Bergedorf. Über unsere mysteriösen Vorfahren wussten wir lange so gut wie nichts. Das hat sich geändert. Einblicke in die Welt vor 2000 Jahren.

Die Spuren der Germanen sind in unserer modernen Welt allgegenwärtig, ohne dass uns das oft bewusst ist. Wer zum Beispiel bei der Arbeit vor einem Windows-Rechner sitzt, hat schon mit ihnen zu tun. Denn das Wort „Windows“ – „Fenster“ ist mit dem deutschen Ausdruck „Windfang“ verwandt, der heute einen Vorraum im Eingangsbereich bezeichnet, sich aber ursprünglich von dem Rauchabzug der germanischen Hütten ableitet.

Bekannter ist die Herkunft unserer Wochentage von Dienstag bis Freitag, in deren englischen Namen einige germanische Götter verewigt sind. Tuesday geht auf den Gott Tyr zurück, der die Versammlung der Männer, den Thing, beschützte, auf der Konflikte geregelt und Recht gesprochen wurde. Wednesday ist dem Gott Odin gewidmet, der bei den Germanen Wotan hieß, Thursday leitet sich vom Donnergott Thor ab, deshalb ist es der Donnerstag. Friday hat mit einem freien Tag nichts zu tun, sondern geht auf die nordische Göttin Frigg zurück, der Hüterin des Herdfeuers.

So etwas wie „Die Germanen“ gab es gar nicht. Der Begriff geht auf Gaius Iulius Caesar zurück

So sind die Germanen in unserer modernen Welt also noch präsent, dabei hat es „die Germanen“ nie gegeben. Tatsächlich handelte es sich vor gut 2000 Jahren um 70 völlig unterschiedliche Stämme, die miteinander oft gar nicht viel zu tun hatten. Dass wir heute trotzdem von „den Germanen“ sprechen, geht auf Gaius Iulius Caesar (100-44 v. Chr.) zurück, der in seinem berühmten Werk „De bello Gallico“ die Völker östlich des Rheins vereinfachend unter diesem Begriff zusammenfasste. Der renommierte Althistoriker Mischa Meier, Professor an der Universität Tübingen, hat daher in der Wissenschaft die Auffassung begründet, Caesar habe die Germanen „erfunden“.

Backhaus der nachchristlichen Eisenzeit um 450 n. Chr. im Archäologischen Freilichtmuseum Oerlinghausen.
Backhaus der nachchristlichen Eisenzeit um 450 n. Chr. im Archäologischen Freilichtmuseum Oerlinghausen. © picture alliance / akg / Bildarchiv Steffens | akg / Bildarchiv Steffens

In unserem Bergedorfer Familien-Blog „Volkers Welt“ soll es heute um das Thema gehen: Wie viel Germane steckt also im Deutschen unserer Tage? Diese Frage ist kaum seriös zu beantworten, denn über kein anderes Volk wissen wir so wenig wie über unsere eigenen Vorfahren. Während es bei den Alten Römern, Griechen und sogar den Ägyptern, deren Kultur noch viele Tausend Jahre älter ist, zahllose Zeugnisse ihrer Lebensweise gibt, die sich in der heißen, trockenen Landschaft des Südens bis in unsere heutigen Tage erhalten haben, sind die ärmlichen Dörfer der Germanen buchstäblich vom Lauf der Jahrhunderte hinfort gespült worden.

Der römische Historiker Tacitus beschreibt die Germanen, war aber selbst nie dort

So waren wir, was die Lebensweise der Germanen angeht, lange ausschließlich auf römische Quellen angewiesen. Neben Caesar, der in seiner Zeit als Prokonsul von Gallien an den Grenzen mit brutaler Härte gegen germanische Stämme vorging, war das vor allem eineinhalb Jahrhunderte später der römische Geschichtsschreiber Tacitus (58-120 n. Chr.), der ihnen sogar eine eigene Schrift widmete, die „Germania“.

Darin beschreibt Tacitus sehr detailliert die Sitten und Gebräuche der Germanen. Er stellt heraus, dass sie in festen Familienverbänden leben, dass sie tapfere Krieger mit einem großen Hang zur Freiheit seien, charakterisiert sie als treu, aufrichtig, aber auch als träge und ihren fortwährenden Biergenuss als barbarisch. Die Germanen waren mit dem Bierbrauen vertraut, ernährten sich aber vorwiegend von Brei und Gemüsesuppe. Der Hunger dürfte ihr ständiger Begleiter gewesen sein.

Ein Zopf im Haar ließ die Germanen für ihre Gegner in der Schlacht noch größer erscheinen

Sehr detailliert beschreibt Tacitus auch die übliche Haarpracht der Germanen, den Suebenknoten: „Bei den Sueben kämmen sie bis ins hohe Alter das widerstrebende Haar nach hinten und knüpfen es oft genau auf dem Scheitel zusammen, um recht groß und furchtbar zu erscheinen, wenn sie in den Krieg ziehen: Für das Auge des Feindes ist der Putz bestimmt.“ Ihr Haar bändigten die Germanen übrigens mit Butter. Dass die irgendwann böse anfing zu riechen, störte sie offenbar nicht.

Tatsächlich wurden bei zwei Moorleichen in Osterby (Kreis Rendsburg-Eckernförde) entsprechende Suebenknoten gefunden. Die Beschreibungen des Tacitus stimmen also. Dabei ist er nie in Germanien gewesen und hat wahrscheinlich auch nie einen Germanen getroffen. Er muss also Reisende befragt haben, die ihm alles detailiert geschildert haben.

Die Varusschlacht - Ein Jahrtausende altes Mysterium wird enträtselt

Wie wenig gesichert unser Wissen über die Germanen ist, zeigt sich auch daran, dass die berühmteste ihrer Schlachten, die Schlacht im Teutoburger Wald (oder: Varusschlacht), nach mehrheitlicher Meinung der Historiker wohl eher in der Fundregion Kalkriese stattgefunden hat. Unter der Führung des Cheruskerfürsten Arminius vernichteten die Germanen drei römische Legionen des Feldherrn Publius Quinctilius Varus.

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Dass dies in Kalkriese und nicht im eine Autostunde entfernten Teutoburger Wald geschah, diese Annahme hat sich 2022 verdichtet, als metallurgische Untersuchungen die Anwesenheit der 19. Legion der Römer nachwiesen, von der historisch überliefert ist, dass sie an der Schlacht teilgenommen hat. Münzfunde datieren das Geschehen auf das Jahr 9 nach Christus. Doch Zweifel bleiben. So passt die Landschaft von Kalkriese nicht hundertprozentig auf den in den historischen Quellen beschriebenen Schlachtverlauf. Doch die entstanden auch erst 200 Jahre nach der Schlacht.

Glücksfund auf einer Insel in der Wesermarsch: 500 Jahre germanische Siedlungsgeschichte

Wenn es also schon bei der Rekonstruktion einer so gewaltigen Schlacht so viele Unsicherheiten gibt, um wie viel schwieriger ist es dann, die ganz normalen Lebensgewohnheiten der Germanen zu erforschen. Doch hier halfen ein paar glückliche Funde. So wurden auf einer Insel in der Wesermarsch beim Weiler Wierde, etwa 15 Kilometer nördlich von Bremerhaven, Spuren einer germanischen Siedlung entdeckt. Etwa um das Jahr 50 vor Christus hatten sich dort Chauken in gerade mal fünf Hütten angesiedelt. Die Chauken waren ein germanischer Stamm, der an der Weser seine Heimat hatte und später in den Sachsen und Franken aufging. Bis auf 26 Hütten wuchs die Siedlung im Lauf der Jahrhunderte an, bevor sie im 5. Jahrhundert schließlich wieder aufgegeben wurde, wahrscheinlich weil das Meer die Felder überflutet und die Ernte vernichtet hatte.

In Schloss Gottorf, Sitz des Landesmuseums Schleswig-Holsteins in Schleswig, wird die gesamte Geschichte Schleswig-Holsteins von der Steinzeit bis zum Mittelalter aufgearbeitet. Spektakulär sind die dort ausgestellten Moorleichen.
In Schloss Gottorf, Sitz des Landesmuseums Schleswig-Holsteins in Schleswig, wird die gesamte Geschichte Schleswig-Holsteins von der Steinzeit bis zum Mittelalter aufgearbeitet. Spektakulär sind die dort ausgestellten Moorleichen. © picture alliance / SULUPRESS.DE | Torsten Sukrow / SULUPRESS.DE

Schicht um Schicht trugen Archäologen zwischen 1955 und 1963 die Siedlungsgeschichte auf der nur 400 Meter langen Insel ab. Es ist der am besten untersuchte germanische Fundort. Der feuchte Marschboden hatte Knochen, Tonscherben, Holzpfosten und sogar Pflanzensamen konserviert. Man grub beispielsweise Flechtwerk von Hauswänden und Dachpfosten aus, was Rückschlüsse auf die Konstruktion germanischer Häuser zuließ.

Menschen und Vieh lebten in Langhäusern gemeinsam unter einem Dach

Die lebten in großen Langhäusern, Familie, Knechte und Vieh, alles unter einem Dach. Je reicher eine Familie war, desto mehr Vieh besaß sie und desto größer war das Langhaus, dessen Dach klassischerweise fast bis zum Boden reichte. Trotzdem musste stets ein Teil des Viehs zum Winter hin geschlachtet werden, damit es nicht zu eng wurde.

Speisereste, Knochen und Dung hinterlassen Phosphat, wenn sie im feuchten Boden vergehen. Anhand erhöhter Phosphatwerte im Boden lässt sich daher auch heute noch feststellen, wo früher mal eine Hütte stand. Die Feuerstellen, die vor Tausenden von Jahren brannten, hinterlassen im Erdreich einen dunklen Schatten. Doch es bleibt ein Detektivspiel mit viele Unwägbarkeiten. So ganz werden wir den Geheimnissen unserer mysteriösen Vorfahren wohl nie auf die Spur kommen.

Ausflugstipps: Zu Ostern geht es auf Spurensuche zu den Germanen

Schloss Gottorf: Faszinierender Einblick in die Welt Norddeutschlands von der Steinzeit bis zum Mittelalter. Zu den eindrucksvollsten Exponaten gehören einige Moorleichen. Geöffnet von Dienstag bis Sonntag täglich von 10 bis 17 Uhr. Montags geschlossen. Adresse: Museum für Archäologie Schloss Gottorf, Schlossinsel 1, 24837 Schleswig.
Kinder-Ferienprogramm jeweils ab 11 Uhr im Schloss Gottorf: 2. April: Jäger der Steinzeit. 4. April und 18. April: Vom Faustkeil zur Muskete. 5. April: Moorleichen. 10. April: Forschen wie echte Archäologen. 11. April: Bogenschießen. 23. April: Der Schleswiger Hafen im Mittelalter.
Museum und Park Kalkriese: Varusschlacht im Osnabrücker Land. Sehr touristisch, aber extrem gut gemacht und lohnenswert. Täglich 10 bis 18 Uhr. Venner Straße 69, 49565 Bramsche.
Workshop in Kalkriese am 20./21. April jeweils ab 10.30 Uhr: Kampftechnik (ab 18 Jahre) und Ernährung der Germanen.
Freilichtmuseum „Germanische Siedlung“ Klein-Köris in Brandenburg. Buschweg 2, 15746 Groß Köris. Aber Vorsicht: Wird ehrenamtlich betrieben und ist daher nur einmal im Monat geöffnet. Öffnungszeiten bitte erfragen: 0160/99 13 11 86.
Archäologisches Freilichtmuseum Oerlinghausen, täglich 10 bis 18 Uhr, Am Barkhauser Berg 2-6, 33813 Oerlinghausen.