Hamburg. Mit Videos: Ein Lied, das schon mehr als 80 Jahre alt ist, verzaubert jede Generation aufs Neue. Das hat seine Gründe.

Na, was soll denn das bitte sein? Der schönste Song aller Zeiten – das ist doch eine Frage des individuellen Geschmacks! Oder etwa nicht? Es gibt Dutzende Hitlisten im Internet, in denen mal diese, mal jene Songs als die angeblich wichtigsten und besten aller Zeiten gekürt werden. Doch lässt sich das objektivieren? Ist es nicht trotzdem möglich, den schönsten Song aller Zeiten zu ermitteln? Darum geht es heute in dem Bergedorfer Blog „Volkers Welt“: Wie lässt sich die musikalische Kultur unserer Gesellschaft bestimmen und und ihre Entwicklung über Generationen hinweg vergleichen?

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Dieser Aufgabe stellte sich im Jahr 2001 die Recording Industrie Association of America (RIAA). Sie wollte den schönsten und bedeutendsten Song des 20. Jahrhunderts herausfinden und befragte dafür Hunderte an Politikern, Lehrern, Studenten und Menschen der Musikindustrie nach den Songs, die in ihrem Leben eine besondere Rolle einnehmen. Auf Platz eins unter 365 Liedern landete „Somewhere over the rainbow“. Ein ähnliches Projekt verfolgte die staatliche amerikanische Kulturvereinigung National Endowment for the Arts (NEA). Auch hier auf Platz eins: „Some­where over the rainbow“.

Wie ein Sommerhit zum schönsten Song aller Zeiten wurde

Es muss also doch etwas dran sein an unserer Vermutung, dass manche Lieder in der Lage sind, die Menschen über Generationen hinweg in ihren Bann zu ziehen. Das ist kein Wunder: Musik begleitet uns schließlich durch unser ganzes Leben. Schon der Säugling in der Krippe schläft zum Klang der Spieluhr ein. Musik transportiert Stimmungen. Sie ist ein ebenso ein wichtiger Ausdruck von Lebensfreude wie von tiefer Trauer.

Hawaii, Kauai, Na Pali Küste, Regenbogen
Ein Regenbogen über dem tropischen Urwald an der Na Pali Küste auf der Hawaii-Insel Kauai. Die „Garteninsel“ liegt ganz im Nordwesten der hawaiianischen Inselkette. Eine Fährverbindung zu den anderen Hawaii-Inseln gibt es nicht, nur einen Flughafen. Kauai diente als Kulisse für „Jurassic Park“ und „Avatar“. © picture alliance | CHROMORANGE / M. Runkel

Die Fähigkeit, einen bestimmten Ablauf von Schallereignissen – nichts anderes ist Musik – zu produzieren, unterscheidet uns Menschen von den Tieren. Sie reicht weit zurück: Die ältesten Knochenflöten, die gefunden wurden, sind rund 43.000 Jahre alt und stammen aus Blaubeuren in der Schwäbischen Alb. Entdeckt wurden sie in der Höhle Geißenklösterle. Dort hat die Natur einen perfekten Zufluchtsort geschaffen: Der Eingang liegt 60 Meter über dem Tal und wird durch zwei vorspringende Felswände geschützt. Die Menschen der Jungsteinzeit hatten aus den Flügelknochen von Singschwänen jene Flöten erschaffen, deren Überreste dann 43.000 Jahre später entdeckt wurden. Man kann sich gut vorstellen, wie sie damals in der Höhle saßen und dem Klang der Flöten lauschten – und vielleicht sogar mitsangen.

Eine 17-Jährige lehnt sich an einen Heuschober und singt ein sehnsüchtiges Lied

Bei einem Song jedenfalls ist der Gesang unabdingbar. Er ist definiert als ein kurzes, eigenständiges Musikstück für eine oder mehrere Gesangsstimmen. Die Musikwissenschaft unterscheidet dabei noch zwischen Kunstliedern (klassische Musik), traditionellen Liedern (Volkslieder) und der modernen (Pop-­)Musik. Es ist schwer, den Zeitpunkt zu bestimmen, an dem ein Song erstmals eine weltweite Wirkung entfaltete. Vieles spricht jedoch dafür, dass es der Moment war, in dem sich eine 17-­jährige Schauspielerin 1939 im Film „Der Zauberer von Oz“ auf einer Farm an einen Heuschober lehnte und ein sehnsüchtiges Lied sang, mit dem sie die ganze Welt verzaubern sollte: „Somewhere over the rainbow“.

THE WIZARD OF OZ
Die 17-jährige Judy Garland lehnt in dem Film „Der Zauberer von Oz“ an einem Heuschober und singt „Somewhere over the rainbow“. © picture-alliance / Mary Evans Picture Library | Rights Managed

Judy Garland (1922­-1969) stammte aus einer Künstlerfamilie aus Grand Rapids (Minnesota) und stand schon mit sieben Jahren erstmals vor einer Kamera. Mit 13 wurde sie von Hollywood entdeckt, mit 17 spielte sie im „Zauberer von Oz“ das Mädchen Dorothy, das auf einer Farm in Kansas lebt und durch einen Sturm mitsamt Haus in das magische Land Oz versetzt wird. Eigentlich hatte die Filmgesellschaft Metro­-Goldwyn-­Mayer ursprünglich den erst elfjährigen Kinderstar Shirley Temple (1928-­2014) für die Rolle der Dorothy von der 20th Century Fox leihen wollen. Doch das zerschlug sich.

Für „Somewhere over the rainbow“ war erst die elfjährige Shirley Temple vorgesehen

Es ist fraglich, ob das Lied dieselbe Magie entfacht hätte, wenn es von einer Elfjährigen gesungen worden wäre. Denn es ist fordernd. Gleich auf dem ersten Wort „Somewhere“ liegt der Sprung einer ganzen Oktave vom tiefen C zum hohen C. Um „Somewhere over the rainbow“ wirklich schön singen zu können, ist somit eine erwachsene Stimme notwendig, die tiefe Töne ebenso beherrscht wie hohe.

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Als einziger Hollywood-Film wurde „Der Zauberer von Oz“ ins Weltdokumentenerbe der Unesco aufgenommen. „Somewhere over the rainbow“ gewann 1940 den Filmmusik-Oscar und wurde sowohl von der US-­Musikindustrie als auch vom Amerikanischen Film­Institut zum bedeutendsten Filmsong aller Zeiten gewählt. Das Lied ist ein träumerischer Gegenentwurf zu den düsteren Zeiten, in denen es entstand. Es stammt aus der Feder des Komponisten Harold Arlen (1905-­1986) und seines Texters Yip Harburg (1896-1981).

Erst kam die Idee, dann die Musik, dann der Text

Es war eine Auftragsarbeit für Metro­-Goldwyn­-Mayer. Arlen und Harburg waren ein eingespieltes Team. Üblicherweise gingen sie so vor, dass der Texter eine Idee vorgab, die der Komponist dann in Musik umsetzte, bevor schließlich der Songtext verfasst wurde. Walter Frisch zitiert in seinem 2017 erschienenen Buch „Arlen und Harburgs Over the Rainbow“ den Texter Yip Harburg und seine Idee: „Es sollte eine Ballade für ein kleines Mädchen sein, das aus Kansas wegkommen wollte, einem trockenen, farblosen Ort. Sie hatte in ihrem Leben nie etwas Buntes gesehen – außer dem Regenbogen.“

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Viele Künstler von Mireille Mathieu über Barbra Streisand bis Eric Clapton haben sich an dem Werk versucht. Doch eine Version sticht heraus: die von Israel Kamakawiwo’ole (1959-­1997). Der Hawaiianer nahm eine bedeutende Veränderung vor: Er verzichtet auf den Oktavensprung zu Beginn des Liedes, beginnt stattdessen gleich auf dem hohen C und lässt sich dann langsam in die Melodie fallen. Durch diesen Kunstgriff und dadurch, dass Kamakawiwo’ole auf Orchesterbegleitung verzichtet, sondern sich allein auf der Ukulele begleitet, nimmt er dem Song alles Pompöse. Seine Version von 1993 strahlt Bescheidenheit aus – und verzaubert gerade dadurch.

Tod wegen krankhafter Fettsucht: Das traurige Schicksal des Israel Kamakawiwo‘ole

Am 26. Juni 1997 starb Israel Kamakawiwo’ole, genannt „Iz“, an krankhafter Fettsucht. Der „sanfte Riese“, wie er genannt wurde, wog am Ende seines Lebens 343 Kilogramm. Als seine Asche im Pazifik verstreut wurde, begleiteten Tausende Hawaiianer ihn auf Paddelbooten auf seiner letzten Reise. Sein Lied aber wurde als Filmmusik zu „Rendez­vous mit Joe Black“ (1998), „Forrester – gefunden“ (2000) sowie „50 erste Dates“ (2004) zum Welterfolg.

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Und heute? Wieder leben wir in bedrückenden Zeiten: der Klimawandel, der Ukraine-Krieg, der Gaza-Krieg, das Säbelrasseln zwischen Ost und West. Es braucht offenbar diese bedrückte Stimmung, um Schönes zu kreieren, das von solcher Tiefe ist, dass es Generationen überdauert. Auch „Somewhere over the rainbow“ ist ein Sommerhit. Das Lied erschien vor 85 Jahren im August 1939 wurde auf Anhieb zum Hit. In diesem Sommer haben einige Radiosender wie etwa NDR 1 Welle Nord den Song wieder verstärkt in ihr Programm genommen. Das Lied ist also immer noch präsent. Es wird weiter die Menschen inspirieren, und vielleicht gibt es dann ja irgendwann ein neues schönstes Lied aller Zeiten.