Hamburg. Chef des Kirchengemeinderates Kirchwerder ist gegen Abschiebungen aus Gotteshäusern – und damit anderer Meinung als SPD-Genossen.

Die Zeiten werden rauer: Im Landgebiet landen Flugblätter der AfD in den Briefkästen, auf denen Flüchtlinge in einem überfüllten Boot zu sehen sind. Sie riskieren ihr Leben, um dem Elend in ihrer Heimat zu entkommen. „Migrationsnotstand in Hamburg“ steht darüber. Und die Aussage „Das Boot ist voll!“. Die Rechtsaußen-Partei verlangt auch, Namen von Kirchen, ihren Gemeinden und von Geflüchteten im Kirchenasyl öffentlich zu machen und darüber Statistik zu führen. In der Bergedorfer Bezirksversammlung äußerten sich auch Sozialdemokraten gegen ein stringentes Kirchenasyl. Sie waren der Meinung, dass sich die Kirche damit außerhalb des geltenden Rechts stellen würde. Hamburgs Innensenator Andy Grote sorgte jüngst für Schlagzeilen, als er Abschiebung aus Kirchenasyl durchsetzte. Wer bleiben dürfe, entscheide der Staat, argumentierte der SPD-Mann.

Den Bergedorfer SPD-Politiker Hans-Hermann Mauer bringt die aktuelle Diskussion um die Legitimität des Kirchenasyls in eine Zwickmühle. Er vertritt eine Position, „die wohl aktuell nicht mehrheitsfähig ist“ – denn Mauer ist nicht nur Politiker, sondern auch Vorsitzender des Kirchengemeinderates (KGR) in Kirchwerder. Und beim Thema Kirchenasyl betrachte er sich in erster Linie als Mitglied und Vertreter der Kirche.

Kirchenasyl: Vorstand in Kirchwerder will Flüchtlingen in Notlage jederzeit helfen

„Kirchengemeinden, die Kirchenasyl gewähren, tun das nicht leichtfertig“, sagt Mauer. Direkt am ersten Tag würden die Behörden durch die Kirchenasyl gewährende Gemeinde informiert, dass sie einen Geflüchteten in Schutz genommen hat, betont Mauer. Das Kirchenasyl seit also nicht geheim, der Aufenthaltsort des Geflüchteten den Behörden bekannt. Daher sehe er im Kirchenasyl keine Rechtsverletzung und damit auch keinen zivilen Ungehorsam.

Das Kirchenasyl sei eine Möglichkeit, Fehlentscheidungen der Behörden und Gerichte zu revidieren, betont der KGR-Vorsitzende. Aus dem Grund sei im Februar 2015 eine Vereinbarung zwischen Katholischer Kirche, Evangelischer Kirche und den evangelischen Freikirchen in Deutschland mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zum Umgang mit Kirchenasylen getroffen worden. „Teil der Vereinbarung ist die Durchführung einer Art Härtefallprüfung, insbesondere bei sogenannten Dublin-Fällen vor Beginn oder während eines Kirchenasyls. Darin liegt eine Anerkennung, dass humanitäre Härten im Einzelfall übersehen werden können.“

Kirchengemeinde half Flüchtlingen aus der Ukraine, vermittelte auch eine Wohnung

Mauer betont, dass es schon in der Antike die Tradition gab, an heiligen Stätten wie Tempeln, Grabstätten oder heiligen Hainen Menschen Schutz zu gewähren. „Innerhalb dieser Tabuzonen sollten Menschen beispielsweise vor Lynchjustiz oder Blutrache bewahrt werden, vor allem, wenn nicht klar war, ob sie schuldig waren oder nicht“, weiß Mauer. Seiner Ansicht nach bestehe „kein Anlass, in irgendeiner Form über etwas ‚neu‘ nachdenken zu wollen, es sei denn, man lässt sich von Rechtspopulisten vor den Karren spannen“.

Zu konkreten Kirchenasyl-Fällen in Kirchwerder mag sich Mauer nicht äußern, weil dieses Asyl vertraulich gewährt werde und das Thema sensibel sei. Die Schicksale von Geflüchteten seien dem KGR allerdings alles andere als egal, betont der Vorsitzende. So wurden vor drei Jahren Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine für ein halbes Jahr in einem Haus der Kirche am Kirchenheerweg 77 untergebracht. Innerhalb der Kirchengemeinde konnte der Familie eine reguläre Mietwohnung vermittelt werden. „Dafür ist die Familie uns noch immer dankbar. Sie hilft uns bei Festen“, sagt Mauer.

Kirchengemeinderäte würden jeden einzelnen Fall sorgfältig prüfen und diskutieren

„Ich würde Flüchtlingen in besonderer Notlage jederzeit Asyl gewähren. Härtefallprüfungen müssen ermöglicht werden“, sagt der KGR-Chef. „Natürlich muss das im KGR abgestimmt werden, aber da sind wir uns grundsätzlich einig.“ Kirchengemeinderäte, die Schutzsuchenden Asyl gewähren, würden es sich nicht leicht machen, betont Mauer: „Sie diskutieren und prüfen jeden einzelnen Fall intensiv.“

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Ende September war ein 29-jähriger Afghane aus einem Kirchenasyl der katholischen Kirche in Bergedorf geholt und abgeschoben worden – der erste Fall dieser Art in Hamburg. Die Nordkirche kritisierte die Entscheidung heftig, erhob daraufhin schwere Vorwürfe gegen die Behörden. Es handle sich um einen „Bruch des Kirchenasyls“ und um eine „Grenzüberschreitung“, meinte Pastorin Dietlind Jochims, Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche. Sie betonte, dass es nicht nur um Gesetze geht, sondern um Menschenleben.

Im Kirchenkreis Hamburg-Ost wird aktuell fünf Menschen Kirchenasyl gewährt

Der Afghane wurde nach Schweden abgeschoben, weil er 2015 dorthin geflüchtet war. Nach europäischem Recht ist Schweden für sein Verfahren zuständig. Der Mann war ein sogenannter „Dublin-Fall“, ein Asylsuchender, für dessen Verfahren eigentlich ein anderer EU-Staat zuständig ist. Wenn Deutschland die Zuständigkeit für das Verfahren nicht übernehme, argumentiert Grote, müsse das Kirchenasyl beendet werden. Im Sommer habe es bundesweit immer wieder Fälle gegeben, in denen staatliche Behörden das Kirchenasyl gebrochen hätten, berichtete Hamburgs Bischöfin Kirsten Fehrs Ende September dieser Zeitung.

Im Kirchenkreis Hamburg-Ost befinden sich aktuell fünf Menschen im Kirchenasyl, teilt Remmer Koch mit. Er ist Sprecher des Kirchenkreises mit 107 Kirchengemeinden mit rund 372.000 Mitgliedern, der sich über die Metropolregion Hamburg erstreckt.

Kirchenasyl: Viele Kirchengemeinden seien von Politikwechsel verunsichert

„Beim Kirchenasyl geht es darum, Menschen, die von Abschiebungen bedroht sind, vor der Verletzung ihrer Menschenwürde und ihrer grundlegenden Menschenrechte zu bewahren. Es ist eine Form des Schutzes, mit der auf besondere Härtefallsituationen aufmerksam gemacht wird, in der Hoffnung, dass diese noch einmal überprüft und korrigiert werden“, sagt Christoph Johannsen, Leiter der Kirchenkreisarbeitsstelle Migration und Asyl. Viele Gemeinden, Ehrenamtliche und Betroffene seien von dem Politikwechsel verunsichert: „Dass Schutzräume für besonders vulnerable Menschen angegriffen werden, ist nicht nachvollziehbar. Wir appellieren daran, diese Schutzräume weiterhin zu achten.“