Bergedorf. Fabio Detmer sitzt seit Mitte des Jahres für die Grünen in der Bezirksversammlung Bergedorf. Dort hat er sein Thema gefunden.

Er ist Autist. Er lebt mit dem sogenannten Asperger-Syndrom, wirkt für manche Mitmenschen gelegentlich schwer verständlich in der Aussprache. Menschen mit diesem Syndrom haben erwiesenermaßen Schwierigkeiten in der Kommunikation und der sozialen Interaktion. Passt das zu einem Engagement in Bergedorfs Lokalpolitik?

Ja, passt, wenn der Betroffene voller Selbstbewusstsein sagt: „Ich habe kein Problem damit, frei zu sprechen.“ Den Rückhalt seiner Parteikollegen und mindestens mal den Respekt der politischen Konkurrenz hat er. Fabio Detmer macht das Beste aus seinem Handicap. Der 30-Jährige gehört seit Kurzem der Bezirksversammlung für Bergedorfs Grüne an und hat es in seiner Partei weit gebracht. Er ist nicht nur verkehrspolitischer Sprecher, sondern auch Inklusionsbeauftragter und die treibende Kraft hinter der AG Junge Grüne Bergedorf.

Bergedorfs Jung-Grüner Fabio Detmer: Ein in vielerlei Hinsicht spezieller Lokalpolitiker

Es liegt irgendwie auf der Hand, dass dem 30-Jährigen Inklusionsthemen sehr am Herzen liegen. Gemeinsam mit der Behinderten-AG Bergedorf stellt sich Detmer irgendwann mal einen Inklusionsbeirat als feste Institution für den Bezirk vor. Wo es dann um Vielfaltsprogramme und Berücksichtigung der Interessen der LGBTQ-Community gehen könnte: „Das ist es doch, wofür wir Politik machen“, sagt Fabio Detmer.

Aufgewachsen ist der Grünen-Nachwuchspolitiker in Norderstedt, hat dort sein Abitur gemacht, bevor er dann eine Ausbildung zum Kaufmann für Verkehrsservice erfolgreich absolvierte. Da ist es wieder, das Thema Verkehr und Mobilität. Menschen mit dem Asperger-Autismus entwickeln Spezialinteressen oder außergewöhnliche Fähigkeiten, die sich zumeist auf naturwissenschaftliche, aber eben auch verkehrliche Themen beziehen.

Er lotste Mitschüler durch den Großstadt-Dschungel – ohne Ortskenntnisse

Bei Fabio Detmer ist eindeutig das Faible für Mobilitätsthemen ausgeprägt. Eine Anekdote aus seiner Schulzeit zeugt davon, genauer gesagt geht sie auf eine Klassenreise nach Berlin zurück: „Ich konnte meine Klassenkameraden, die umherirrten, damals via Telefon mit Bus und Bahn zurück zur Jugendherberge lotsen. Ohne dass ich diese Ecken der Stadt vorher jemals selbst gesehen hatte.“ Da reichte der Blick ins Streckennetz und Google Maps. Mittlerweile verdient Detmer sein Geld bei den Verkehrsbetrieben Hamburg-Holstein (VHH) am Standort Curslacker Neuer Deich, kümmert sich dort um betriebsplanerische Fragen. In der Politik hat er sich völlig dem Gelingen der Mobilitätswende verschrieben.

Für die Politik entdeckt wurde der Mann, der seit 2017 in Bergedorf lebt, dann bei der Ideenwerkstatt Serrahn 2030 zur Umgestaltung des Hafens und seiner Umgebung. Bei jenem Treffen Anfang 2020 wurde Detmer vom damaligen Grünen-Kreisgeschäftsführer Joachim Schöfer angesprochen, „weil er es toll fand, dass sich auch ein jüngerer Mensch für dieses Thema interessiert“. Detmer hatte Interesse an der Grünen-Arbeit und fasste rasch Fuß. Seit Jahresende 2020 gehörte er als zunächst hinzugewählter Bürger dem Bergedorfer Ausschuss für Verkehr und Inneres an. Nach der diesjährigen Bezirkswahl als Kandidat für den Wahlkreis Lohbrügge III/Bergedorf I führte der Weg ins Rathaus.

Dieser Mann lässt einfach nicht locker

Die Aussprache, die klare Verständlichkeit, das war schon immer ein Thema für Fabio Detmer. Von Mitschülern gab es auch mal Hänseleien und Spott. Doch das Selbstvertrauen war bei ihm offenbar schon immer da: „Ich habe schon zu meinen Norderstedter Schulzeiten viel geredet, mich am Unterricht immer beteiligt“, berichtet Detmer. Die Führungsrolle scheint ihm auch in seiner Freizeit nicht gänzlich fremd: Da sitzt er gern mal beim SV Nettelnburg/Allermöhe im Drachenboot. Als Schlagmann für bis zu 20 Mitfahrende. Natürlich in einem bunt durchmischten, inklusiven Boot.

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Mittlerweile hat der 30-Jährige über zahlreiche Beiträge und Fragen aus dem Plenum oder, wie beispielsweise zuletzt in der Bezirksversammlung zum Thema verbindlichen Abstellflächen für E-Scooter, längere Antragspräsentationen am Rednerpult fast Routine entwickelt. Seine fachlichen Qualitäten zweifelt wohl niemand an. Und dann diese Beharrlichkeit, die Detmers Fraktionschefin für Bergedorfs Grüne unterstreicht: „Fabio ist resistent, ernsthaft, lässt bei vielen Themen einfach nicht locker. Er bewegt etwas, ohne vielleicht rhetorisch perfekt zu sein“, sagt Lenka Brodbeck – und mit leichtem Augenzwinkern schiebt die gebürtige Tschechin hinterher, dass es auch bei ihr für manchen „akustisch“ nicht immer einfach sei, sie als nicht deutsche Muttersprachlerin zu verstehen.

Lokalpolitiker Fabio Detmer könnte gutes Beispiel für mehr inklusive Politiker sein

Die Botschaft, die der Wahl-Bergedorfer mit Handicap aussendet: „Es müssen mehr Themen für Menschen mit Behinderung in die Öffentlichkeit“ – und das ende sicher nicht mit der Diskussion über die viel zitierte Barrierefreiheit oder behindertengerechte WCs. Und schon gar nicht mit dem alleinigen Auftritt eines jungen Politikers, der manchem etwas wunderlich vorkommen mag.