Hamburg. Erich Heeder verkauft in Bergedorf immer weniger Ausgaben des Obdachlosenmagazins. Wie er den Auflagenschwund stoppen würde.
Solange es das Straßenmagazin Hinz&Kunzt gibt, so lange gibt es auch ihn als regelmäßigen Verkäufer und Repräsentanten für das monatlich erscheinende Blatt: Erich Heeder verkauft seit mehr als 30 Jahren Druckexemplare auf den Wochenmärkten in Bergedorf und Lohbrügge.
Doch so langsam sorgt sich der selbsternannte Lebenskünstler um das Fortbestehen der Zeitschrift und hat nun eigene Rettungsideen entwickelt. Hinz&Kunzt wiederum begrüßt die Vorschläge des Straßenverkäufers, steht aber nach eigenen Angaben nicht vor dem existenziellen Aus.
Hinz&Kunzt-Leser können künftig auch bargeldlos zahlen
Erich Heeder kann sich nicht mehr ganz genau erinnern. Doch Mitte der 1990er-Jahre nahm er 2000 Magazine monatlich von Hamburgs bekanntestem Straßenmagazin, anfangs an der Bugenhagenstraße beheimatet, ab, die er an die Frau oder den Mann brachte. Kein ganz schlechter Verdienst.
Heute kostet eine Ausgabe 2,20 Euro, und 50 Prozent des Verkaufspreises dürfen die etwa 500 Verkäufer selbst einstecken. Kumuliert dürften es, so schätzt Erich Heeder, etwa 60.000 Ausgaben Hinz&Kunzt gewesen sein, die er in Bergedorf und Lohbrügge seit November 1993, dem Druck der Erstausgabe, verkauft hat.
Niedergang der Straßenmagazine weltweites Problem
Diese goldenen Zeiten sind vorbei. Heute nimmt Heeder maximal 100 Ausgaben mit, „und davon verkaufe ich längst nicht alle“, ist der 72-Jährige betrübt. Keine 100 Euro Verdienst bleiben demnach, wenn nicht ab und an mal jemand spendabel mehr geben würde – insgesamt dennoch frustrierend: Heeder verlässt oftmals bereits nach zwei Stunden ohne verkauftes Heft seinen Standort. Auch größere gesellschaftliche Einrichtungen, die konstant ein Heft im Monat abnehmen, gibt es zurzeit nicht mal mehr eine Handvoll. Das Lola Kulturzentrum, eine psychotherapeutische und eine hausärztliche Praxis – das ist es auch schon.
Initialzündung, endlich zu handeln, war für Erich Heeder letztlich ein flüchtiges Gespräch mit H&K-Geschäftsführer Jörn Sturm im neuen Verlagshaus an der Minenstraße. Sturm war dabei, als kürzlich das International Network of Street Papers, sozusagen das Bindeglied internationaler Straßenmagazine, zur mehrtägigen Konferenz nach Liverpool einlud. Dabei sollen Delegierte von etwa 40 Straßenmagazinen vom gesamten Erdball anwesend gewesen sein. Was Heeder davon erfuhr, war für ihn ernüchternd: „Keiner soll eine Idee gehabt haben, wie der Niedergang der Straßenzeitungen gestoppt werden kann.“
Appell an das soziale Gewissen der Mitmenschen
Keine Ideen, so etwas kommt in der Welt des passionierten Hutträgers nicht vor. Erich Heeder hat seine Rettungsstrategie über Online-Kanäle veröffentlicht – und manches Mal liegt in der Simplizität des Gedankens womöglich die Chance: Zum einen startet der 72-Jährige einen Suchaufruf nach Lesern, zum anderen möchte er eine Art Denkfabrik initiieren, um Themen für das Magazin zu generieren. Der stets politisch interessierte Heeder hätte da ebenfalls Vorschläge, etwa eine monatliche Themenseite aus der Hamburger Bürgerschaft.
Die H&K-Redakteure würden schon viel abdecken, nach Erich Heeders Ansicht aber eben nicht alles. „Das Soziale darf doch nicht verloren gehen“, appelliert Herder. Er glaube nicht, dass allein Corona und Kriegsausbrüche für den Rückgang der Verkaufszahlen verantwortlich seien. Es fehle einfach auch am magazinlesenden Nachwuchs, „da kommt keiner mehr nach“. Erich Heeder verweist darauf, dass er in der Vergangenheit schon bestimmte erfolgreiche Ideen mit dem Magazin umgesetzt hat, die über Jahre gut funktionierten, so etwa das Wintercafé für Obdachlose auf dem Gerhard-Hauptmann-Platz. Ob seine niedrigschwellige Online-Kampagne ziehe, wisse er selbst nicht.
H&K künftig mit QR-Code bezahlen
In Hochzeiten lag die gedruckte Auflage von Hinz&Kunzt bei 70.000 Exemplaren, mittlerweile liegt sie bei 52.629, erholt sich nach Angaben von Sybille Arendt, Pressesprecherin des Hamburger Straßenmagazins, nach der Corona-Pandemie sukzessive. Hinz&Kunzt sei nicht stärker betroffen vom Auflagenschwund als andere Printprodukte. „Das ist ein generelles Problem. Corona hat uns massiv geschadet, seit 2019 ging die Auflage um 28 Prozent zurück“, gibt Arendt zu. Im Jahr eins der Pandemie 2020 brach die Auflage um 25 Prozent ein – eben auch, weil drei Monate lang keine Ausgabe erschien. Mittlerweile habe sich das Magazin davon aber erholt. Zuletzt war die September-Ausgabe 2024 ausverkauft.
Auch interessant
- Bei diesem „Dr. Doolittle“ werden Tiere plötzlich ganz zahm
- Bergedorfer Mieter sauer: Keller läuft mit Fäkalien voll
- Club der Männer, die Millionen Kilometer auf dem Tacho haben
Doch auch im Verlagshaus in St. Georg wird die digitale Ausgabe – das war auch das Hauptthema des Liverpooler Treffens – zeitnah kommen. Das hat dann auch einen Effekt für die Verkäufer. Künftig sollen sie QR-Codes auf ihren Verkäuferausweisen dabei haben, die Kunden nicht nur für die aktuelle Ausgabe, sondern auch zum Bezahlen abscannen können. Ein Modell basierend auf dem Open Source Modus, das bei dem Wiener Straßenmagazin „Asphalt“ eingeführt wurde und nun im Herbst von Hinz&Kunzt erprobt wird. Zunächst mit 30 Verkäufern, die noch ausgewählt werden – ob der in Bergedorf bekannte Heeder dabei ist, steht noch nicht fest.
Inhaltlich sind Leser zufrieden
Das Straßenmagazin wisse die Hilfe von Erich Heeder stets zu schätzen. „Erich ist ein kreativer Querkopf, eine Marke. Er ist immer engagiert und hat auch immer Ideen, alles legitim“, ordnet Sybille Arendt ein, weist aber auch auf Grenzen hin: „Wir haben erst vor zwei Jahren eine Befragung mit 800 Lesern durchgeführt, damals gab es keine Kritik an den Inhalten.“
Ausrichtung und Grundprinzip des Magazins waren stets, den Schwächeren der Gesellschaft Hilfestellung zu geben, Obdachlosen und sozial Benachteiligten eine Stimme zu geben. Der Verlag hat sich als gemeinnützige GmbH aufgestellt, Gesellschafter sind das Diakonische Werk Hamburg und die Patriarchische Gesellschaft von 1765. Zeitungs- und Anzeigenverkäufe, Spenden und Beiträge aus dem Freundeskreis sichern den Fortbestand.