Bergedorf. 1888 geht als „Drei-Kaiser-Jahr“ in die Geschichte ein. Die Bergedorfer Zeitung von damals beschäftigt das Thema noch Jahre später.

Es ist ein Paukenschlag für die Bergedorfer Zeitung: Kaum fünf Jahre jung, muss das kaisertreue Blatt am 10. März 1888 den Tod „unseres geliebten Kaiser Wilhelm“ vom Tag zuvor „um 8 Uhr 30 Minuten“ vermelden. Herausgeber Carl Eduard „Ed.“ Wagner räumt dafür die gesamte Titelseite frei und druckt unter einem schwarzen Kreuz nur den Namen sowie in besonders großen Lettern einen neun Zeilen kurzen ersten Nachruf. Das sollder Auftakt werden für vier Ausgaben, darunter sogar die erste „Extra-Ausgabe“ in der Geschichte dieser Zeitung, in denen ausführlich über die nationale, die internationale und auch die lokale Trauer über den Tod des 90 Jahre alten Regenten berichtet wird.

Ganz nebenbei deutet sich darin sogar schon an, dass das Jahr 1888 noch ganz andere Umschwünge bereithalten dürfte. Denn selbstverständlich gehört zum Tod des Kaisers in der Bergedorfer Zeitung auch der Blick auf seinen Sohn Friedrich Wilhelm Nikolaus Karl von Preußen, der zum Kaiser Friedrich III. wird. Doch der 56-Jährige ist zu diesem Zeitpunkt schon unheilbar an Kehlkopfkrebs erkrankt. Vieles deutet darauf hin, dass Kaiser Wilhelms als unsicher und prahlerisch geltender 29-jähriger Enkel sehr bald auf den Thron nachfolgen müsste. Und tatsächlich: 1888 soll Deutschlands „Drei-Kaiser-Jahr“ werden.

„Drei-Kaiser-Jahr“ beschert Bergedorfer Zeitung großen Zuwachs an Abonnenten

Viel Arbeit für unsere Zeitung, die unter „Ed.“ Wagner damals in den frisch bezogenen Verlagsräumen am Bergedorfer Markt kaum mehr als fünf Mitarbeiter für Redaktion, Druck, Anzeigenabteilung und Vertrieb gehabt haben dürfte. Aber der Aufwand sollte sich lohnen, wie der Verleger in der Ausgabe vom 22. Dezember schreibt: „Auch in dem nun zu Ende sich neigenden Jahre haben wir wieder einen erheblichen Zuwachs an Abonnenten erhalten. Ein Zeichen, dass unser Streben, die ,Bergedorfer Zeitung’ zu einem Lokalblatte ersten Ranges nicht allein für Bergedorf zu machen, sondern auch für die weitere Umgegend, die gewünschte Anerkennung findet. Dass die Abonnemententenzahl trotz wiederholt versuchter Konkurrenz unaufhörlich zunimmt, ist eine umso größere Genugtuung für uns und unsere Freunde.“

Oft wird in den Ausgaben des Jahres 1888 erwähnt, dass die Nachfrage so groß sei, dass die gesamten Ausgaben der vergangenen Tage vergriffen seien uns auch nicht nachgedruckt würden. Die „interessierte Leserschaft“ solle sich deshalb doch eine aktuelle Bergedorfer Zeitung am Erscheinungstag sichern, also jeweils dienstags, donnerstags und sonnabends.

Nachruf über den „geliebten Herrscher“, der Deutschland zum Reich vereinigt hatte

Ein Erfolg, der durch die akribische Berichterstattung über die Turbulenzen am kaiserlichen Hof sicher noch beschleunigt wurde. So trauert Verleger Wagner in seinem persönlichen Nachruf auf Wilhelm I., den „Gründerkaiser“ des Deutschen Reichs von 1871, auf der Titelseite vom 10. März aufrichtig: „Die deutsche Nation verliert in dem Entschlafenen den geliebten Herrscher, der sie durch manchen harten Kampf zum glorreichen Siege führte und zu dem lang und heiß ersehnten Ziel: zur nationalen Einigung.“

Die drei deutschen Kaiser auf einen Blick: Kaiser Wilhelm I. (oben), sein Sohn Kaiser Friedrich III. (li.) und Kaiser Wilhelm II. auf einer Fotocollage von 1885.
Die drei deutschen Kaiser auf einen Blick: Kaiser Wilhelm I. (oben), sein Sohn Kaiser Friedrich III. (li.) und Kaiser Wilhelm II. auf einer Fotocollage von 1885. © picture-alliance / IMAGNO/Austri

Noch am Abend desselben Tages gibt es in einer Extra-Ausgabe alle bereits bekannten Details aus Berlin. Darin geht es um die Wache am Totenbett, die Aufbahrung der Leiche im Palast, das Kondolieren der Mitglieder des Reichstags. Aber auch die Rückkehr des schwer kranken Kronprinzen aus seiner Kur in San Remo, die Thronfolge und seine ersten Erlasse als Kaiser Friedrich III., wozu auch eine Landestrauer gehört. Verbindlich anordnen will er die aber nicht, jeder solle „seiner Trauer freiwillig und in würdiger Weise“ Ausdruck verleihen.

Bergedorfer Zeitung druckt das Manifest des neuen deutschen Kaisers Friedrich III.

Weiter geht es in der folgenden Woche in unserer Zeitung dann mit dem ersten Manifest des neuen Kaisers, in dem Friedrich III. die Grundzüge seiner sehr liberalen, an den englischen Regierungsstil angelehnten Politik umreißt. Ein Ansatz, der einer Kehrtwende gegenüber dem betont monarchistischen Auftreten seines Vaters bedeutet – und damit auch der Politik des damals allmächtigen Reichskanzlers Otto von Bismarck in die Quere kommt.

Während in Berlin die Zeichen auf Wandel und einigen politischen Ärger stehen, wird in Bergedorf getrauert: „Der hiesige Kirchenvorstand hat beschlossen, am Tage der Beisetzung der kaiserlichen Leiche einen Trauergottesdienst in der Kirche St. Petri und Pauli abzuhalten“, schreibt unser Blatt am 15. März 1888. „Wir glauben, dass hierdurch einem vielfach empfundenen Wunsche entsprochen wird, auch in unserem Bergedorf den Gefühlen tiefer Trauer über diesen schweren Verlust Ausdruck zu verleihen. Auch in den Schulen wird eine Trauerfeier stattfinden und der Unterricht ausgesetzt werden.“

Bergedorf trauert mit großem Gottesdienst und 101 Böllerschüssen vom Schlosswall

Die Kirche ist am 16. März dann „fast überfüllt“, wie wir berichten. „Es fanden sich die Mitglieder des Vereins der Kampfgenossen von 1870/71 und der Militärischen Kameradschaft ein sowie die Schulen sich beteiligten. Aber auch andere Bewohner der Stadt und Umgegend hatten sich in großer Anzahl eingefunden. Nach dem Gottesdienst begann Trauergeläut und vom Schlosswall wurden 101 Böllerschüsse abgefeuert. Mehrere Häuser hatten Halbmast geflaggt, zum Teil auch Trauerflor und Trauerfahnen.“

So erscheint unsere Zeitung am 10. März 1888: Die komplette Titelseite wird einem ersten Nachruf auf den tags zuvor verstorbenen Kaiser Wilhelm gewidmet.
So erscheint unsere Zeitung am 10. März 1888: Die komplette Titelseite wird einem ersten Nachruf auf den tags zuvor verstorbenen Kaiser Wilhelm gewidmet. © BGZ | Ulf-Peter Busse

Mitten in diese von Männern bestimmte Trauer und die ohnehin männliche Politik fällt in Bergedorf ein erster zarter Vorbote der Gleichberechtigung: Mathilde Hipp und Erna Martens kündigen am 24. März per Anzeige in unserer Zeitung an, „zu Ostern eine höhere Mädchenschule in Bergedorf“ zu eröffnen. „Wir bitten die geehrten Eltern schulpflichtiger Kinder um gefällige baldige Anmeldungen.“ Es geht um die Gründung der „Luisenschule“, der ersten „höheren Töchterschule“ der Stadt. Am Freitag, 13. April 1888, feierlich eingeweiht, gilt sie als Erste ihrer Art in Bergedorf, die ihren Schülerinnen später auch den Zugang zum Abitur ermöglicht.

1888 ist auch Gründungsjahr der Luisenschule, Bergedorfs erster „höherer Töchterschule“

Die „Luisenschule“ ist der Ursprung des heutigen Luisen-Gymnasiums. Ihr Pendant für Jungen ist als Hansaschule fünf Jahre älter und Ursprung des heutigen Hansa-Gymnasiums. Zu seiner Schülerzahl berichtet die Bergedorfer Zeitung am 14. April 1888: „Den Schulnachrichten von Herrn Direktor Dr. Groß entnehmen wir, dass die Zahl der Schüler am 1. Februar in der Hansaschule 134 und in der Vorschule 54 betrug, gegenüber 118 und 58 ein Jahr zuvor. Von den Schülern waren in diesem Jahr in der Hauptschule 70 Einheimische, 63 Auswärtige und ein Ausländer, in der Vorschule 38 Einheimische und 16 Auswärtige.“

Doch auch die riesige Trauer um den Tod des Kaisers hat in Bergedorf Auswirkungen bis heute: Der „Kaiser-Wilhelm-Platz“ samt kunstvollem Springbrunnen und Denkmal aus Granit und Bronze hat seine Ursprünge im „Drei-Kaiser-Jahr“. Am 24. April 1888 schreibt die Bergedorfer Zeitung, dass der ehemalige Küchengarten des Schlosses von der Stadt Bergedorf erworben wurde „und zu einem Zierplatz umgewandelt werden soll“. Der Plan sei, die heute zwischen Sachsentor und Bergedorfer Schlossstraße liegende Fläche nach Kaiser Wilhelm I. zu benennen und in seiner Mitte einen vom Wasserwerk-Besitzer Carl Sievers gespendeten Brunnen zu errichten.

Bürgermeister Ernst Mantius lässt für Gestaltung des Kaiser-Wilhelm-Platzes sammeln

Der Artikel in unserer Zeitung berichtet von der Hauptversammlung des „Bergedorfer Verschönerungsvereins“, in dem Bürgermeister Ernst Mantius, gleichzeitig dessen Vereinsvorsitzender, anmerkt, dass das Geld der Stadt zwar für den Ankauf der Fläche, nicht aber für ihre Umgestaltung reiche. Das wirkte, wie unser Blatt schreibt: „Wir können verraten, dass eine Sammlung für diesen Zweck in engsten Kreisen bereits über 400 Mark ergeben hat. Man darf erwarten, dass dieser Platz einer der schönste unserer Stadt werden wird und dass er umso schöner wird, je mehr Mittel zur Verfügung stehen.“

Heute ein Schmuckstück: der frisch mit Stiefmütterchen bepflanzte Kaiser-Wilhelm-Platz nahe dem Schloss (r.).
Heute ein Schmuckstück: der frisch mit Stiefmütterchen bepflanzte Kaiser-Wilhelm-Platz nahe dem Schloss (r.). © BGZ | Ulf-Peter Busse

Im Juni befasst sich auf Betreiben von Bürgermeister Ernst Mantius auch der Bergedorfer Bürgerverein mit dem Thema. Er diskutiert das Thema allerdings so kontrovers, dass nicht der vom Bürgermeister beantragte Ausschuss zur Realisierung des Denkmals gegründet, sondern lediglich Gespräche mit dem Verschönerungsverein auf Vorstandsebene beschlossen werden. Und das soll nicht die einzige Verzögerung dieses „Vaterlandsprojekts“ bleiben.

Nur 99 Tage nach Wilhelm I. stirbt nach langem Krebsleiden auch sein Sohn Friedrich III.

Am 15. Juni 1888 erliegt Friedrich III. seinem schweren Krebsleiden. Er war nur 99 Tage im Amt und konnte von seinen über Jahrzehnte vorbereiteten liberalen Regierungsplänen nahezu nichts umsetzen. Auch weil der 56-Jährige zum Zeitpunkt seiner Krönung schon nicht mehr sprechen konnte, sondern ausschließlich mit schriftlichen Anordnungen regieren musste.

Unsere Zeitung verbreitet die Nachricht wie beim Tod seines Vaters Wilhelm I. wieder mit einer kompletten Titelseite, die jetzt allerdings vor allem das tragische persönliche Schicksal dieses zweiten deutschen Kaisers in den Mittelpunkt stellte: „Die Hand des Schicksals lastet schwer auf Deutschland und auf seinem Kaiserhause“ – um gleich seinen ihm nun mit erst 29 Jahren als Wilhelm II. auf den Thron folgenden Sohn zu blicken: „Wenn es etwas gibt, das unseren Schmerz zu mildern vermag, so ist es das junge, blühende Reis vom Hohenzollernstamm, auf das sich im Angesicht des blassen Todes unsere Blicke richten.“

Bergedorf will nun beide toten Kaiser ehren – mit einem Doppeldenkmal

Unter dem jungen Kaiser soll sich das Deutsche Reich wandeln von einem eng in europäische Bündnisse eingegliederten, liberalen Staat hin zu einer Nation, die die Vorherrschaft in Europa für sich beansprucht und massiv aufrüstet. Davon ist 1888 allerdings noch nichts zu spüren. Vielmehr berichtet unsere Zeitung über drei Ausgaben von den letzten Stunden Friedrichs III., seinem Begräbnis und der nun sogar für sechs Wochen angeordneten Staatstrauer samt Verbots „sämtlicher öffentlicher Lustbarkeiten an den beiden ersten Tagen nach der Beisetzung“.

Die Bronzebüste von Kaiser Wilhelm I. steht bis heute am gleichnamigen Platz direkt an der Bergedorfer Schlosstraße.
Die Bronzebüste von Kaiser Wilhelm I. steht bis heute am gleichnamigen Platz direkt an der Bergedorfer Schlosstraße. © BGZ | Ulf-Peter Busse

Natürlich hat das alles Auswirkungen auf die kontroverse Diskussion in Bergedorf, ob sich die Stadt einen Kaiser-Wilhelm-Platz samt Denkmal leisten will. Wie die Bergedorfer Zeitung im Oktober 1888 berichtet, organisieren der Bürgerverein und der Verschönerungsverein eine Tagung mit „sämtlichen hier bestehenden Vereinen“, um genügend Geld für das Projekt einzuwerben. Doch der Tod gleich zweier Kaiser bringt reichlich Sand ins Getriebe der Planer um Bürgermeister Ernst Mantius. Plötzlich bildet sich eine Fraktion, die ein Doppeldenkmal fordert, was andere auf den Plan ruft, die das als viel zu teuer abtun.

Auch im Bürgerverein kocht die Diskussion hoch und führt zu einem kaum umsetzbaren Kompromiss, der am 23. Oktober 1888 in unserer Zeitung nachzulesen ist: „Nach langer Debatte gelangt ein Antrag fast einstimmig zur Annahme, nach welchem gleichzeitig für jeden der beiden verstorbenen Kaiser ein Denkmal errichtet werden solle und zwar nebeneinander und ganz gleich.“ Trotzdem wird in der Bürgervereinssitzung gleich nach dem Beschluss eingeschränkt, „dass zuerst das Kaiser-Wilhelm-Denkmal gesetzt werden solle, wenn nicht so viel Geld zusammenkomme, dass für beide etwas Würdiges zu bekommen sei“.

Tatsächlich soll es noch fast drei Jahre dauern, bis das umgesetzt werden kann: Am 22. März 1891 weiht Bürgermeister Ernst Mantius den Platz samt Brunnen, aber nur mit einem Denkmal ein. Das von sämtlichen Bergedorfer Vereinen gesammelte Geld hat lediglich für die Bronzebüste von Kaiser Wilhelm I. gereicht, dafür aber samt Stele aus poliertem Granit. Der unglückliche Kaiser Friedrich III. scheint knapp drei Jahre nach seinem Tod dagegen schon vergessen zu sein.