Billstedt/Ohe. Mit der Kraft des Aberglaubens: FC Voran Ohe entzaubert Landesliga-Primus Vorwärts-Wacker Billstedt. Die Gründe für den Kantersieg.
Sören Deutsch schritt zur Tat. Genau genommen zu Schiedsrichterassistent Florian Feilke, um diesen in der 80. Minute der Partie seines FC Voran Ohe in der Fußball-Landesliga beim TabellenführerSC Vorwärts-Wacker Billstedt über den Wechselwunsch der Gäste zu unterrichten. Auf dem Weg zum Linienrichter wurde der Co-Trainer der Reinbeker Fußballer von einem Fan der Hausherren angesprochen. „Das habt ihr euch verdient!“, sagte der breitschultrige Mann angesichts der Oher 5:2-Führung.
„Stimmt“, entgegnete Deutsch. „Aber das hätte ich nach zehn oder 20 Minuten nicht gedacht. Manchmal braucht man einfach das Spielglück.“ Er spielte auf den 2:1-Führungstreffer der Gäste durch Muizz Saqib an (33.). Der hatte von einem kapitalen Aussetzer von Billstedts Keeper Sebastian Majewski profitiert. Danach änderte sich die Statik der Partie grundlegend: Die zuvor überlegenen Billstedter bekamen kein Bein mehr auf ihren Kunstrasenplatz, während sich das „Weiße Ballett“ in einen Rausch spielte. Am Ende einer völlig verrückten Begegnung siegte Voran Ohe mit 6:3. Es war die erste Saisonniederlage für den Spitzenreiter.
Ohes Überraschungserfolg: Waren es die HSV-Socken von Sören Deutsch?
Deutsch selbst hatte entscheidend zum vierten Voran-Sieg in Serie beigetragen – zumindest, wenn man abergläubisch ist. Denn der Assistent von Coach Matthias Wulff hatte sich nach den beiden Auftaktpleiten gegen den ASV Hamburg (2:4) und Concordia II (2:5) zu den Spielen der Reinbeker neue Socken angezogen. Seitdem trägt „Strähne“, wie der 47-Jährige gerufen wird, Strümpfe mit dem Logo des Hamburger SV. Und mit der Raute am Knöchel läuft es auf einmal für den FC Voran Ohe, der jetzt schon Tabellendritter ist. „Wenn es Glück bringt, trage ich sie halt weiter“, sagte der glühende HSV-Fan.
Apropos Glück. Das hatten die Gäste vor 250 Zuschauern am Öjendorfer Weg in der Anfangsphase reichlich. Voran agierte viel zu passiv, geriet durch Russell Quainoo, der nach einem schlecht abgewehrten Eckball zum Abschluss kam, früh in Rückstand (8.) und wackelte anschließend bei weiteren Billstedtern Angriffen bedenklich.
Anweisungen während der Trinkpause bringen für Voran Ohe die Wende
Die hohen Temperaturen und die darauf gründende Trinkpause nach 22 Minuten waren für das Wulff-Team der Rettungsanker. „Wir hatten ein bisschen etwas an unserer Grundausrichtung geändert, um Vorwärts-Wacker die gefährlichen Sachen zu nehmen und unsere Stärken einzubringen“, erklärte der Voran-Coach. „Das brauchte ehrlicherweise etwas Zeit. Da mussten wir in der Trinkpause noch mal daran erinnern und etwas nachschärfen, damit unser Spiel gegen den Ball auch funktioniert. Das hat dann nach und nach immer besser gegriffen.“
Wulff hatte seine Mannschaft mit der Vorgabe auf das Plastikgrün geschickt, die Räume im Zentrum eng zu machen und Billstedt über seine Außenverteidiger angreifen zu lassen. Bei Ballgewinnen sollten dann Saqib und Oguzhan Acar schnell in Szene gesetzt werden. „Wir wollten vorne Eins-gegen-Eins- und Zwei-gegen-Zwei-Momente habe“, erklärte der Trainer. „Das haben Muizz und ,Ozhan’ ganz, ganz stark gemacht“, lobte der 40-Jährige sein Sturmduo.
Muizz Saqib und Oguzhan Acar – ein brandgefährliches Sturmduo
Tatsächlich waren Saqib, der über links kam, und Rechtsaußen Acar – beide übrigens keine gelernten Angreifer – ständige Unruheherde. Gegen die zuweilen viel zu hoch stehende Abwehr der Hausherren stießen sie immer wieder in die freien Räume. Den Gästen kam dabei zugute, dass Billstedt viel zu ungeduldig und undiszipliniert agierte.
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Der Doppelschlag zum 2:1 durch Marcel Damaschke, der eine Hereingabe von Tim Schimidt verwertete (31.), und Saqib, der dem zögerlichen Keeper Majewski den Ball vom Fuß spitzelte (33.), sorgte für die Wende. „Wir sind in eine gewisse Arroganz verfallen, was wir nie wollen“, analysierte Vorwärts-Coach Ümit Taytanli, der dem Weißen Ballett ein großes Lob zollte: „Ohe macht das dann geil. Sie waren schneller, griffiger und aggressiver.“
Aberglaube Nummer zwei: Warum Muizz Saqib Ohes Kapitän ist
Saqib (48.), Acar (52.) und Tim Schmidt (60.) sorgten mit den Treffern zum 5:1 nach dem Seitenwechsel rasch für scheinbar klare Verhältnisse. Zudem sah Billstedts Ediz Sayan wegen groben Foulspiels an Maximilan Tautz auch noch die Rote Karte (63.). In Überzahl ließen die Reinbeker dann jedoch ein wenig die Zügel schleifen und ermöglichten Philip Stefaniuk einen Doppelpack zum 3:5 (77., 80.). Erst der eingewechselte Ibrahim Özalp, der im Fallen wunderschön zum 6:3-Endstand traf (85.), sorgte für die Entscheidung.
„Wir haben es geschafft, Vorwärts-Wacker vor große Probleme zu stellen. Sechs Tore auswärts zu erzielen, ist okay“, freute sich Wulff. Abergläubisch ist der frühere Libero natürlich auch ein wenig. An die Kraft von Deutschs HSV-Socken glaubt er aber nicht so recht. „Da kann ich noch einen zweiten Aberglauben draufpacken“, schmunzelte Wulff. „Muizz war letzte Woche unser Kapitän, weil die anderen fünf nicht da waren. Heute wäre die Binde eigentlich zu Till Witmütz gewandert, aber wir haben es dabei belassen, dass Muizz Kapitän bleibt. Und er hat jetzt zwei überragende Spiele gemacht. Die Binde bleibt jetzt erst einmal bei ihm.“
Voran Ohe: El Kahil (3) - Feldpausch (3), Ohl (2-3) ab 80. Beldzik (-), Schweißing (3), Dieckmeyer (2-3) - Schmidt (2), Witmütz (2), Damschke (2-3), Tautz (2) ab 63. Gläser (-) - Acar (2) ab 72. Brüning (-), Saqib (1) ab 80. Özalp (-)