Bergedorf. Bezirksamt lädt zur Diskussion ein und sucht Gesichter für eine Foto-Aktion. Geplant ist auch eine ganz besondere Landkarte.
Das Küchenradio kann schon ein guter Freund sein. Oder der Postbote. Das sind für viele Menschen aber auch schon die einzigen Stimmen, die sie an einem Tag zu hören bekommen. Manch einer geht auch extra in den Supermarkt oder stellt sich an eine Bushaltestelle. Doch das Gefühl der Einsamkeit mag einfach nicht verschwinden – auch nicht mitten in Menschenmassen.
Großbritannien war das erste Land, das im Jahr 2018 ein Ministerium gegen Einsamkeit gründete. Es möge Projekte begleiten, die Menschen aus der Isolation holen, aus der Anonymität. Und es möge aufpassen, dass zum Beispiel keine Gemeinde alternativlos ein Jugendzentrum schließt oder die Busfahrpreise zu sehr anhebt, dass die Leute lieber daheim bleiben.
Angebote gegen die Einsamkeit in Bergedorf
Das Thema ist inzwischen auch in Deutschland angekommen: Seit Juni 2022 erarbeitet das Bundesgesellschaftsministerium (für Familie, Frauen, Senioren und Jugend) federführend eine Strategie gegen Einsamkeit, die „alle Menschen einschließt, die aufgrund ihrer Lebensführung in bestimmten Lebensphasen von Einsamkeit betroffen sein können“. Derzeit befindet sich die Strategie in der Abstimmung mit den anderen Bundesministerien.
Bergedorfer Gesundheitskonferenz am 25. Oktober
Schon im Februar 2022 startete das Kompetenznetzwerk Einsamkeit, kurz: KNE. Es will Wissen bündeln für konkrete Angebote und Orte gegen Einsamkeit. Jetzt auch in Bergedorf. „Denn das ist auch bei uns im Bezirk ein großes Thema“, ahnt Jana Borutta, die im Bezirksamt für das kommunale Gesundheitsförderungsmanagement arbeitet. Mit ihrer Kollegin Kathrin Flaspöler, die sich um die offene Seniorenarbeit kümmert, lädt sie zu einer Gesundheitskonferenz am Mittwoch, 25. Oktober, im Körberhaus an der Holzhude ein. Experten aus Jugend- und Senioreneinrichtungen und interessierte Bergedorfer wollen zwischen 10 und 14 Uhr über „GemEinsam in Bergedorf“ sprechen. Vor der Diskussion halten die KNE-Referentinnen Charlotte Wind und Lisa Höfer einen Impulsvortrag.
Die Zahlen des Statistischen Amtes stammen von Ende 2022 und besagen, dass es unter den 19.021 Haushalten im Bergedorfer Bezirk genau 9491 Ein-Personen-Haushalte gibt. Das sind 49,7 Prozent. Natürlich müssen deren Bewohner sich nicht alle einsam fühlen, das ist schließlich ein sehr subjektives Gefühl mit individuellen Ursachen. Doch eine gewisse Definition gibt es schon: Einsamkeit entsteht demnach, wenn die eigenen sozialen Beziehungen nicht den persönlichen Wünschen und Bedürfnissen entsprechen. Der empfundene Mangel kann sich sowohl auf die Zahl der Kontakte als auch auf die Tiefe und Enge der Bindungen beziehen.
Laut Bundesministerium sind von Einsamkeit Menschen jeden Alters betroffen, also etwa Singles und Alleinerziehende, Migranten und Menschen mit eingeschränkter Mobilität: „Besonders gefährdet sind Menschen in Übergangssituationen im Leben, wie dem Einstieg in Studium, Ausbildung, Beruf und Rente oder wenn die Person von einem Schicksalsschlag ereilt wird, etwa einer Trennung oder dem Verlust eines geliebten Menschen.“
Jetzt mitmachen bei der Foto-Kampagne
Ihnen allen möchte das Bergedorfer Bezirksamt nun Hilfsangebote aufzeigen und eine kleine Landkarte erarbeiten „mit Orten, wo man hingehen kann“, sagt Borutta und kündigt eine Foto-Kampagne an: Gesucht werden Gesichter, die sich fotografieren lassen mögen mit der Aussage „Wenn ich einsam bin, geht ich ins Jugendzentrum St. Michael“ oder „. . . gehe ich zum Kaffeetrinken ins Haus brügge“.
Wer mitmachen möchte, meldet sich per E-Mail bei jana.borutta@bergedorf.hamburg.de. Die Kampagne mit Bergedorfer Gesichtern von 18 bis 99 Jahren startet im November. „Für Anfang Dezember planen wir dann eine Fotoausstellung im Marktkaufcenter“, kündigt Jana Borutta an: „Kurz vor Weihnachten ist ja die Hochzeit der Einsamkeit.“
Angebote auf einer Landkarte eintragen
Tatsächlich gibt es schon heute eine Art Landkarte für ganz Deutschland: Das Kompetenznetzwerk Einsamkeit hat über 350 Angebote gegen Einsamkeit online dargestellt. Interessierte haben so die Möglichkeit, passende Angebote in ihrer Umgebung zu finden und auszuwählen. Dazu gehören Mehrgenerationenhäuser, Besuchsdienste und offene Treffen. Für den Bezirk Bergedorf hat sich indes bislang nur das Mütterzentrum am Reetwerder eingetragen.
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Wer mag, kann sich auch mit dem Schwerpunktthema „Einsamkeit und Sterben“ beschäftigen. Dazu bietet der KNE-Salon am Donnerstag, 19. Oktober, eine Online-Diskussion an. Referenten sind die Buchautorin Susanne Loke („Einsam Sterben und unentdeckte Tode in der Stadt“) und Paul Herrlein, der Vize-Vorsitzende des Deutschen Hospiz- und Palliativverbandes mit Sitz in Berlin. Kostenlose Anmeldungen sind erwünscht unter www.kompetenznetzwerk-einsamkeit.de.