Hamburg. Ruthild Giesen und Juliane Niemeyer haben die Arbeit im Bethesda Krankenhaus Bergedorf geprägt. Jetzt gehen sie in den Ruhestand.
Das kommt nicht gerade selten vor auf den vielen Gängen des Agaplesion Bethesda Krankenhauses. Da werden die Pflegedirektorin des Hauses und ihre Stellvertreterin schon mal aufgrund ihrer gewissen Ähnlichkeit verwechselt. „Schwester Juliane – oder ist es doch Schwester Ruthild?“ Passierte vom ersten, gemeinsam begonnenen Dienst-Tag an im Sommer 1993 des Öfteren, als die Rheinländerin Ruthild Giesen und die Niedersächsin Juliane Niemeyer dem Bethesda ihren Stempel aufdrückten. Nun bereitet sich die Pflege-Doppelspitze passenderweise auf den gemeinsamen Abschied zum Jahresende vor.
Kaum zu glauben, dass es Giesen und Niemeyer 35 Jahre, davon 31 als Führungsdoppel im Bethesda, zusammen ausgehalten haben. Dabei war ihr Kennenlernen im Klinikum Osnabrück im Jahr 1989 zwischenmenschlich eher verhunzt: Die dortige Stationsleiterin Niemeyer kam in der damaligen Arbeitsgruppe extrovertiert daher, Giesen als noch stellvertretende Oberin aus der Schwesternschaft des Evangelischen Diakonievereins Berlin-Zehlendorf eher wortkarg. „Ich musste erstmal jahrelang gegen mein arrogantes Image angehen“, sagt Ruthild Giesen.
Bergedorfer Bethesda Krankenhaus: 62 Jahre Pflegekompetenz gehen bald in den Ruhestand
Das ist Ruthild Giesen geglückt, denn es brauchte zwei starke Frauen mit Herz im Bethesda, die nach ihrem Dienstantritt am 1. Juli 1993 vor allem für eines sorgten: Pflegekräften eine Stimme zu verleihen. Als unerfahrene Diakonieschwestern erinnern sie ihre damalige Arbeitsstätte als klein, provinziell, „ein wenig wie im Dornröschenschlaf“. Die Konkurrenz zum Allgemeinen Krankenhaus (AK) am Gojenbergsweg ist allgegenwärtig, doch die Fusion schafft letztlich klare Verhältnisse im um ein Vielfaches erweiterten Krankenhaus am Glindersweg im Jahre 2004.
Giesen und Niemeyer brachten sich immer wieder ins Krankenhausgeschehen ein – ungewöhnlich für zwei Krankenschwestern. Dabei nahm Ruthild Giesen als Pflegedirektorin und Oberin großen Einfluss darauf, wie sich ihr Arbeitsumfeld darstellte, sichtete und besprach Baupläne mit, modernisierte die Pflege, etablierte das Qualitätsmanagement und die Hygiene. Schon außergewöhnlich. Mitstreiterin und Stellvertreterin Niemeyer ihrerseits setzte ihre Priorität auf pflegerische Ausbildung und fungierte zudem als Ansprechpartnerin für Pflegekräfte und die anderen Abteilungen im Haus.
Das Jobangebot erreichte junge Krankenschwestern „down under“
Was im Rückblick auch zur langanhaltenden Freundschaft der heute 64-jährigen Frauen, die in Börnsen auch noch in einer WG zusammenleben, zuträglich war, ist die strikte Trennung von Arbeitsthemen und Privatem. Konträre Meinung, gegensätzliche Standpunkte waren nicht selten in 31 Jahren am Glindersweg, wenn es um Inhaltliches im Job ging. Und unabhängig voneinander Feierabend machen und nach Hause fahren, das konnten beide sowieso in all den Jahren recht gut.
Doch noch toller erzählt sich, wie die beiden jungen Schwestern letztlich in Bergedorf landeten – und wie sehr sich der Arbeitgeber strecken musste, das Duo auch zu bekommen. Denn Mitte des Jahres 1992 hatten die Freundinnen anderes im Sinn, wollten ein Jahr lang Australien als Backpacker erkunden, als im Frühjahr 1993 plötzlich die Anfrage aus Berlin im Faxgerät in einer Jugendherberge in Sydney einging. „Wir sind beide gefragt worden, ob wir uns Bergedorf vorstellen können“, erinnert sich Juliane Niemeyer – sie konnten es.
„Besonderes Wir-Gefühl“ eingeführt
Was dann folgte: Der Diakonieverein bezahlte die einwöchige Rückholaktion nach Deutschland und schließlich auch den Transfer nach Australien zurück, damit Ruthild Giesen und Juliane Niemeyer ihren „Zukunftsplan“ an den Evangelischen Diakonieverein, Kooperationspartner der Bergedorfer Klinik, formulieren konnten. „Wir hatten etwas andere Vorstellungen“, weiß Ruthild Giesen noch sehr genau. Ein wesentliches, fast schon revolutionäres Beispiel: Pflegekräfte sollten im Bethesda nicht mehr in den traditionellen Trachten mit Haube umherlaufen, mit ihrer Stationskleidung näher dran sein am sonstigen Personal.
Sind das alles nur Kleinigkeiten? Ganz und gar nicht, Giesen und Niemeyer haben Maßgebliches für ihre Berufskollegen erreicht, die zurzeit mit 470 Köpfen auch die größte Gruppe in heutigen Agaplesion Bethesda Krankenhaus: „Wir haben hier eine Stimme gehabt, ein besonderes Wir-Gefühl eingeführt.“ Immer auf Augenhöhe mit Medizinern, Verwaltung, Therapeuten, Haustechnikern.
Zum Ausstand gibt es einen furiosen Auftritt
Umso folgerichtiger, was Ruthild Giesen nun sagt: „Jetzt gehen wir auch zusammen.“ Das letzte gemeinsame Abenteuer am 29. November 2024 steigt im Lohbrügger „Flamingo“ mit über 200 Gästen. Bei der Abschlussparty darf Juliane Niemeyer noch mal so richtig aus sich rausgehen – als Leadsängerin der „Bandthesda“.
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Und danach? Heißt das Motto, erstmal im Leben anzukommen, weil vieles in der Krankenhaus-Zeit zurückstehen musste. Die beiden hätten da zum Beispiel ein Wohnmobil zu Hause stehen und Juliane Niemeyer diese Idee eines generationenübergreifenden Wohnprojekts in ihrer Wahlheimat. Der abtretenden Pflegespitze ist um die Zukunft im Bethesda gar nicht bange. Aleksandra Kahrs und Andrea Kasiske übernehmen zum 1. Januar 2025, und auch der immer wieder ausgerufene Pflegenotstand gehöre in der Berufssparte als stetiges Auf und Ab dazu. Aktuell sieht Ruthild Giesen eine „gute Bewerberlage“, weil das Bethesda international qualifiziertes Fachpersonal rekrutiere, das auch vernünftig bezahlt wird. 3000 Euro brutto ohne Zulagen sind Standard.