Hamburg. Zum Start gab es drei Probenummern. Wie Verleger Carl Eduard „Ed“ Wagner 1883 die moderne Bergedorfer Zeitung ins Leben rief.
Es muss Liebe auf den ersten Blick gewesen sein: Die Bergedorfer bescherten unserer Zeitung gleich vom September 1883 an einen Traumstart. Dabei kam der frisch gebackene Verleger Carl Eduard „Ed.“ Wagner zur echten Premiere der bis heute erscheinenden „Bergedorfer Zeitung“ sehr bescheiden daher. Er schrumpfte das Format gegenüber dem Vorgänger „Bergedorfer Zeitung und Anzeiger“ um rund ein Drittel, verteilte erstmal drei Probenummern und halbierte das Erscheinen auf nur noch drei Ausgaben pro Woche.
„In bescheidenem Gewande tritt heute die neue ,Bergedorfer Zeitung’ in ihrer zweiten Probenummer vor ihre Leser“, schreibt er am 19. September 1883 auf der Titelseite des in unserem Archiv erhaltenen ältesten Exemplars – und ergänzt: „Aber in der festen Zuversicht, dass es ihr gelingen wird, trotz des bescheidenen Formates und des nur dreimaligen Erscheinens allen billigen Anforderungen zu entsprechen, welche man an ein gutes Lokalblatt zu stellen berechtigt ist. Und in der Hoffnung, dass eine recht zahlreiche Beteiligung am Abonnement zu einer baldigen Vergrößerung des Formates nötigen wird.“
150 Jahre bz: Carl Eduard „Ed“ Wagner wagt mit 41 Jahren Sprung in die Selbstständigkeit
Mit 41 Jahren hatte Carl Eduard „Ed“ Wagner damals den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt, nachdem er zuvor neun Jahre als angestellter Filialleiter die „Bergedorfer Zeitung und Anzeiger“ für den nach Wandsbek abgewanderten Herausgeber Friedrich Bleidorn geführt hatte. Nach dessen Tod 1881 brachten die Erben dessen Unternehmen in wirtschaftliche Schieflage – und schlossen die Bergedorfer Filiale am 12. September 1883 schließlich ganz.
Nur drei Tage später, am 15. September, druckte Wagner, nun Chef der Bergedorfer Buchdruckerei von Ed. Wagner, seine „Erste Probenummer“. Wie es 50 Jahre später in der Jubiläumsausgabe unserer Zeitung heißt „unterstützt von einem kleinen Kreis von Freunden“ und weil „von vielen Seiten die Aufforderung ergangen sei, hier eine eigene Zeitung herauszugeben“. Wagner geht dabei voll ins wirtschaftliche Risiko, wie er in der zweiten Probenummer vom 19. September schreibt: „Bis zum 1. Oktober erscheint die ,Bergedorfer Zeitung’ ohne Beilage des künftigen ,Illustrierten Unterhaltungsblatts’ zunächst jeden Mittwoch und wird in 3000 Exemplaren gratis verteilt, weshalb sich diese Nummern zum Inserieren ganz besonders eignen.“
Neue „Bergedorfer Zeitung“ legt Schwerpunkt auf lokale Berichterstattung
In der neuen „Bergedorfer Zeitung“ legt Wagner im Gegensatz zu seinen Vorgängern ganz besonderen Wert auf lokale Berichterstattung: „Die größte Aufmerksamkeit wird dieses Blatt den Interessen Bergedorfs und der umliegenden Orte zuwenden und über alle Vorkommnisse in denselben berichten.“ Neben überregionalen „politischen und vermischten Nachrichten, Erzählungen und Marktberichten“ seien auch eingesandte „sachlich gehaltene Besprechungen über Gemeinde-und Vereinsangelegenheiten für den ,Sprechsaal’ willkommen, soweit sie von öffentlichem Interesse sind“.
Tatsächlich rückt das Lokale von Beginn an sogar auf die erste Seite. Zudem setzt Carl Eduard Wagner, der gleichzeitig Herausgeber, Redakteur, Setzer, Drucker und Anzeigenverkäufer ist, auf Berichte über die deutsche und europäische Politik, einen Fortsetzungsroman und auf eine offensichtlich besonders beliebte Reihe über Bergedorfs Historie von der Schloss-Geschichte über den Komponisten Johann Adolf Hasse bis zum Hauptmann Dietrich Schreyge, der bei der Erstürmung des Schlosses 1420 fiel.
Wagner will „die Interessen der Stadt Bergedorf und der umliegenden Orte vertreten“
Den Erfolg seiner „Bergedorfer Zeitung“ beschreibt Wagner drei Monate später am 29. Dezember zum Finale des ersten Jahrgangs seines Blattes so: „Die überaus freundliche Aufnahme, welche die ,Bergedorfer Zeitung’ in der kurzen Zeit ihres Bestehens gefunden, ist die sicherste Anerkennung unseres Bestrebens, dieselbe zu einem Lokalblatt im wahrsten Sinne des Wortes zu machen. Diese Anerkennung wirkt bestimmend auf uns, den betretenen Weg weiter zu verfolgen und in erster Linie die Interessen der Stadt Bergedorf und der umliegenden Orte zu vertreten und über alle die Leser interessierenden lokalen Vorkommnisse zu berichten.“
Dazu gehörte am 11. Oktober etwa ein Artikel über den „Laternenanzünder Bruhns, welcher bekanntlich leicht reizbar ist und deshalb leider gerade von Kindern wie auch von Erwachsenen geneckt und beschimpft wird. Er schlug am Sonnabend den Arbeiter Baumann, welcher ihn mit mehreren anderen beschimpfte, mit einem Hammer so an den Kopf, dass dieser eine schwere Wunde davontrug und sich in ärztliche Behandlung begeben musste. Die Sache ist der Staatsanwaltschaft übergeben.“
Bergedorfer „Verein zur Beseitigung gewerbsmäßiger Bettelei“ hilft Tausenden
Zwei Tage später berichtet unsere Zeitung 1883 über den offenbar sehr wichtigen Bergedorfer „Verein zur Beseitigung gewerbsmäßiger Bettelei und zur Unterstützung hilfsbedürftiger Durchreisender“. Demnach „wurden im dritten Quartal dieses Jahres 1505 Personen der Notwendigkeit, an den Türen sich ihren Zehrpfennig zu erbetteln, enthoben. Es erhielten die Unterstützung im Juli 434, im August 558 und im September 513 Durchreisende. Im ersten Quartal war die Zahl der Unterstützten 2239, im zweiten 1375.“
Auffällig ist die immer größer werdende Zahl der Bergedorfer Familienanzeigen in der Zeitung. So teilen am 29. Dezember 1883 „Karl Hoge und Frau aus Lohbrügge bei Bergedorf“ die „glückliche Geburt eines gesunden Knaben“ mit. Neben weiteren Geburtsanzeigen geben zwei Paare ihre Verlobung bekannt, es folgen eine ganze Reihe von Todesanzeigen – und gleich danach ein Verkaufsangebot für „eine große Partie Schweine“.
Berichte über manchen Diebstahl mit einer gehörigen Portion Ironie
Am 18. März wird mit betont ironischem Unterton über einen Diebstahl berichtet: „Der Arbeiter K. besuchte am Sonntag einen bei der Frau S. am Reinbeker Weg logierenden Bekannten und wurde kurze Zeit in dem Zimmer der Frau alleingelassen. Da gerade der Schlüssel in der Kommode steckte, nutzte der Besucher die Gelegenheit, um einmal den Inhalt derselben zu besichtigen, wobei er ein Portemonnaie mit etwa 30 Mark fand. Er steckte den Fund zu sich und vergaß ihn abzuliefern. Erst nachdem Frau S. ihren Verlust angezeigt hatte und ein Diener des Gesetzes den Finder daran erinnerte, dachte dieser wieder an seinen Fund und lieferte ihn bereitwillig ab – wie es heißt, sogar ohne Finderlohn zu beanspruchen. Die eigenartigen Umstände, unter denen das Geld gefunden wurde, haben aber eine Untersuchung veranlasst.“
Eine Trennung gehört am 11. September 1884 zu den Themen unserer Zeitung: „Der auch hier wohlbekannte Arbeiter B. von der Horst lebte mit seiner Frau etwa vierzehn Jahre in glücklicher Ehe, welcher drei Kinder entsprossen. Vor einigen Tagen nun hat die Frau, ohne dass ihr Mann, noch ihre Mutter, welche bei dem Ehepaar wohnte, vorher das Geringste gemerkt hätten, Kinder, Mann und Mutter verlassen und sich in Begleitung eines jungen Mannes nach Amerika begeben. Dieser unbesonnene Schritt der Frau ist umso rätselhafter, als sie sich sonst gut geführt haben soll.“
TSG-Vorgänger Bergedorfer Turnerschaft feiert im September 1883 viertes Stiftungsfest
Am 27. September findet sich die Ankündigung eines Festes der Bergedorfer Turnerschaft, aus der später die TSG hervorging: „Die Bergedorfer Turnerschaft von 1880 feiert am Sonntag ihr viertes Stiftungsfest im Saale des Herrn Schefe. Das selbe beginnt nachmittags 1 Uhr mit Gesang und Rede, worauf ein Schauturnen stattfindet. Die Leistungen unseres jungen Vereins, welche uns vom vorjährigen Schauturnen noch erinnerlich sind, lassen im Interesse der Sache eine zahlreiche Teilnahme an dem Feste wünschen. Denn nur durch solche wird der Zweck des Schauturnens, Freunde für die Turnerei zu gewinnen, erreicht.“
Am 22. November geht es um die offenbar beschlossene Verlegung des Buß- und Bettages: „In nächster Woche am Freitag, den 28. November, wird im Hamburgischen Staate der allgemeine Bußtag stattfinden, welcher bekanntlich mehrere Jahre zwischen Ostern und Pfingsten an demselben Tage mit dem Preußischen Bußtage gefeiert wurde. Er ist jetzt wieder in den Spätherbst verlegt, um eine größere Teilnahme an den Gottesdiensten zu erwecken, denn der Besuch derselben an den Bußtagen im Frühling war immer spärlicher geworden.“
Tödliche Auseinandersetzung zwischen Jäger und Wilddieb bei Schwarzenbek
Thema am 29. November 1884 ist ein Jagdunfall: „Großes Aufsehen erregt hier und in der ganzen Umgegend die Erschießung eines Jägers aus Schwarzenbek, über welche wir folgendes Nähere erfahren: Gestern Nachmittag beging der Jäger Nehls mit seinem Schwager das Brunstorfer Revier, wobei er auf zwei Wildschützen stieß, Benn und seinen Sohn. Er legte die Hand auf die Schulter Benns mit den Worten: ,Jetzt habe ich Dich!’ Benn wich zurück, schoss sein Gewehr auf den Jäger ab und verwundete ihn am Halse. Woraufhin Nehls ebenfalls einen Schuss auf seinen Gegner abfeuerte, der diesen tödlich traf. Sodann schoss Benns Sohn ebenfalls auf den Jäger und traf ihn in den Mund, worauf er entfloh. Die beiden Leichen wurden elf Schritt voneinander entfernt gefunden und nach Schwarzenbek gebracht. Benns Sohn soll bereits verhaftet sein.“
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Ob tödlicher Ernst oder lockere Unterhaltung: Der Stil und die Themen der „Bergedorfer Zeitung“ kamen bei den Lesern so gut an, dass Carl Eduard Wagners Unternehmen stetig wuchs. Als er im August 1909 starb, hatte die „Bergedorfer Buchdrucker von Ed. Wagner“ mehr als 40 Mitarbeiter und ein eigenes Verlagshaus am Bergedorfer Markt. Das Unternehmen ging an seinen Sohn Richard und seine Tochter Martha sowie ihren Ehemann Wilhelm Bauer über, der lange Chefredakteur war.
Das kleine Format der ersten Jahre wich spätestens 1886 wieder dem größeren, das in etwa dem unseres heutigen Blattes entspricht. Die Rückkehr zur echten Tageszeitung mit sechs statt bloß drei Ausgaben pro Woche sollte allerdings noch acht Jahre länger dauern: Erst in der Ausgabe vom 2. Juli 1894 verkündet der Herausgeber nicht ohne Stolz: „Mit der heutigen Nummer beginnt das tägliche Erscheinen der Bergedorfer Zeitung.“ Genau das haben wir bis heute durchgehalten – mit Ausnahme der Schließung durch die Nazis im August 1943.