Hamburg. Hamburgs Erster Bürgermeister formuliert in Lohbrügge viele Ziele: Wie er bezahlbaren Wohnraum und Klimaneutralität schaffen will.

Peter Tschentscher appelliert bei seinem mittlerweile vierten Besuch im Bezirk Bergedorf innerhalb kürzester Zeit nicht nur an das Klimagewissen der Bürger. Hamburgs Erster Bürgermeister verspricht in der Stadtteilschule Lohbrügge mehr bezahlbaren Wohnraum gerade für jüngere Menschen und weniger Bürokratie bei Bauvorhaben. Der Aufritt des 58-jährigen SPD-Politikers in der Schulaula verläuft übrigens komplett störungsfrei. Das war am 3. April 2023 gut einen Kilometer weiter im Kulturzentrum Lola ganz anders. Ein damals 69-Jähriger hatte ungebeten die Bühne betreten, das Sicherheitspersonal musste eingreifen.

Das Format „Peter Tschentscher live“ soll ausdrücklich kein Wahlkampf sein. Der startet für die Hamburger Genossen speziell für die Bürgerschaftswahlen am 2. März 2025 dann im Januar und wird zur Doppelbelastung. Denn bekanntlich wird eine Woche vorher ein neuer Bundestag gewählt. Und obwohl Tschentscher in Lohbrügge keine Attacken auf politische Rivalen setzte, stellt sich der Sozialdemokrat über fast zwei Stunden natürlich in ein positives Licht, gibt sich kumpelhaft und bürgernah.

Peter Tschentscher macht Station in Lohbrügge: Warum Modernisierung jetzt unbedingt sein muss

„Also wenn ihr das nächste Mal so eine schicke Schule wie die Stadtteilschule Kirchwerder baut, ladet mich doch auch mal ein“, sagt Tschentscher in Richtung der Moderatorin Katja Kramer (Fraktionsvorsitzende der SPD Bergedorf) und des Bürgerschaftsabgeordneten Nils Hansen, als es um Hamburgs Bildungs- und Schulpolitik geht.

10.000 neue Wohnungen pro Jahr als Zielmarke gesetzt

Was hat der 58-Jährige sonst auf der Habenseite? Das Publikum durfte entscheiden, zu welchen Themen der Gast aus dem Rathaus reden soll. Schule/Bildung ist gesetzt, mehrheitlich interessieren weiterhin Umwelt/Klimaschutz sowie Bauen/Wohnen. Letzteres kam Tschentscher nicht ganz unliebsam. So konnte er die aus sozialdemokratischer Sicht erfolgreiche Wohnungsbaupolitik darlegen.

10.000 neue Wohnungen pro Jahr hat sich der rot-grüne Senat als Zielmarke gesetzt, liegt jetzt bei rund 130.000 genehmigten Wohnungen seit Übernahme der Regierungsgeschäfte durch die SPD im Jahr 2010. „Davon haben wir auch bereits 100.000 Wohnungen gebaut“, sagt Tschentscher. Und: „In Hamburg gibt es auch Mietsteigerungen, aber wir haben im Vergleich zu allen anderen Bundesländern den geringsten Anstieg.“

Bürgermeister berichtet von Pendelei zwischen Hansestädten

Unter den fast 100 Gästen in der Aula sind viele junge Menschen, Schüler, Studenten, Auszubildende, kaum älter als 20 Jahre. Zu ihrer Lebensrealität gehört es, zu welchem Preis sie sich überhaupt ein eigenes Dach über dem Kopf leisten können, was vielfach einfach unrealistisch sei, wie es aus dem Plenum heißt. Für sie hatte Tschentscher eine gute Nachricht dabei: Der Senat will „gezielt je 3000 Wohnplätze“ für Studenten einerseits und für Auszubildende andererseits schaffen.

Es könne ja nicht angehen, wie Hamburgs Spitzenpolitiker aus vielen Gesprächen weiß, dass Hamburger Studenten teilweise in Bremen wohnen müssten, da dort die Mieten günstiger sind. Hier könnte auch der neue Stadtteil Oberbillwerder eine wichtige Rolle spielen.

Tschentscher will Baubürokratie und Baukosten reduzieren

Ein älterer Zuschauer drückt hingegen sein Unverständnis aus: „Herr Tschentscher, wird insgesamt in Hamburg nicht falsch gebaut? Müssten es nicht 20.000 statt 3000 studentengerechte Wohnungen sein? Bei den vielen Singles kann es doch nicht sein, dass einer allein eine Vierzimmerwohnung bewohnt.“ Tschentscher findet den Einwand gut: „Genau richtig. Wir müssen mit Wohnflächen sparsamer umgehen, und auch diejenigen mit dem kleineren Portemonnaie bedenken.“

Tschentschers weitere Philosophie in dieser Hinsicht: Baubürokratie und Baukosten reduzieren. Auch die heiß debattierte Erhaltungsverordnung für das Gojenbergsviertel ist ein Thema. Ein Bergedorfer ist gar kein Fan davon: „Meine Bitte an Sie: Machen Sie sich fachkundig und verhindern Sie das!“

Tschentscher live
Der Auftritt von Peter Tschentscher in der Stadtteilschule Lohbrügge war sein 28. unter der Überschrift „Peter Tschentscher live“ und der letzte in dem weniger wahlkampforientierten Format.      © BGDZ | Jan Schubert

Dann rückt Tschentscher das Ziel Klimaneutralität ins Bewusstsein. Er wisse zwar um das Stadtbild mit „Baustellen, Baustellen, Baustellen“, erklärt es aber im selben Atemzug so: „Man kann diese Modernisierungen nicht absagen, weil wir sonst ins Hintertreffen geraten.“ Hamburg möchte bis zum Jahr 2030 seine CO2-Bilanz um 70 Prozent reduzieren. Tschentscher glaubt an das Erreichen dieses Ziels – wenn nun „große Schritte“ folgen.

Warum Tschentscher mittlerweile Fan von autonomen Fahrangeboten ist

Dazu zählt der Bürgermeister auch den Ausbau eines dekarbonisierten Fernwärmenetzes im Bezirk Bergedorf. Wer künftig Fernwärme beziehe, könne „sehr glücklich“ sein. Tschentscher lobt bei der Gelegenheit gleich noch die kommende Energieversorgung in Oberbillwerder: Hier werde Wärme für 7000 Wohnungen aus Abwasser gewonnen. Besser gehe es in Sachen Klimaneutralität nun wirklich nicht. Auch die Zukunftstechnologie grüner Wasserstoff findet der Mediziner spannend.

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Tschentscher weiß aber auch, dass die Verkehrsbilanz der Zwei-Millionen-Stadt besser werden muss. Weniger Autofahrten, dafür mehr Bahn- und Bus-Angebote – das muss das Motto sein. Und wenn schon die Fahrt mit dem Pkw, dann aber bitte richtig, etwa durch die Ausweitung von autonomen fahrenden Shuttleangeboten.

Tschentscher ist spätestens seit seiner kürzlich erfolgten Testfahrt in San Francisco („Nach 20 Minuten finden sie das auf belebten Straßen normal“) ein totaler Fan dieser Mobilität, saß auch einst noch leicht skeptisch als einer der ersten Fahrgäste im Projektbus e-Moin, der 2021 durch das Bergedorfer Villengebiet zu Testzwecken herumkurvte.

„In der Demokratie muss man sich erklären“

„Ich will solche Angebote hier einführen, damit die letzte Meile auf dem Weg nach Hause abgedeckt wird“, denkt Tschentscher auch an das dünn besiedelte und vom ÖPNV nicht gänzlich abgedeckte Gebiet der Vier- und Marschlande. Auch beim Thema E-Ladesäulen-Infrastruktur gebe es noch reichlich Ausbaupotenziale.

Tschentscher hat in knapp zwei Jahren 28 Termine in Bürgerhäusern, Stadtteilzentren, Treffpunkten abgerissen, jeden Bezirk also viermal besucht. „In der Demokratie“, so einer seiner Leitfäden, „muss man sich erklären, auch wenn das manches Mal schmerzhaft sein kann.“ In Lohbrügge war er aber zum Abschluss seiner politischen Rundreise durchaus wohlgelitten.