Hamburg. Gynäkologin vom Agaplesion Bethesda Krankenhaus Bergedorf über Gründe für ungewollten Urinverlust und wie man diesen behandelt.

Sei es nach der Geburt eines Kindes oder im Zuge der Wechseljahre – viele Frauen verlieren unfreiwillig Urin. Darüber zu sprechen oder gar mit den Problemen zum Arzt zu gehen, fällt den Betroffenen oft schwer. „Ist der Leidensdruck hoch, lohnt es sich, Schamgefühle zu überwinden und sich Hilfe zu suchen, denn Inkontinenz ist gut behandelbar“, sagt Dr. Maike Kalb-Rottmann.

Rund 3200 Kindern hat die leitende Oberärztin in der Gynäkologie und Geburtshilfe und ärztliche Leiterin des Beckenbodenzentrums im Agaplesion Bethesda Krankenhaus Bergedorf schon auf die Welt geholfen. Einen Menschen in den ersten Momenten seines Lebens begleiten zu dürfen, ist für die Mutter einer Tochter ein Geschenk: „Ich würde mich nie anders entscheiden, es würde immer wieder Gynäkologie und Geburtshilfe werden.“

Inkontinenz: Nach der Geburt leiden viele unter Beckenbodenschwäche

Zwischen 15 und 43 Jahren sind in der Regel die Mütter, die Dr. Kalb-Rottmann betreut. Ist das Baby da, ist die Freude groß, jedoch wird fast jede junge Mutter merken, dass sie den Urin nicht mehr so gut halten kann wie vor der Geburt. Der Grund: Beckenbodenschwäche.

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„Der Beckenboden besteht aus Muskeln, Bändern und Faszien und ist eine Art Hängematte, die zwischen unseren Hüftknochen im unteren Becken hängt und primär dazu dient, unsere Organe an Ort und Stelle zu halten, wenn wir aufrecht laufen“, sagt die Fachärztin. In Kombination mit unseren Rücken- und Bauchmuskeln ermöglicht er also unseren aufrechten Gang.

Gynäkologin aus Hamburg-Bergedorf: Hormone machen Beckenboden weicher

„Durch die Muskelkraft, die dieses Netz aufbaut, können wir auch unsere Blase und unseren Darm steuern und empfinden Lust beim Geschlechtsverkehr“, erklärt sie weiter.

Normalerweise ist diese Hängematte in unserem Körper durch viele einzelne Fasern straff gespannt. In einer Schwangerschaft wird der Beckenboden durch Hormone und Wassereinlagerungen weicher, damit bei der Geburt der Kopf des Kindes hindurchpasst. Eine große Belastung für die werdende Mutter.

Neu-Mamas bekommen Übungen gegen Inkontinenz mit auf den Weg

„Jede Frau muss in einer Schwangerschaft etwa 10 bis 15 Kilogramm zusätzliches Gewicht auf ihrem Beckenboden tragen, das die Organe nach unten drückt“, weiß die Gynäkologin. Mit diesem Druck geht einher, dass die Frau den Urin nicht mehr so gut halten kann und mit fortschreitender Schwangerschaft häufiger zur Toilette gehen muss. Für die Rückbildung braucht der Körper Zeit. Und das muss man unterstützen.

Noch in der Geburtsklinik bekommen Neu-Mamas Übungen für den Beckenboden mit auf den Weg. Im Alltag mit einem Neugeborenen finden viele allerdings nicht die Ruhe für das Rückbildungstraining. Doch auch wenn es später vielleicht nicht mehr ganz so effektiv ist wie am Anfang, es lohne sich immer, aktiv zu werden.

Inkontinenz: Yoga und Pilates helfen, den Beckenboden zu stärken

Das gilt auch für ältere Frauen, denn Probleme mit dem Wasserhalten, etwa bei herzhaftem Lachen oder Niesen, zeigen sich häufig auch in der Menopause: „Die Wechseljahre sind ein Knackpunkt, weil dann unsere weiblichen Hormone wegfallen“, sagt die Oberärztin. „Das Östrogen macht ganz viel für die Stabilität und Flexibilität des Beckenbodens.“

Mit Yoga und Pilates lässt sich der Beckenboden stärken. Im Internet sind diverse Videos mit Übungen zu finden, es gibt spezielle Beckenbodenkurse, die häufig auch die Krankenkassen anbieten.

Hamburger Ärztin erklärt einfache Übung, um Beckenboden zu stärken

Die einfachste Übung ist kostenlos, jede Frau kann sie ganz leicht im Alltag machen, sei es beim Zähneputzen oder an der Supermarktkasse – ohne dass es jemand merkt: einfach den Beckenboden anspannen.

„Das erste Mal sollte man die Übung im Sitzen machen“, empfiehlt die Frauenärztin. „Man nimmt die Hände unter den Po und versucht, den Beckenboden anzuspannen, dabei dürfen sich die Pomuskeln nicht bewegen. Das merkt man an den Händen.“ Danach lässt man wieder locker. Der Wechsel aus Anspannen und Entspannen ist wichtig. „Wenn Sie Ihren inneren Schweinehund überwinden und regelmäßig üben, können Sie viel selbst erreichen.“

Agaplesion Bethesda Krankenhaus Bergedorf bietet Sprechstunde an

Wer ungewollt Urin verliert, spricht meist nicht gern darüber. Dabei ist Inkontinenz keine Randerscheinung: 25 bis 45 Prozent der Bevölkerung über 40 leiden daran.

„Wichtig ist es, dass sich die Frauen ernst genommen fühlen, wenn sie sich trauen, das Thema anzusprechen.“ Eine Sprechstunde bei Frau Dr. Kalb-Rottmann im Agaplesion Bethesda Krankenhaus Bergedorf dauert daher 45 Minuten. Viele Frauen hätten Angst davor, die Ärzte schlügen ihr eine Operation vor, wenn sie zur Sprechstunde in die Klinik gehen – eine Sorge, die die Ärztin ihnen nimmt.

„Wenn es die Frau in ihrem Alltag nicht zu stark stört, sage ich ihr: Wir können etwas machen, aber wir müssen nicht. Der reine Urinverlust ist nur ein Symptom, da kann eigentlich nichts passieren.“ Bevor sie eine Operation empfiehlt, schöpft sie alle konservativen, also nicht-chirurgischen, Behandlungsmöglichkeiten aus.

Krankenhaus Bergedorf: Zertifizierter Behandlungspfad für Patientinnen

Maike Kalb-Rottmann ist seit 2012 auch verantwortliche Ärztin des Beckenbodenpfades im Agaplesion Bethesda Krankenhaus Bergedorf: „Wir sind die nördlichste von 21 Verbundkliniken in Deutschland, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, dass die Patientinnen standardisiert durch unsere Klinik laufen und wir ihnen lange Wege ersparen“, sagt sie.

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Vom ersten Kontakt in der Beckenbodensprechstunde über den Ablauf einer OP, den Aufenthalt auf Station bis hin zur Nachsorge verpflichten sich die beteiligten Kliniken, ihre Patientinnen nach einem zertifizierten Behandlungspfad zu betreuen.

Inkontinenz: Wann Frauen erkennen, dass eine OP sinnvoll ist

Gut zu wissen, wenn ein Eingriff unvermeidlich ist. Senken sich etwa der Beckenboden oder die Gebärmutter in die Scheide ab, ist dies für die Frau dort tastbar, und sie wird Beschwerden haben. Ab einem gewissen Punkt ist eine Operation angezeigt.

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Die OP-Methode macht Maike Kalb-Rottmann abhängig vom Alter ihrer Patientin: „Eine 40-Jährige soll wieder voll im Leben stehen können, die würde ich minimalinvasiv operieren, also mit möglichst kleinen Einschnittstellen.“

Klassischerweise wird in einem solchen Eingriff das Organ mit einem Netz angehoben: „Das bringe ich an der Gebärmutter an und befestige es im kleinen Becken. Das Netz löst sich dann zum Teil auf und bildet mit körpereigenen Zellen eine nicht sichtbare Narbe, die in der Regel stabil genug ist, eine normale Belastung auszuhalten.“

Krankenhaus Hamburg: Verschiedene OP-Methoden bei Inkontinenz

Bei einer Patientin im fortgeschrittenen Alter würde sie eine Operationsmethode wählen, die den Körper nicht so belastet und möglichst mit örtlicher Betäubung auskommt: „Ich operiere dann durch die Scheide und nehme entweder die Gebärmutter raus oder bringe auch auf diesem Wege ein stützendes Netz ein.“

Seit mehr als 16 Jahren arbeitet Maike Kalb-Rottmann nun schon im Bethesda – und kann sich keinen besseren Arbeitsort vorstellen: „Bei uns geht es total familiär zu“, schwärmt sie. „Man kennt sich, kann auf kurzen Dienstwegen arbeiten, es gibt keine Ellenbogenmentalität. Nicht jeder will für sich das Beste, sondern wir wollen alle das Beste für den Patienten, das finde ich so schön.“