht wurden unter anderem Wiesbaden, Koblenz, München, Stuttgart, Köln, Düsseldorf, Duisburg, Berlin, Hannover und schließlich Hamburg.
Einige Seitenhiebe gegen die „königstreuen Bayern“ dürfen nicht fehlen
Als hanseatische Tageszeitung konnte sich unser Blatt dabei natürlich einige Seitenhiebe gegen die ebenso eigensinnigen wie „königstreuen Bayern“ nicht verkneifen. So sei der Musikzug der bayerischen Bereitschaftspolizei „erst richtig warm geworden, als er die Bayern-Hymne intonieren darf“. Zudem stand ein Treffen mit den Nachfahren des Bayerischen Königshauses an – bei uns mit dem Hinweis eingeleitet: „Die Monarchie wurde der Monarchin vorgestellt.“
Von diversen kleineren Geschichten, die sich in der Berichterstattung um den Staatsbesuch ranken, stechen zwei heraus. So wird nur ganz beiläufig erwähnt, dass die Queen und auch ihr Ehemann Vorfahren in Deutschland hatten. Denn beide besuchten beim Halt in Stuttgart adlige Verwandte. Vor allem Prinz Philip sprach sehr gut Deutsch und hatte die Bande hierher auch nie ganz abgebrochen. Im Gegensatz zur Familie von Queen Elizabeth, die 1917 wegen des Kriegs gegen Deutschland sogar den Namen von Sachsen-Coburg und Gotha ablegte und – inspiriert von ihrem Schloss – in Windsor änderte.
Zwei echte Londoner „Bobbys“ regeln den Verkehr in Bergedorf
Auch eine Szene im damals gerade erst seit vier Jahren geteilten Berlin wird in unserer Zeitung aufgegriffen, wo die Begeisterung über den Besuch der Queen offenbar bis in die DDR geschwappt war: „An der Absperrung östlich des Brandenburger Tores versammelten sich rund 250 Ostberliner mit Ferngläsern und Fotoapparaten. Aber kurz vor dem Eintreffen der Königin auf der anderen Seite der Mauer schritten Zonengrenzposten ein und drängten die Zuschauer gewaltsam zurück.“
Natürlich durfte auch der Blick nach Bergedorf nicht fehlen. Denn hier ging es an der Wache plötzlich „very British“ zu: Zwei waschechte Londoner „Bobbys“ regelten plötzlich den Verkehr auf der prominentesten Kreuzung des Bezirks, dem heutigen City-Kreisel Alte Holstenstraße/Weidenbaumsweg. Constable John Whyte und Sergeant William Anderson von der London Metropolitan Police gehörten zur zehnköpfigen Ehrengarde der Queen, die bei ihrer Fahrt durch Hamburgs Straßen in voller Montur an zentralen Punkten standen. Ihre Bergedorfer Stippvisite kam bei den Bürgern gut an, wie unsere Zeitung schreibt: „Die Bergedorfer wurden mit den Engländern sofort warm. Und sie stellten fest: Die flachsen ja genau wie wir und sind kein bisschen stur.“
Eine Hafenrundfahrt für die Queen und ihren Prinzgemahl
Die Queen und ihr Gemahl hatten in Hamburg zum Finale ihrer Reise ein strammes Programm zu absolvieren. Nach der Ankunft am Bahnhof Dammtor ging es im offenen Mercedes zum Empfang im Rathaus samt Gruß vom Balkon zu den Menschen. Anschließend besuchte der Prinz in der Uniform eines Großadmirals die Führungsakademie der Bundeswehr in Blankenese, während die Queen einer Segelregatta auf der Alster beiwohnte, im Gästehaus des Senats an der Schönen Aussicht die Sieger ehrte und der Carl-Cohn-Schule einen royalen Besuch abstattete. Nach dem Mittagessen folgte eine gemeinsame Hafenrundfahrt in der Senatsbarkasse mit Böllerschüssen, Wasserfontänen, riesiger Zuschauerkulisse und bei der Rückkehr an der Überseebrücke neben der „Britannia“ einem dreifachen „Hurra“ aus Hunderten Matrosenkehlen der vier nebenan liegenden Kriegsschiffe.
Bevor die königliche Yacht um 21 Uhr Richtung Southampton ablegte, gab die Queen noch einem Empfang an Bord. Zu den geladenen Gästen gehörten neben Hamburgs Bürgermeister Paul Nevermann auch Bundeskanzler Ludwig Erhard und Bundespräsident Heinrich Lübke.
- 1943: Nazis beschließen das Aus der Bergedorfer Zeitung
- 1973 bis 2001: Voller Einsatz für die Bergedorfer Zeitung
Nach Meinung unserer Zeitung hat es der Queen in Hamburg gefallen: „Angesichts der stürmischen Begeisterung, der ihr aus der Hamburger Bevölkerung entgegenströmte, taute Königin Elizabeth sichtlich auf. Sie, die auf dem Dammtorbahnhof mit ernstem Gesicht aus dem Zug gestiegen war und über deren Mine auch bei der Begrüßung nur ein kurzes, flüchtiges Lächeln gehuscht war, strahlte und winkte den Hamburgern nun unermüdlich zu.“
Und zum Staatsbesuch insgesamt heißt es: „Mehr als irgendeinem Staatsmann sonst, geschweige denn einem deutschen, ist es der englischen Königin gelungen, in unser oft so bürokratisch-steriles Staatswesen den Glanz der Monarchie zu tragen, einer Institution, der wohl unsere Großmütter noch nachzutrauern pflegten. Gerade diese Form staatlicher Repräsentation ist es nun gewesen, über die zwei Völker wie auf einer Brücke einander entgegengingen, und es ist erstaunlich, wie viele ehemalige Skeptiker schon heute davon überzeugt sind, dass diese Brücke halten wird.“