Bergedorf. Gutachten liegt endlich vor. Von Kastration wird abgeraten. Was die Bergedorfer Politiker zu der 84-Seiten-Expertise sagen.
Das Nutria-Gutachten der Umweltbehörde sollte bereits Ende Juli in den zuständigen politischen Ausschüssen in Bergedorf vorgestellt werden, liegt den Bezirkspolitikern nun „nach einer fachlichen Prüfung“ (Umweltbehörde) endlich vor. Zielstellung des Gutachtens ist nach Auskunft der Behörde eine Bestandsabschätzung, eine Aufnahme und Bewertung der Schäden sowie das Aufzeigen von Managementkonzepten. Wir fragten die Politiker, was sie von dem Gutachten halten.
„Es konnten diverse Schäden, mit einem Schwerpunkt von Schäden an Ufern und dem Sedimenteintrag in die Gewässer, sowie geringeren Schäden an der Ufervegetation, Zier- und Kulturpflanzen, ermittelt werden“, heißt es in einer Antwort der Umweltbehörde auf ein Auskunftsersuchen der CDU in der Bergedorfer Bezirksversammlung, die wegen der späten Vorlage des Gutachtens nachgehakt hatte.
Nutrias in Bergedorf: Umweltbehörde empfiehlt flächendeckende Jagd
Die Zahl der in Bergedorf lebenden Nutrias lässt sich nur sehr schwer schätzen: In dem Gutachten ist von gut 6500 Tieren bis zu mehr als 42.300 die Rede. Die Fachleute geben 21.252 Tiere als Mittelwert an. Das wären pro Hektar 1,53 Nutrias. „Leider hat die Entwicklung der Population das Gutachten inzwischen überholt“, sagt Erika Garbers (CDU). Das Gutachten wurde vor einem Jahr in Auftrag gegeben.
Das Gutachten empfiehlt hinsichtlich der wirtschaftlichen Schäden, besonders der Uferstabilität und zur Sicherung einer funktionierenden Ent- und Bewässerung des Grabensystems, „eine kontrollierte, bedarfsgerechte, flächendeckende Entnahme durch Jagdausübungsberechtigte“, teilt die Umweltbehörde mit.
Beeinträchtigung des Hochwasserschutzes konnte nicht nachgewiesen werden
„Ohne Bekämpfungsansätze ist aufgrund der hohen Reproduktionsrate und dem Fehlen natürlicher Feinde davon auszugehen, dass sich die Nutria (auch im städtischen Bereich) weiter ausbreiten wird und auch Flächen, in denen die Nutria bereits durch Bejagung bekämpft wurden, durch zuwandernde Tiere erneut besetzt werden.“ Und: „Eine Beeinträchtigung des Hochwasserschutzes durch die Nutria konnte im Rahmen der Untersuchungen nicht nachgewiesen werden. Eine Notwendigkeit der Bekämpfung von Nutria zur Abwendung naturschutzfachlicher Schäden sieht das Gutachten zurzeit nicht.“
Trotzdem empfehlen die Fachleute den Abbau rechtlicher Hürden: Es soll geprüft werden, wie die Nutria in das Hamburger Jagdrecht aufgenommen werden kann, damit die Jäger Rechtssicherheit haben und – befristet – auch Elterntiere erlegen können. Dies ist ihnen bisher untersagt. Weiterhin wird die Bekämpfung und Geld für Lebendfallen und die bereits als Pilotprojekt im Bezirk Bergedorf gezahlte Schwanzprämie (10 Euro pro erlegtem Tier) sowie die Prüfung einer Prämie für weitere Bezirke empfohlen, ebenso der Einsatz von Berufsjägern.
Umweltbehörde: Einrichtung von Schutzzäunen wird empfohlen
Empfohlen wird auch eine „flächendeckende Bejagung in den befriedeten Bereichen (Stadt) und auf dem Land zur Eindämmung wirtschaftlicher Schäden“. Und: „Die Methode der Kastration wird nicht empfohlen.“ Tierschützer setzen sich für Kastration statt Tötung ein. Die Gutachter halten zudem „die Einrichtung von Schutzzäunen um Bereiche, in denen wiederholt größere wirtschaftliche Schäden auftreten oder aus denen Nutrias ferngehalten werden sollen“ für sinnvoll. Zur Kontrolle naturschutzfachlicher Auswirkungen sollte es ein „mehrjähriges Monitoring des Einflusses der Nutria auf Flora und Fauna“ geben.
Die Politiker haben das Gutachten am Donnerstagmorgen (2. November) erhalten, konnten das 84-seitige Schreiben noch gar nicht umfassend studieren, zumal sich viele der Feierabend-Parlamentarier auf die abendliche Bezirksversammlung vorbereiten mussten und mit anderen Themen zu tun hatten. Trotzdem äußerten sie sich.
CDU und FDP sehen ihre Ansichten durch das Gutachten bestätigt
„Das Gutachten stimmt in den wesentlichen Punkten mit unseren Ansichten überein“, sagt Jörg Froh (CDU) mit Blick auf eine Änderung des Hamburger Jagdgesetzes. „Nutrias sind schon wenige Tage nach ihrer Geburt selbstständig, kommen also auch ohne die Elterntiere klar“, weiß seine Parteifreundin Erika Garbers. Die Christdemokraten sehen sich nun auch in ihrer Meinung bestätigt, dass eine massenhafte Kastration der Tiere von hohen Kosten abgesehen „auch aufgrund rechtlicher Hürden“ (Garbers) nicht machbar sei.
Sie und ihre Parteifreunde hatten befürchtet, „dass es auf kaum bezahlbare und nicht umsetzbare Kastrationen hinausläuft“, sagt Erika Garbers. Jetzt herrsche allgemeine Erleichterung. Erika Garbers: „In dem Gutachten steht auch, dass, wenn nichts unternommen wird, um die Bestände einzudämmen, die Tiere sich auch in den Innenstadtgebieten weiter ausbreiten werden.“
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Vanessa Haloui (CDU) hat eine andere Meinung als ihre Parteikollegen, wollte sich unserer Zeitung gegenüber ausschließlich als Tierschützerin und Privatperson äußern: „Durchschnittlich 1,53 Nutrias auf einem Hektar ist lächerlich wenig. Demnach sind die Tiere nicht überall verbreitet, da sie ja in größeren Familienverbänden zusammenleben.“
Sie müsse sich das Gutachten erst „in Ruhe durchlesen“, doch sei jetzt bereits klar: „Das Gutachten ist eine Farce, da die Zahlen, die die Population betreffen, extrem schwanken. Es gibt nach wie vor keine verlässlichen Angaben.“ Eine Abschussfreigabe wäre, vor allem mit Blick auf die Elterntiere, „ein Verstoß gegen das geltende Tierschutzgesetz“, betont Vanessa Haloui.
Öffentliche Sitzung am Dienstag, 14. November
Hans-Hermann Mauer, der die SPD im Regionalausschuss vertritt, ist überzeugt, dass die Sozialdemokraten das Gutachten intensiv durcharbeiten werden, aber positioniert sich grundsätzlich für eine verstärkte Bejagung der invasiven Nager. Es könne nicht sein, dass sie Gräben unterhöhlen und damit Menschen und die Landwirtschaft gefährden, betont Mauer.
Allein auf ein Verbot hinzuweisen, die Tiere nicht zu füttern, könne nicht die Lösung sein, erklärt Mauer, der überzeugt ist, dass das Thema auch in der nächsten Sitzung des Regionalausschusses erneut zur Sprache kommen wird. Die öffentliche Sitzung ist am Dienstag, 14. November, 18 Uhr, in der Aula der Schule Fünfhausen-Warwisch am Durchdeich 108.
Nutriabestände müssen ernsthaft beobachtet werden
Lenka Brodbeck von den Grünen weist darauf hin, dass es sich bei den Vier- und Marschlanden um ein Gebiet handelt, in dem auch der Deichschutz eine große Rolle spielt. Daher müssen die Nutriabestände ihrer Meinung nach ernsthaft beobachtet werden, betont die Grüne. Wenn eine Bejagung das richtige Mittel sein sollte, um ihren Bestand zu kontrollieren, würde sie sich dem nicht verschließen.
Allerdings müsste aus ihrer Sicht streng kontrolliert werden, ob eine Bejagung tatsächlich funktioniert oder den gegenteiligen Effekt hat und die Bestände dann sogar noch wachsen, weil sich elternlose Jungtiere weiter ausbreiten. Außerdem könne eine Strategie nicht an der Landesgrenze enden, sondern müsse mit den angrenzenden Bundesländern abgestimmt werden, meint Lenka Brodbeck.
FDP: Nun muss die Behörde handeln
Karsten Schütt (FDP) betont, dass seine Partei bereits vor zwei Jahren so ein Maßnahmenkonzept gefordert habe, die Politik damals aber erst einmal ein Gutachten erstellen lassen wollte. Dadurch sei wertvolle Zeit vergangen, in der sich die Nutriabestände vergrößert haben. Die Umweltbehörde müsse „nun ein Managementkonzept schaffen und die im Gutachten vorgeschlagenen Maßnahmen umsetzen“, betont der Liberale. „Der Bezirk darf nicht mit den Kosten alleingelassen werden.“
Stephan Jersch, der für Die Linke als tierschutzpolitischer Sprecher in der Hamburgischen Bürgerschaft sitzt, lag das Gutachten am Donnerstag noch nicht vor. Ihm und seiner Partei sei es wichtig, zu klären, „ob es wirklich nichts Besseres als die Bejagung gibt“. Denn für erfolgreiche Eindämmung von Nutriabeständen durch Jagd gebe es keine echten Beispiele.
„In Holland ist das ja eine neverending Jagd-Story. Da wird maximal der Status quo gehalten, höchstens eine weitere Ausbreitung verhindert. Das ist kein echtes Erfolgsmodell.“ Klar sei jedoch, dass es hierzulande eine Grenze für die Nutriapopulation geben muss, betont Jersch. „Notfalls muss das mit Bejagung erreicht werden.“