Hamburg. Tausende drängen sich beim Mittelalterlich Spectaculum in Luhmühlen. Was die Reise in die Vergangenheit so attraktiv macht. Mit Videos.
Fette Heide. So nennen die Mittelalterfans das Reitsportgelände in Luhmühlen. Wo sonst die Vielseitigkeitsreiter ihr Können auf der anspruchsvollen Hindernisstrecke erproben, erstrecken sich einmal im Jahr Zelte bis zum Horizont. Immer im September gastiert das Mittelalterlich Phantasie Spectaculum in der Fetten Heide. Tausende Besucher, viele in mittelalterlicher Kleidung, strömen dann nach Luhmühlen, um eine Zeitreise der besonderen Art anzutreten.
Für sie alle gilt: Plastikkarten kannst du vergessen! EC- und Kreditkarten werden nirgendwo auf dem Gelände akzeptiert, nur Bargeld. Nichts soll die Illusion einer früheren Zeit stören. Erfahrene Besucher wie der Autor und seine Familie, die seit einem Vierteljahrhundert auf solche Veranstaltungen gehen, wissen das natürlich und sorgen entsprechend vor. Für alle anderen gibt es ein Zelt, das sogenannte „Goldzelt“, in dem man im Verborgenen rasch ein paar Scheine abheben darf, um sie dann gleich wieder loszuwerden. Denn die Preise sind happig. Schon für ein belegtes Brötchen ist man schnell acht Euro los, für ein Getränk vier.
Luhmühlen 2024 – Fantasiewelt à la „Herr der Ringe“ mitten in der Heide
Unser Bergedorfer Blog „Volkers Welt“ ist zu Gast in Luhmühlen. Es ist brüllend heiß an diesem Tag. So heiß, dass wir lieber auf unser gewohntes Outfit verzichten. Als Ritter und Burgfräulein mit Leder-Wams und Samtkleid wären wir umgekommen vor Hitze. Stattdessen lieber T-Shirt und kurze Hose – okay, uncool, aber dafür luftig. Die professionellen Darsteller hingegen haben diese Wahl nicht. Sie müssen immer so aussehen, als würden sie ihre Nahrung noch jagen.
Das Mittelalterlich Phantasie Spectaculum ist das größte wandernde Mittelalter-Festival der Welt. Es hat eine 30-jährige Geschichte und zielt nicht auf ein historisch korrektes Mittelalter-Setting ab, sondern auf eine Fantasiewelt à la „Herr der Ringe“. In den erfolgreichsten Zeiten in den Vor-Corona-Jahren wurden mit über 1000 Darstellern an 26 Wochenenden im Jahr insgesamt 20 verschiedene Standorte bespielt, die meisten davon in Norddeutschland.
Nach der Pandemie sind nur die sechs der erfolgreichsten Orte übrig geblieben: die Schlossparks in Bückeburg, Rastede und Bad Säckingen, der Domgarten zu Speyer, der Dreiländergarten in Weil am Rhein an der Grenze zu Frankreich und der Schweiz sowie – als krönender Abschluss jeder Saison – die Fette Heide in Luhmühlen.
Die Stars der Musikszene sind die Bands Saltatio Mortis und Feuerschwanz
Für viele Darsteller ist das Leben in längst vergangenen Zeiten schon zum Beruf geworden. „Wir spielen ungefähr 100 Konzerte im Jahr“, erzählt David Myles, schottischer Dudelsack- und Flötenspieler bei der niederländischen Irish-Folk-Band Rapalje. In ihrer Heimat in Groningen ziehen sie bei Konzerten über 10.000 Besucher an, hier in Luhmühlen sind sie nur eine Band von vielen.
Ebenso wie die schottische Folk-Rock-Band Saor Patrol, deren Mitgliedern wir am nächsten Morgen beim Frühstück in unserer Pension im Nachbardorf begegnen. Ein bisschen surreal, Männer ihre Brötchen schmieren zu sehen, die am Abend zuvor noch mit blankem Oberkörper vor ihre – entzückten – Fans getreten sind. Aber wenn man das Mittelalter zu seinem Beruf gemacht hat, müssen es irgendwann keine Nächte im Zelt mehr sein.
Auch die beiden erfolgreichsten Bands Feuerschwanz und Saltatio Mortis haben einmal als kleine Festival-Bands angefangen. Nun jedoch treten sie auf einer Extrabühne in einem abgetrennten Bereich auf, den nur betreten darf, wer bereit ist, zusätzlich zu den 26 Euro Eintritt noch weitere 60 Euro zu bezahlen. Tausende haben das gemacht. „Hinter diesen Bands steckt eine ganze Marketing-Maschinerie“, weiß Rapalje-Mitglied David Myles.
Feuerschwanz hatte schon zwei Nummer-eins-CDs in Deutschland, Saltatio Mortis sogar fünf. Mittelalter-Musik als Big Business. So reist Feuerschwanz nach dem Auftritt noch am selben Abend weiter zum nächsten Konzert nach Süddeutschland. Viel Zeit für Mittelalter-Romantik bleibt da natürlich nicht mehr.
Wenn Hunderte Feuer plötzlich wieder abgebaut werden müssen
Der schönste Moment auf Mittelalterfesten ist immer die Zeit, wenn die Abenddämmerung hereinbricht und auf dem gesamten Gelände Fackeln entzündet werden, die das bunte Treiben an den Marktständen in ein flackerndes Licht tauchen. Aber leider nicht dieses Mal. Am Tag vor dem Festival wurde wegen der anhaltenden Hitze die Waldbrand-Warnstufe vier erreicht – absolutes Feuerverbot.
Dutzende Helfer waren daraufhin stundenlang damit beschäftigt, 20 Raummeter Buchenholz, 50 vorbereitete Feuerstellen, 80 Feuerkamine, 250 Feuerkörbe sowie 2500 Kerzen wieder einzusammeln und einzulagern. Nichts durfte auf dem Festivalgelände bleiben, was brennen konnte.
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Eine Herausforderung waren die Verhältnisse auch für die Darsteller des Ritterturniers. Eine Show, bei der Ritter mit Lanzen aufeinander losreiten und sich aus dem Sattel zu heben versuchen, ist mittlerweile Bestandteil vieler Mittelalterfeste, so auch hier. Bei den Kämpfen ist das richtige Timing gefragt, damit den Darstellern nichts passiert. Jede Choreografie wird wochenlang eingeübt.
Und doch bleibt die Sorge vor unvorhersehbaren Zwischenfällen. Der Herold, der in der harmlosen Gut-gegen-Böse-Geschichte als Erzähler fungiert, mahnt daher das Publikum vor der Aufführung in burschikosem Ton: „Unsere Turnierpferde wiegen ein bisschen mehr als das Schaukelpferd zu Hause. Also achten Sie bitte darauf, dass Ihre Kinder ihnen nicht in die Quere kommen und man sie abends mühsam neu machen muss.“
Schon jetzt beginnt der Vorverkauf für die Veranstaltungen im Sommer 2025
Zentraler Anziehungspunkt für alle Kinder auf dem Gelände ist das riesige, etwa 20 mal 20 Meter große Bällebad aus Stroh, in dem der Nachwuchs in Tausenden goldener Bälle versinken kann. Auch so mancher Erwachsener wurde schon beim Sprung in das Bällebad beobachtet.
Wer ein solches Mittelalter-Spektakel auch einmal erleben möchte: An diesem Wochenende beginnt bereits der Vorverkauf für die Veranstaltungen im Jahr 2025. Luhmühlen wird dann vom 5. bis 7. September 2025 wieder Schauplatz des Mittelalterfestes sein. Und wenn Ihnen dann dort ein weißer Kreuzritter mit Burgfräulein im grünen Samtkleid an der Hand über den Weg läuft, dann wissen Sie ja jetzt, um wen es sich handelt.