Lohbrügge. Bundesverband der Verbraucherzentralen hat Sammelklage gegen Preisexplosion eingereicht. Doch nur wer sich beteiligt, kann profitieren.
Es ist eine trügerische Ruhe, die die 15.000 Bewohner von Lohbrügge-Nord befallen hat: Nach heftigen Protesten gegen die explodierenden Fernwärmerechnungen und massiven Existenzängsten, ausgelöst durch teils versechsfachte Forderungen des Versorgers E.on samt Nachzahlungen von mehreren Tausend Euro für 2021 und 2022, scheinen die Sorgen verflogen. „Aber die Forderungen sind keinesfalls vom Tisch und neue Preisschocks sehr wahrscheinlich – für die Lohbrügger und auch alle anderen Fernwärme-Bezieher in Deutschland“, warnt Jan Bornemann von der Hamburger Verbraucherzentrale.
Der Jurist kennt einen Ausweg, zumindest für die 6,4 Millionen Fernwärme-Kunden des Energieriesen E.on, zu denen die 7500 Haushalte in Lohbrügge-Nord zählen. Zwar sind die schon seit dem Bau der Großwohnsiedlung in den 1960er-Jahren dem Betreiber ihres zentralen Heizwerks am Havighorster Weg ausgeliefert. Aber seiner scheinbar willkürlichen Preisgestaltung will der Bundesverband der Verbraucherzentralen jetzt einen Riegel vorschieben – per Sammelklage gegen E.on.
Fernwärme: Lohbrügge-Nord zieht gegen Energie-Riesen E.on vor Gericht
Das bereits Ende 2023 beim Oberlandesgericht eingereichte Werk hat das Potenzial, sämtliche Nachforderungen seit 2021 tatsächlich zu kassieren und auch der künftigen Preisgestaltung kurze Zügel anzulegen. Einziges Manko: Der sogenannten Musterfeststellungsklage sind bisher zur 3700 E.on-Fernwärmekunden beigetreten, darunter kaum mehr als 300 Lohbrügger.
„Das sind nicht einmal 0,1 Prozent der Betroffenen und das Gegenteil einer beeindruckenden Masse“, warb Jan Bornemann jetzt auf einem Info-Treffen der Interessengemeinschaft Lohbrügge-Nord um weitere Unterstützer. Er sagte: „Der Beitritt zur Sammelklage ist kostenlos, alle Informationen und der Link zum Beitritt finden sich online unter www.sammelklagen.de/eon/faq auf der Verbraucherzentralen-Homepage. Aber nur wer sich registrieren lässt, wird bei einem Erfolg der Klage die heute bestehenden Nachforderungen los, einschließlich der weiteren Preiserhöhungen bis zum Urteil.“
Fernwärme: Preisgleitklausel erlaubt E.on, alle erzeugte Energie zum Erdgaspreis abzurechnen
Die Musterfeststellungsklage richtet sich gegen die umstrittene Preisgleitklausel, die E.on in sämtlichen Fernwärme-Verträgen verwendet. Betroffen sind allein in Hamburg rund 25.000 Haushalte, darunter Fernwärme-Gebiete in Marmstorf, Meiendorf, Rahlstedt-Ost, am Volksdorfer Damm und eben in Lohbrügge-Nord.
Am Havighorster Weg wird die Heizenergie seit mehr als zehn Jahren vor allem von einem Holzhackschnitzel-Ofen erzeugt und nur zu einem kleinen Teil in zugeschalteten Erdgasanlage. Dennoch orientieren sich die Kosten der Wärmeversorgung aller Kunden allein am Preis der Erdgasbörse, was bei den schon 2021 rasant nach oben gehenden und mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ab Februar 2022 dann explodierenden Beträgen astronomische Rechnungen für alle Kunden zur Folge hatte. Dabei verbrennt der Ofen billigstes Material wie kleine Äste und Blattwerk, die etwa bei der Knickpflege anfallen.
Fernwärme: Sammelklage soll für Kunden endlich faire Bedingungen schaffen
Dass E.on seine Rechnungen in der Energiekrise nicht anpasste, ist für Jan Bornemann nicht verwunderlich, sei die Preisgleitklausel auf Erdgas-Basis doch einst eingeführt worden, um innovative Heizwerke wie das in Lohbrügge-Nord trotz schwer kalkulierbarer Investition ans Netz zu nehmen, ohne dass die Kunden dafür zur Kasse gebeten werden. „Das hat über Jahrzehnte gut funktioniert, bis der Gaspreis explodiert ist.“
Der Bundesverband der Verbraucherzentralen rechnet sich gute Chancen für einen Erfolg der Musterfeststellungsklage aus, weil Fernwärme in der Energiepolitik der Bundesregierung eine zentrale Rolle spielt. „Aber ausgerechnet dieser Markt, in dem die Kunden ihrem Versorger völlig ausgeliefert sind, ist kaum reguliert. Da muss dringend nachgebessert werden, etwa durch eine staatliche Kontrollbehörde“, unterstreicht auch Ali Simsek. Der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete setzt sich seit zwei Jahren für einen Aussetzen der Nachforderungen ein, hat in Verhandlungen mit E.on bereits rund 4,5 Millionen Euro für die Betroffenen in Lohbrügge-Nord erstritten, die auf die Nachforderungen für die 7500 Haushalte angerechnet werden sollen.
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Simseks Abgeordnetenbüro, Telefon 040/26 18 37 31 hilft auch beim Beitritt zur Sammelklage. Geöffnet ist im Kulturhaus SerrahnEins immer montags von 10 bis 17 Uhr, dienstags von 13 bis 16 Uhr und donnerstags von 11 bis 17 Uhr. „Mein Ziel ist es, 5500 Lohbrügger zum Beitritt zur Sammelklage zu motivieren“, sagt der 51-Jährige, der mit seiner Familie auch selbst in Lohbrügge-Nord wohnt. Zeit hat er dafür, bis das Oberlandesgericht das Verfahren eröffnet, also etwa bis zum Jahreswechsel. Wer diesen Zeitpunkt als Betroffener verpasst, sollte schon mal sparen: Bis die Richter in voraussichtlich vier bis fünf Jahren ein Urteil sprechen, kann E.on bei ihm alle seine Forderungen eintreiben.