Ochsenwerder. Walter Storbeck recherchierte Geschichte der Glocke von St. Pankratius. Gemeinde feiert 2024 das 350-jährige Bestehen der Kirche.

Heimatforscher Walter Storbeck fielen jüngst bei Recherchen im Kirchenbüro in Ochsenwerder alte Schwarz-Weiß-Fotografien buchstäblich in die Hände: Sie waren aus einem Ordner gerutscht, der vermutlich viele Jahre unangetastet im Schrank lag. Die Bilder von 1960 zeigen die Anlieferung der großen Kirchenglocke, die bis heute in St. Pankratius läutet.

Die alte Kirchenglocke war – wie in den meisten anderen Gotteshäusern in Deutschland auch – abmontiert und eingeschmolzen worden, um daraus Munition zu produzieren. Ende der 1950er-Jahre, als es den Deutschen und damit auch den Menschen in Ochsenwerder wirtschaftlich wieder besser ging, wurde im Dorf Geld für eine neue Kirchenglocke gesammelt.

Als Ochsenwerder seine neue Kirchenglocke bekam

Seit fast fünf Jahren beschäftigt sich der 72-Jährige intensiv mit der Geschichte seines Dorfes und den Veränderungen in dessen Erscheinungsbild im Laufe der Jahrzehnte. Als Erstes hatte er die alten, reetgedeckten Häuser an seiner Straße, dem Ochsenwerder Norderdeich, fotografiert – und dann sein Wirkungsfeld immer weiter ausgebreitet. Storbeck lebt seit 1995 in Ochsenwerder, wuchs in Kirchwerder auf, wo er auch geboren worden ist.

Über Jahre studierte Storbeck zweimal wöchentlich in Pastoraten Kirchenbücher, vor allem, um Konfirmanden aus den Kirchengemeinden Ochsenwerder und Allermöhe auf uralten Gruppenfotos ihren Namen zuzuordnen. „Inzwischen habe ich mehrere Ordner voller Bilder“, sagt er. Sein jüngstes Projekt ist die Glocke. Mittlerweile hat Walter Storbeck viel über zu dem Thema recherchiert, auch in alten Originalausgaben der Bergedorfer Zeitung.

Viele Artikel in der Bergedorfer Zeitung

Die Bergedorfer Zeitung berichtete zwischen Juni 1958 und August 1960 sehr häufig über das Glocken-Projekt. In mehr als 20 Artikeln wurden die Leser über alle Aspekte informiert, von den Geldsorgen über die erfolgreiche Sammlung im Dorf, über die Geschichte der alten Glocke und die Produktion ihrer Nachfolgerin, bis zur „Freude über die neue Glocke“. Nachforschungen nach dem Kriege auf dem sogenannten Glockenfriedhof in Hamburg, ob die Glocke aus Ochsenwerder vielleicht doch nicht eingeschmolzen worden war und dort zu finden sei, blieben erfolglos. Deshalb beriet im November 1958 der Kirchenvorstand, wie der Kirchengemeinderat damals noch hieß, über eine „Glockenbeschaffung“. Kurz zuvor war nach längeren Erwägungen die Neuanschaffung beschlossen worden.

Die neue Glocke, kurz bevor sie in den Kirchturm transportiert wird. Die Arbeiter benötigen dafür rund zwei Stunden. Auf dem Bild legen sie Holzbohlen in den Eingang zur Kirche. Später wird die Glocke festgegurtet und per Flaschenzug in den Turm hineingezogen.
Die neue Glocke, kurz bevor sie in den Kirchturm transportiert wird. Die Arbeiter benötigen dafür rund zwei Stunden. Auf dem Bild legen sie Holzbohlen in den Eingang zur Kirche. Später wird die Glocke festgegurtet und per Flaschenzug in den Turm hineingezogen. © Kirchengemeinde Ochsenwerder | Kirchengemeinde Ochsenwerder

In beiden Weltkriegen musste jeweils eine Glocke für die Munitionsproduktion abgegeben werden. „In dem vorletzten Kriegsjahr 1944 traf die Kirchengemeinde Ochsenwerder das gleiche Schicksal vieler anderer Gemeinden“, heißt es in einem Artikel vom 17. November 1958. Und weiter: „Die im Jahre 1926 gegossene 1778 kg schwere Bronzeglocke musste abgeliefert werden. Zurück blieb nur die alte Glocke aus dem Jahre 1669.“ In mehreren folgenden Artikeln hieß es allerdings, dass die Glocke bereits 1942 für Kriegszwecke abmontiert worden war.

Etwa 80 Einwohner waren als Sammler im Einsatz

Anfangs war noch unklar, ob die vorhandene Glocke um eine große Glocke in tieferem Ton oder um zwei kleinere mit hellerem Ton ergänzt werden sollte. Zum Jahresende 1958 lagen bereits verschiedene Angebote von Glockengießereien vor. „Die Angebote bewegen sich in einer Höhe bis zu 14.000 DM“, berichtete unsere Zeitung am 19. Dezember. Im Frühjahr stand dann fest: Die Gemeinde favorisierte die Anschaffung einer großen Glocke, denn das Geläut sollte „bis an die entfernten Grenzen des ausgedehnten Kirchspiels dringen“ Und: Die „Glockengießerei Rincker aus dem Dill-Kreis“ bei Wetzlar in Hessen war bereits mit der Anfertigung beauftragt worden – vorbehaltlich der Freigabe des Geldes „für Metall und Herstellung“ durch den Landeskirchenrat Hamburg. Doch einen wesentlichen Anteil musste die Gemeinde selbst aufbringen.

Deshalb startete der Kirchenvorstand im Sommer 1959 eine Sammlung. „Etwa 80 Einwohner des Kirchspiels sind als Sammler vorgesehen“, berichtete die Bergedorfer Zeitung. Im August wurden „großzügige Spenden“ bescheinigt und im Monat darauf berichtete unsere Zeitung, dass bereits 7308,50 Mark gesammelt worden waren. Bis Ende Oktober war die Spendensumme sogar noch auf 7695 Mark angewachsen. Mitte September wurde die neue Glocke gegossen, zelebriert als feierlicher Akt. Acht Vertreter des Kirchenvorstandes und der Gemeinde, darunter der damalige Pastor von Ochsenwerder, Bernhard Mielck (1918-2001), waren dafür eigens zu der Gießerei nach Hessen gereist.

1800-Kilogramm-Schwergewicht rollt per Lastwagen heran

Die Gebrüder Rincker hatten damals viel zu tun: „Im Durchschnitt werden alle zehn Tage zehn Glocken gegossen. Wie Vertreter der Gießerei berichteten, sollen dort seit Kriegsende bis heute rund 5000 Glocken gegossen worden sein“, erfuhr der Leser der Bergedorfer Zeitung.

Bis zum Einbau der neuen Glocke mussten sich die Menschen im Dorf allerdings noch sieben Monate gedulden: Erst nach dem Ende aufwendiger Renovierungsarbeiten in der Kirche Ende April rollte das 1800-Kilogramm-Schwergewicht per Lastwagen heran. Durch das Läuten der alten Glocke wurde die Bevölkerung über das Eintreffen des Neubaus informiert. Bei stürmischem Wetter war das Läuten der alten Glocke jedoch kaum zu hören gewesen: „Vor dem Turm traf man sich zu einer kleinen Feier“, hieß es in der Bergedorfer Zeitung.

Mithilfe von Flaschenzügen an den richtigen Platz befördert

Etwa zwei Stunden benötigten die Handwerker der Zimmerei Rathmann vom Elversweg in Ochsenwerder, um die Glocke durch den Kircheneingang in den 34 Meter hohen Turm zu schaffen. Die Glocke, an deren oberem Ende bereits eine massive Trägervorrichtung aus Stahl installiert war, wurde per Flaschenzug über Holzbohlen ins Kircheninnere gezogen. In Etappen wurde sie später dann in die Höhe befördert, ebenfalls mithilfe von Flaschenzügen, die auf mehreren Ebenen gespannt waren. „Die Zwischendecken im Kirchturm kann man öffnen und schließen. So konnten die Männer die Glocke eine Ebene weit hochziehen, die betreffende Zwischendecke wieder schließen, die Glocke zwischendurch abstellen und später weitermachen“, weiß Walter Storbeck.

Im folgenden Sommer wurde die Endmontage der Aufhängevorrichtung durchgeführt, die Läutemaschine eingebaut, prüfte ein Musiksachverständiger des Landeskirchenamtes Hamburg die Glocke. Am Sonntag, 28. August 1960, dann der feierliche Moment: Während eines Festgottesdienstes wurde der Koloss geweiht. „In einem Gebet bat die Gemeinde, dass die neue Glocke recht lange im Frieden läuten möge“, schrieb unsere Zeitung damals.

Die vierte Schwesternglocke seit 1786

Die neue Glocke war übrigens bereits die vierte, die ihren Platz neben der alten Glocke von 1669 fand. Bereits 1786, 1908 und 1926 waren Schwesterglocken installiert worden. Die erste Nebenglocke zersprang nach 122 Dienstjahren, die anderen beiden dienten der Munitionsproduktion.

Walter Storbeck forscht in einem alten Ordner der Bergedorfer Zeitung nach Geschehnissen in den Vier- und Marschlanden.
Walter Storbeck forscht in einem alten Ordner der Bergedorfer Zeitung nach Geschehnissen in den Vier- und Marschlanden. © Thomas Heyen | Thomas Heyen

Die Kirchengemeinde Ochsenwerder feiert im kommenden Jahr das 350-jährige Bestehen ihrer Kirche. 1673/74 wurde das heutige Gotteshaus als insgesamt dritte Kirche Ochsenwerders gebaut. Der Vorgängerbau war baufällig und zu klein für die große Gemeinde geworden.

350-jähriges Bestehen der Kirche wird groß gefeiert

Der Geburtstag soll im Sommer unter anderem mit Konzerten, Vorträgen, Ausstellungen, Führungen sowie einem Kinder- und Gemeindefest gefeiert werden. Zu einem festlichen Eröffnungsgottesdienst des Jubiläumssommers am 12. Mai, dem Tag des Gedenkens an den heiligen Pankratius, hat sich Bischöfin Kirsten Fehrs angekündigt. Im Anschluss an den Gottesdienst soll eine Ausstellung eröffnet werden. Für einen Gottesdienst zum Abschluss der Feierlichkeiten am 13. Oktober konnte der Kirchengemeinderat Pröpstin Dr. Ulrike Murmann gewinnen. „Die tatsächliche Weihung unserer heutigen Kirche war nämlich im Oktober 1674“, sagt Simone Vollstädt vom Kirchengemeinderat..

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Ein Gemeindefest mit vielen Aktivitäten ist für den 7. Juli geplant. Für den 2. Juni ist ein Familiengottesdienst mit anschließendem „Festmahl“ mit historischem Bezug in Planung. Am 15. September, dem „Tag des Friedhofs“, soll der Friedhof im Mittelpunkt stehen. Auch regelmäßige Termine wie „Offene Kirche“ und „Stunde der Kirchenmusik“ sollen im Festsommer im Zeichen des Jubiläums stehen.

Unterstützer können sich bei Simone Vollstädt melden

Für die vielen Feierlichkeiten benötigen die Organisatoren helfende Hände. Freiwillige Unterstützer melden sich per E-Mail an s.vollstaedt@kirche-ochsenwerder.de oder telefonisch unter 040/737 35 51.