Hamburg. Ausgerechnet im wichtigsten Spiel der Saison liefern die „Eisenbahner“ ihre schwächste Leistung ab. Was alles schiefgelaufen ist.
Hoffnungsvoll hatten die Anhänger des Fußball-Oberligisten ETSV Hamburg am Ostermontag vor dem Halbfinale des Lotto-Pokals beim Staffelkonkurrenten USC Paloma ihr Plakat an einer Ecke des Sportplatzes an der Brucknerstraße aufgehängt. „Mit Volldampf ins Finale. Forza ETSV!“, stand darauf. Als sie zwei Stunden später das vom Dauerregen nun völlig durchnässte Tuch wieder abnahmen, war der Traum vom Pokalfinale geplatzt. Nach ihrer schwächsten Saisonleistung hatten die „Eisenbahner“ völlig verdient mit 0:2 verloren.
„Gratulation an den USC Paloma. Es war ein qualitätsarmes Spiel, sehr zerfahren. Meine Mannschaft hat es nicht hingekriegt, ihre Qualität auf den Platz zu bringen“, haderte ETSV-Coach Berkan Algan auf der Pressekonferenz mit der blutleeren Vorstellung seiner Elf, die das schwächere von zwei schlechten Teams war. So entwickelte sich ein grauenvoller Kick vor der stolzen Kulisse von 480 Zuschauern, die trotz der Tristesse auf dem Kunstgrün tapfer im strömenden Regen ausharrten.
Traum vom Pokalfinale ist für den ETSV Hamburg geplatzt
Beim ETSV hakte es im Spielaufbau. Für den erkrankten Kusi Kwame war Offensivmann Marco Schultz auf die Sechs gerückt und fehlte damit vorn. So mangelte es an Überraschungsmomenten in der Offensive. Zudem schienen die ETSV-Spieler mit dem Druck, den größten Erfolg der Vereinsgeschichte veredeln zu können, nicht zurechtzukommen. Viel zu vorsichtig gingen sie die Sache an.
So stand am Ende die deprimierende Erkenntnis, dass der USC Paloma nicht einmal eine besonders gute Leistung bringen musste, um sicher und ungefährdet ins Finale einzuziehen, wo sie nun auf den Regionalligisten FC Teutonia 05 treffen, der sich im zweiten Halbfinale mühsam mit 1:0 beim Landesligisten SSV Rantzau durchsetzte.
Prachtvolle Kulisse, lausiger Fußball und mieses Wetter
Gerade mal eine gute Chance, brachte jedes der beiden Teams vor der Pause zustande. Zunächst prüfte USC-Spieler Lasse Bloecker mit einem Schuss aus kurzer Distanz ETSV-Schlussmann Gianluca Babuschkin, der per Fußabwehr parierte. Dann zog auf der Gegenseite Christian Stark auf und davon. Der Mittelstürmer der „Eisenbahner“ schloss wuchtig ab, doch USC-Schlussmann Tjark Grundmann wehrte zur Ecke ab, die nichts einbrachte.
So ging es also torlos in die Kabinen, und unter den sich dicht an dicht drängenden Zuschauern auf beiden Seiten des Platzes herrschte Einigkeit: Es konnte nur besser werden! Darauf hoffte auch Hugo, der Wirt der Kultkneipe „Blaue Nacht“ auf dem Kiez, der sich mit seiner Videokamera an der Mittellinie aufgebaut hatte und verzweifelt damit beschäftigt war, immer wieder die Linse im Dauerregen trocken zu wischen.
Die Höhepunkte des Spiels laufen demnächst in der „Blauen Nacht“ auf der Reeperbahn
„Viele der Spieler sind Stammgäste bei mir“, verriet Hugo. „Ich zeige die Spiele auf einer Leinwand in meiner Kneipe. Sie lieben es, die Spiele bei mir zu gucken.“ Bundesliga oder Champions League hingegen sucht man in der „Blauen Nacht“ vergeblich. Die via Camcorder gefilmten Partien von Hamburgs Amateurplätzen sind das Markenzeichen der Kneipe, die jedes Wochenende zum Treffpunkt der Fußballer auf der Reeperbahn wird.
Doch wohl nicht einmal die Sieger vom USC Paloma werden sich mit Genuss noch einmal in voller Länge das Gewürge anschauen, das beide Teams abliefern. Aber zumindest spannend ist es. Wobei die Gastgeber auch nach dem Seitenwechsel die Mannschaft sind, die mehr Engagement zeigt. Gut sieht das vor allem immer dann aus, wenn USC-Kapitän Moritz Niemann, der beste Akteur auf dem Platz, seine Füße mit im Spiel hat. Doch wirklich gefährlich wird auch Paloma nur selten.
ETSV-Keeper Gianluca Babuschkin lässt haltbaren Flachschuss passieren
Das ändert sich in der 62. Minute, als eine Flanke des eingewechselten Haron Sabah im Fünfmeterraum Mittelstürmer Mohamed Fane findet, der aus zwei Metern mühelos zur 1:0-Führung vollendet. „Dass wir in dieser Situation die Flanke nicht verhindern können, ärgert mich besonders“, schimpft Algan. Der ETSV versucht, eine Reaktion zu zeigen, presst nun mit grimmiger Entschlossenheit gegen den ballführenden Spieler des Gegners, doch sie rennen längst einer verlorenen Sache hinterher.
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Als dann USC-Spieler Lasse Bloecker ETSV-Schlussmann Gianluca Babuschkin mit einem verdeckten, aber letztlich wohl doch haltbaren Flachschuss aus 17 Metern zum 2:0 überwindet (74.), ist die Begegnung entschieden. Auf der Gegenseite hätte ETSV-Flügelflitzer Lesley Karschau das Spiel zwar noch einmal spannend machen können, doch er verfehlt aus 16 Metern das leere Tor (77.). Es passt zum gebrauchten Tag der „Eisenbahner“, dass nicht einmal diese Möglichkeit zum Tor führt.
Im Jahr des 100-jährigen Bestehens bleibt die Krönung für den ETSV Hamburg aus
In der Schlussphase verpassen die ETSV-Spieler dann auch noch die Chance, zumindest als faire Verlierer vom Platz zu gehen. Zunächst senst Verteidiger Yannick Siemsen nahe der Außenlinie Sabah um und sieht dafür Gelb (90.+3). Dann tritt Fabio Parduhn gegen USC-Keeper Tjark Grundmann nach und muss mit Rot vorzeitig vom Platz (90.+3). Sekunden später ist Schluss. Wortlos stapfen die „Eisenbahner“ vom Platz.
Der Zug, der laut Vereinslied angeblich keine Bremse hat, ist also ausgebremst worden. Im Sommer feiert der Verein sein 100-jähriges Bestehen, doch die Krönung im Jubiläumsjahr bleibt aus. Das erfolgreiche Debütjahr der „Eisenbahner“ in der Oberliga kann das allerdings kaum schmälern. Doch die Aufgabe für Sportchef Sascha „Jassi“ Huremovic, den Kader in der kommenden Saison zu halten und zu verstärken, wird dieses Scheitern so kurz vor dem großen Ziel nicht leichter machen.
ETSV Hamburg: Babuschkin – Siemsen, Marushka, Monteiro – Andrijanic, Schultz – Karschau, Düzgüner (75. Kämpfer), Parduhn – Boock (75. Düwel) – Stark