Hamburg. Erstmals wurde ein Afghane aus dem Kirchenasyl abgeschoben. Javid J. berichtet, wie seine letzten Stunden in Deutschland abgelaufen sein sollen.

  • Am 30. September wurde ein Afghane aus dem Hamburger Kirchenasyl abgeschoben
  • Der 29-Jährige ist nach Schweden gebracht worden, wo sein Asylgesuch bereits abgelehnt worden war
  • Nun sitzt er wieder in einem Abschiebegefängnis in Glückstadt – Kirchen und Grüne üben Kritik

Der Fall hatte am 30. September Schlagzeilen gemacht: Erstmals wurde an jenem Tag ein Afghane aus einem Hamburger Kirchenasyl herausgeholt und abgeschoben. Der 29-Jährige hatte in einer Unterkunft der Pfarrei Heilige Elisabeth in Bergedorf gelebt. Er wurde zurück nach Schweden gebracht, wo seine Familie lebt und sein Asylgesuch bereits abgelehnt worden war. Inzwischen ist der junge Mann aber nach Deutschland zurückgekehrt und soll nun in einem Abschiebegefängnis in Glückstadt sitzen.

Abschiebung aus Hamburger Kirchenasyl: So erlebte der Afghane seine Abholung

Die Kirchen hatten die Abschiebung als „Tabubruch“ kritisiert. Sie hatten sich für den jungen Mann eingesetzt, der durch traumatische Erlebnisse in Afghanistan psychisch krank und suizidgefährdet sein soll. Innensenator Andy Grote (SPD) wiederum hatte die Abschiebung als rechtens verteidigt. Nun bemüht sich die Hamburger Grünen Fraktionschefin Jennifer Jasberg, den Betroffenen selbst zu Wort kommen zu lassen: Ihr liegt, über die Kirche, sein Bericht über die Geschehnisse vor. Der Text sei „im Original auf Persisch geschrieben und wurde übersetzt und mehrfach gegengecheckt“, so Jennifer Jasberg. Es ist eine rein subjektive Schilderung, weiß die Fraktionschefin. Doch sei es wichtig, auch seine Perspektive zu sehen, betont sie.

Demnach wurde der junge Mann mitten in der Nacht geweckt: „Um 1 Uhr morgens bin ich fast eingeschlafen, es klingelte und dann dachte ich, es wären Freunde der Nachbarin. Ich öffnete die Tür nicht, dann klopfte es sehr laut an die Tür, da war auch das Geräusch des Bohrens, nach ein paar Sekunden schlug die zweite Tür sehr heftig auf. Als ich die Tür meines Zimmers geöffnet habe, sah ich, dass es viele Polizisten gab und meine Angst verzehnfachte sich. Sie schrien: Wir sind die Polizei, leg dich auf dem Boden.“

Abschiebung aus Hamburger Kirchenasyl: „Nachts schlug die Polizei meine Tür auf“

Er habe gefragt: „Was ist passiert, warum sind Sie hierhergekommen?“ Sie hätten gesagt: „Du lebst hier illegal. Jemand hier hat uns informiert.“ Dann hätten ihm die Polizisten Handschellen angelegt. Sie hätten ihn gefragt, ob er ein Messer habe und er habe verneint. Im Bad habe er seine Kleidung ausziehen müssen. „Die Polizisten sagten es mir, hier leben Sie illegal, jemand hat uns davon erzählt. Wir haben einen Brief vom Gericht und der erlaubt uns, dies zu tun. Deswegen nehmen wir dich mit uns nach Frankfurt. Sie sagten mir, wenn du ruhig bist, sind wir auch ruhig.“ Doch seine Kehle sei mit Angst und Wut gefüllt gewesen.

Kirchenasyl
Das Kirchenasyl wird angewendet, wenn die Kirche gewichtige humanitäre Gründe gegen eine Abschiebung sieht (Symbolfoto). © picture alliance / epd-bild | Hans-Juergen Bauer

Abschiebung aus Hamburger Kirchenasyl: „Das ist ein Gesetz und das ist Politik“

Er habe sich wieder anziehen dürfen. „Aber die Angst vor der Polizei war in mir, und ich konnte auch kein gutes Deutsch sprechen. Die Polizei brachte mich zum Bus, setzte mich auf einen Bussitz und gab mir eine Flasche Wasser und ein paar kleine Pralinen.“ Weiter schildert Javid J., dass er weinte, sich hilflos fühlte, dass sich der Kopf anfühlte, als werde er explodieren.

Im Flugzeug sei das noch schlimmer geworden. Er sei gefragt worden, ob er Medikamente benötige, lehnte aber ab. In Schweden sei er an die Polizei übergeben worden. „Dann brachten mich die beiden Schweden in ihrem Büro und fragten, warum sind ich nach Deutschland gegangen bin. Als Antwort sagte ich mit Tränen im Auge: ,Ich war neun Jahre lang in Schweden, Sie haben mich nicht akzeptiert‘“. Sein Leben sei in Gefahr, „ich kann auf keinen Fall nach Afghanistan gehen“. Der schwedische Polizist habe geantwortet: „Ich verstehe dich, aber das ist ein Gesetz und die Politik.“ Es würden nur die Regeln umgesetzt.

Doch ob eben jene Regeln menschlich sind und ob eine Abschiebung aus dem Kirchenasyl gerechtfertigt war, daran zweifeln auch Hamburgs Grüne. Javid J. sei nur „ein Beispiel von vielen, die ihre Heimat verloren haben und zerrissen werden, auf der Suche nach Schutz“, so Grünen-Fraktionschefin Jennifer Jasberg: Der Bruch mit der Tradition des Kirchenasyls sei ein „fatales Signal“ und habe eine schwerwiegende politische Dimension. „Unser Grundgesetz verpflichtet uns aus guten Gründen, die Würde jedes Einzelnen zu schützen.“

Abschiebung ein „Akt der Barbarei“?

Auch Bergedorfs Grünen-Fraktionsvorsitzender, Nils Potthast sieht den Fall von Javid J. als „ein erschreckendes Beispiel für den Umgang mit besonders schutzbedürftigen Menschen, die nach oft traumatischen Erlebnissen auf unsere Hilfe angewiesen sind“. Jeder sei ein Jemand, „und das bedeutet, dass wir auch jedem Einzelnen die Würde und den Respekt schulden, die unser Grundgesetz zusichert“, so Potthast, der zu dem Geschehen auch ein Auskunftsersuchen gestellt hat. Für den Lohbrügger Ingo Werth von Fluchtpunkt Bergedorf und RESQSHIP e.V. ist es gar „ein Akt der Barbarei eine traumatisierten, psychisch angeschlagenen Menschen nachts wie einen Schwerverbrecher aus der Obhut der Kirche, aus seinem Bett zu entführen, um ihn denjenigen zu überstellen, die ihn in den möglichen Tod in das Land seiner Flucht zurück schicken wollen“.

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Javid J. selbst empfand die Ankunft in Schweden als schlimm. Die Behörden hätten ihm auch in den Tagen danach keine Hoffnung gemacht, dass sein Fall noch einmal aufgerollt wird. Er lebe erst einmal bei meiner Mutter, „aber sie hat sehr wenig Platz und wenig Geld“, sie sei traurig und krank und weine jeden Tag. „Ich bitte die deutsche Regierung und die Menschen in der Kirche, mich nicht alleine zu lassen, um mich vor einer schlimmen Situation zu bewahren. Sie sollen etwas tun, damit die Menschenrechte und die Menschenwürde nicht infrage gestellt werden.“

Später kehrte Javid J. nach Deutschland zurück. Er habe sich hier, so Jennifer Jasberg, eigenständig bei den hiesigen Behörden gemeldet.