Neuengamme. Ausstellung in Neuengamme zeigt Graphic Novels von zehn Künstlern aus drei Ländern. Wie es zu der ungewöhnlichen Schau kam.

Als Graphic Novel werden Comics im Buchformat bezeichnet, grafische Romane, die sich aufgrund ihrer komplexen Erzählstruktur häufig an Erwachsene richten. Zehn in den Niederlanden, Belgien und Deutschland lebende Künstler haben Geschichten aus drei Konzentrationslagern gezeichnet – dem KZ Neuengamme, der Kazerne Dossin in Belgien und dem Lager Westerbork in den Niederlanden. Ihre Bilderzählungen sind unter dem Titel „Das Unvorstellbare zeichnen“ von Sonnabend, 21. Dezember, an als Graphic-Novel-Ausstellung in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme zu sehen.

Die Ausstellung mit dem englischen Titel „Picturing the Unimaginable“ war 2024 bereits in den Gedenkstätten der Konzentrationslager Westerbork und Kazerne Dossin, ehemalige Sammellager der Nationalsozialisten, in denen jüdische Bürger der Niederlande und Belgien vor der Deportation leben mussten, zu sehen – und ein Riesenerfolg. „Allein in Belgien wurde die zweimonatige Ausstellung von rund 15.000 Menschen besucht“, weiß Dr. Alexandra Köhring, in der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen für Sonderausstellungen zuständig.

Zehn Künstler zeigen das Leid der KZ-Häftlinge in feinen Zeichenstrichen

Die Zeichner – Erik de Graaf, Melanie Kranenburg, Sterric, Jennifer Daniel, B. Carrot, Wide Vercnocke, Milan Hulsing, Tobi Dahmen, Jeroen Janssen & Arezoo Moradi, Guido van Driel – haben in enger Zusammenarbeit mit den Gedenkstätten verschiedene Biografien aus den Konzentrationslagern recherchiert, sich mit Inhaftierten und deren Lebensgeschichten sowie den Orten ihres Leidens intensiv auseinandergesetzt.

Startpunkt des Graphic-Novel-Projektes war ein 80 Jahre alter Comic, den der niederländische Historiker Kees Ribbens vom Amsterdamer Institute for War, Holocaust and Genocide Studies entdeckt hat: Der Künstler August M. Fröhlich schilderte bereits 1944 in Form einer gezeichneten Geschichte in sechs Bildern, was nach der Ankunft eines Deportationszuges in einem Vernichtungslager geschah. Sein Comic „Nazi Death Parade“ wurde Anfang 1945 in den USA veröffentlicht, als die meisten Konzentrationslager noch in vollem Betrieb waren.

Im August 1944 erschienen Fotografien vom befreiten Vernichtungslager Majdanek in US-Zeitungen

„Ribbens recherchiert schon länger Holocaust-Darstellungen in Comics“, sagt Alexandra Köhring. Solche Darstellungen seien bereits in den 1940er- und 1950er-Jahren häufiger in Comic-Magazinen erschienen. Die Bilderfolge des US-Amerikaners Fröhlich, einem deutschen Einwanderer, erschien, nachdem das Konzentrations- und Vernichtungslager Lublin-Majdanek im besetzten Polen am 24. Juli 1944 – als erstes KZ überhaupt – befreit worden war. Die russischen Truppen, die das Lager befreiten, schossen Fotos, die auch in die USA gelangten. Im August 1944 erschienen ihre Bilder in US-Zeitungen. Die Fotografien dienten Fröhlich als Vorlage.

In der Ausstellung sind auch historische Bilder zu sehen, unter anderem von den Menschen, die in den Graphic Novels dargestellt werden, und von den Orten, an denen sie leben mussten. Zudem können audiovisuelle Interviews mit den Künstlern abgespielt werden. Besucher können auch eigene Zeichnungen anfertigen. Begleitend zur Ausstellung werden im kommenden Jahr Ausstellungs- und Themenrundgänge angeboten.

Comiczeichner können Geschichte der Verfolgten der Nationalsozialisten mit starken Bildern erzählen

„Mithilfe von Zeichnungen lassen sich Stimmungs- und Perspektivwechsel und Zeitsprünge anschaulich erzählen. Die Künstler und Künstlerinnen haben sich mit unterschiedlichen Aspekten der NS-Verfolgung beschäftigt, intensiv recherchiert und eigene Bildsprachen gefunden. Ihre Graphic Novels verdichten komplexe Inhalte auf eine sensible Weise und bilden damit eine zeitgemäße Form der Erinnerung an die NS-Verbrechen“, sagt Professor Oliver von Wrochem, Vorstand der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte.

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„Als Gedenkstätten haben wir die große und herausfordernde Aufgabe, junge und unterschiedliche Zielgruppen anzusprechen. Comiczeichner und -zeichnerinnen können uns dabei helfen, indem sie Geschichte mit starken Bildern erzählen. ‚Picturing the Unimaginable‘ ist ein großartiges Beispiel dafür“, sagt Bas Kortholt, Kurator an der Gedenkstätte Kamp Westerbork.

Zur Ausstellung sind die Comics der verschiedenen Künstler in Buchform erschienen

Zur Ausstellung ist der Graphic-Novel-Band „Picturing the Unimaginable“ mit den Comics der beteiligten Künstler in vier Sprachen (Deutsch, Englisch, Französisch und Niederländisch) erschienen. Der 128-seitige Band (deutscher Titel: „Das Unvorstellbare zeigen“) kostet 27,50 Euro und ist in allen Buchhandlungen sowie online bei scratch-books.com bestellbar. Ab Januar soll der Band auch in der Neuengammer Gedenkstätte zu bekommen sein.

In der Gedenkstätte am Jean-Dolidier-Weg 75 ist „Das Unvorstellbare zeichnen“ bis zum 30. März zu sehen – montags bis freitags von 9.30 bis 16 Uhr sowie sonnabends, sonntags und an Feiertagen von 10 bis 17 Uhr. Geschlossen ist am 24., 25. und 31. Dezember sowie am 1. Januar. Der Eintritt ist frei. „Die Ausstellung wird weiter reisen“, sagt Alexandra Köhring. 2025 wird die Schau auch in der Gedenkstätte Ladelund in Braunschweig und im Bremer Rathaus zu sehen sein.