Hamburg. Früher haben sie Ferien in der alten Heimat gemacht. Jetzt bringen Sergiy Khavkin und Svitlana Gumynska Hilfsgüter ins Kriegsgebiet.

27 Jahre lang war es jeden Sommer Tradition: Sergiy Khavkin und Ehefrau Svitlana Gumynska packten ihre Kinder ein und fuhren den Sommer über in die alte Heimat, die Ukraine. 1994 hatten sie das Land verlassen; seit 2006 leben sie in Bergedorf und engagieren sich hier über ihren Verein Kultur und Technik Hamburg in der Kinder- und Jugendhilfe. Doch mit dem Krieg in der Ukraine endeten 2022 die Ferienreisen. Stattdessen begann ein neues Kapitel: Das Ehepaar bringt nun Hilfsgüter in das Land. Und zwar nicht nur bis zur Grenze oder bis nach Kiew, so wie viele andere, sondern bis in den letzten Winkel des Landes.

Sumy heißen eine Stadt und auch eine Oblast im Nordosten kurz vor der russischen Grenze. Dorthin, so zeigen es auch Dankesschreiben der staatlichen Verwaltung, bringen die beiden seit 2022 Hilfsgüter. In diesem Jahr waren sie sogar schon dreimal dort. Lebensmittel kommen dort zwar an, sagt Svitlana Gumynska. Doch an allem anderen fehlt es. Zum Beispiel an Laptops, die im Kriegsgebiet eine große Rolle spielen.

Bergedorfer Ehepaar bringt Hilfsgüter ins Kriegsgebiet der Ukraine

„Viele Kinder können nicht mehr zur Schule gehen“, stellt Sergiy Khavkin fest. Weil Russland auch Schulen bombardiert, ist es dort nicht sicher genug und die Kinder lernen online von zu Hause aus oder auch in Kellern. „Nur haben viele Familien gar kein Geld für einen Laptop“, sagt er. Zum Glück hat der 63-Jährige, der in Bergedorf Technik- und Computerkurse für Kinder anbietet, einen guten Draht zu einer Organisation, die ihm gebrauchte Laptops abgibt. Die Geräte werden gesammelt, in den Transporter des Paares geladen und in die Ukraine gebracht.

Hinzu kommt alles, was sonst noch gebraucht wird, warme Decken beispielsweise, Stickwolle oder Stoffe zum Nähen. Viele Ukrainerinnen nähen für Verwundete, die Arme oder Beine verloren haben. Weil die Menschen oft zahlreiche Stunden in Kellern verbringen müssen, stehen auch Taschenlampen hoch im Kurs. Sergiy Khavkin berichtet, dass er größere Technikkonzerne in Deutschland um Spenden gebeten, aber nur Absagen bekommen hat. Deshalb ist das Ehepaar dazu übergangen, selbst Taschenlampen zu basteln.

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Sergiy Khavkin und Svitlana Gumynska übergeben Laptops in der Ukraine. © privat | Privat

Begonnen hatte ihr Engagement, wie sie erzählen, nur wenige Wochen nach Putins Angriff auf die Ukraine. „Wir haben unseren Urlaub storniert und sind an die Grenze gefahren, um Leute abzuholen“, berichtet Sergiy Khavkin. Mit seinem Mercedes Vito, der acht Sitze hat, brachte er die Menschen nach Hamburg, alte wie junge. Einmal hätten in seinem Wagen gleichzeitig ein 93-Jähriger und ein zwei Monate altes Baby gesessen. Einige Geflüchtete, die seit vielen Tagen ohne Essen oder eine Dusche unterwegs gewesen waren, brachten die Bergedorfer zunächst bei sich zu Hause unter; das Paar selbst schlief im Computerraum des Vereins auf dem Boden. Doch dank der Reemtsma-Stiftung habe schnell ein leeres Haus gefunden werden können, berichtet Sergiy Khavkin. So brachte das Paar insgesamt 18 Familien sicher hierher, half danach auch noch bei Möbelausstattung und Co.

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Das Bild zeigt die Übergabe des Rettungswagens, der von der Reemtsma-Stiftung finanziert und von den Bergedorfern in die Ukraine gebracht wurde. © privat | Privat

Als die Fluchtbewegung abnahm, begann das Engagement mit den Hilfsgütern. Denn Sergiy Khavkin und seine Frau beobachteten, dass einige Spenden einfach nur an der Grenze übergeben wurden. Und manches kam so wohl nicht bei den Ärmsten an, sondern wurde dann verkauft, „verpackt in Tüten zum Kilopreis“. Andere Spenden kamen nur bis nach Kiew, aber nicht auf die Dörfer. So entstand die Idee, selbst Hilfsgüter in die alte Heimat zu bringen und diese auch eigenhändig zu übergeben.

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Das Ehepaar kann viele Fotos solcher Momente zeigen. Etwa die Übergabe eines Krankenwagens, den die Bergedorfer mit Hilfe der Reemtsma-Stiftung kaufen und in die ländliche Region bringen konnten. Mit dem restlichen Geld habe eine Waschmaschine für eine Senioreneinrichtung angeschafft werden können, erzählt das Paar. Sergiy Khavkin kaufte zudem noch auf eigene Kosten eine Drohne. Das Gerät soll beim Reparieren der oft zerfetzten Stromtrassen helfen: Weil allein in der Region Sumy wohl zwei Männer starben, als sie mit dem Blick nach oben Stromleitungen prüften und dabei auf Minen traten, soll die Drohne nun bei der gefahrlosen Überprüfung der Leitungen aus der Luft helfen. Auch ihren alten Lada brachten die Bergedorfer in die Ukraine und verschenkten ihn dort.

Einige Dankesschreiben und Urkunden hat das Ehepaar daheim an der Holtenklinker Straße schon liegen. Aber es werden wohl noch mehr werden: Denn spätestens im nächsten Sommer soll es wieder nach Sumy gehen. Dass sich das Paar dort selbst in Lebensgefahr bringt, ist ihm bewusst. „Wir haben auch schon Drohnen über unseren Köpfen gehört“, berichtet Sergiy Khavkin. Das klinge „wie ein Motorroller“. Bewohner gaben ihnen zudem einige Zeugnisse des Krieges mit: Der Rest einer Rakete und ein russisches Trümmerteil „zieren“ nun mahnend ihren Bergedorfer Hauseingang.