Nettelnburg. Fenja Königsmann aus Nettelnburg studierte auf Lehramt. Die Liebe zu Pferden führte sie in ein anderes Leben im Norden Kaliforniens.
Wenn Fenja Königsmann am Morgen aufwacht und aus dem Fenster schaut, dann sieht sie keine Hauswände. Sie hört auch keine Autos und sieht keine Menschen. Stattdessen blickt sie in eine weite, etwas karge, aber stille und friedliche Landschaft. Und auf den Mount Shasta, dessen Gipfel sich majestätisch in der Ferne erheben. „Immer wieder einfach nur schön“, sagt die 29-Jährige, die diese Szenerie nun seit November 2020 bewundert: Damals wanderte sie von Bergedorf nach Kalifornien aus, um dort ein ganz neues Leben zu beginnen. Sie tauschte die moderne Nettelnburger Wohnung gegen einen Trailer – und den Großstadtstress gegen ein Leben mit Pferden.
Dass die junge Frau diesen Weg gehen würde, war lange nicht abzusehen. „Noch vor sechs Jahren hätte ich auf die Frage, ob ich mir vorstellen könnte, nach Amerika zu gehen, mit Nein geantwortet“, sagt sie. Denn obwohl sie einen amerikanischen Vater und Verwandte in den USA hat, auch einen US-amerikanischen Pass, fühlte sie sich Deutschland verbunden: In Stuttgart wurde sie geboren, in Berlin und Hamburg wuchs sie auf und Nettelnburg war seit 2014 ihr Zuhause. Amerika, so dachte sie, wäre wohl doch zu fremd. Doch dann kam alles anders.
Auswandern: In Kalifornien lebt Fenja Königsmann ihren amerikanischen Traum
Garzi war wohl ein bisschen „schuld“, Fenja Königsmanns Stute. Wie so viele Mädchen hatte auch Fenja als Kind eine Liebe zu Pferden entwickelt. „Mit neun Jahren habe ich zehn Reitstunden geschenkt bekommen“, erzählt sie. Die Freude am Reiten blieb auch, als sie älter wurde. 2014 kaufte sie sich Garzi. Doch: Sie war „keine einfache Stute“, sagt die ehemalige Nettelnburgerin. Garzi wollte nicht das, was Fenja wollte. Sie wollte nicht geritten werden, sie bockte, sie stieg. „Sie hat Nein gesagt“, stellt die einstige Nettelnburgerin fest, die ihr Tier dann immer weniger ritt.
Die junge Frau stellte ihre Stute bei Tierärzten vor. Garzi wurde untersucht, geröntgt, bekam Akupunktur und andere Behandlungen – doch alle Therapien halfen nur kurz. „Dann war ich ziemlich verzweifelt und dachte mir: Wir bekämpfen doch nur die Symptome, aber wir müssen mal wissen, was da wirklich los ist.“ Sie fand in Hamburg eine Osteopathin, die Garzi behandelte. „Und da habe ich das erste Mal eine echte Veränderung gespürt.“
Das Lehramtstudium gab sie auf – für die Osteopathie
Viele Dinge geschahen dann gleichzeitig. Fenja Königsmann, die seit 2017 an der Uni Hamburg Gymnasiallehramt für Biologie und Englisch studiert hatte, entschied sich, das Studium abzubrechen. „Es war schon lange bergab gegangen, das war einfach nichts für mich“, stellt sie fest. Gleichzeitig war ihr Interesse für die Osteopathie geweckt. Osteopathen betrachten jedes Lebewesen ganzheitlich. Es wird davon ausgegangen, dass alles in direkter oder indirekter Weise verbunden ist: Knochen, Muskeln, Organe. Mit verschiedenen Methoden wird versucht, die Blockaden zu lösen. Und bei Stute Garzi hatten besonders die Absolventen des Vluggen Instituts für Pferdeosteopathie durchschlagenden Erfolg. „Da war ich echt baff, es ging ihr viel, viel besser“, erzählt Fenja, die sich spontan entschied: „Das will ich machen!“
Sie begann 2019 ihre Ausbildung zur Pferdeosteopathin beim Vluggen Institut. Das Institut, das in der Nähe von Düsseldorf und in Texas/USA eine Dependance hat, bildet erheblich länger aus als vergleichbare Einrichtungen: bis zu vier Jahre statt ein bis zwei Jahre. 2019 startete Fenja von Deutschland aus die Ausbildung, flog für die Module extra nach Texas. Doch schnell ergab sich eine andere Chance: Sie lernte noch im selben Jahr über Verwandte die US-Amerikanerin Stormy May kennen, die sich ebenfalls mit Pferden beschäftigte und ein Video über „The path of the horse“, den „Weg der Pferde“, gedreht hatte. Und über Stormy May nahm Fenja dann, zunächst nur per Zoom und WhatsApp, Kontakt zur Autorin Ren Hurst auf, die zwei Bücher über gesellschaftliche Konditionierung geschrieben hatte. Thema: Wie habe ich zu sein? Und wie bin ich wirklich, jenseits der Erwartungen? Das Thema passte zu Fenja und ihrer Stute: Denn auch Garzi hatte immer sehr ihren eigenen Kopf und keine Lust, sich den Menschen zu unterwerfen.
„Ren hat mich dann gefragt, warum ich nicht zu ihr nach Kalifornien komme und ihr auf ihrer Farm helfe“, erzählt Fenja. Eigentlich sei es weniger eine Farm als vielmehr eine Art Gnadenhof im Norden Kaliforniens, wo Pferde, Ziegen und Schafe leben, die frei sind und von Menschen nicht mehr genutzt werden. „Ich habe dann überlegt, was mich in Deutschland noch hält“, sagt die junge Frau. Und weil das im Corona-Jahr 2020 nicht viel war, zog sie im November in die USA um. „Ich war schon immer kurzentschlossen, wenn ich was will“, sagt die 29-Jährige. Die Farm im Norden Kaliforniens, nur 40 Kilometer von der Grenze zu Oregon entfernt, hatte Fenja bis dahin nie gesehen, auch Ren kannte sie nur via Internet. Sie packte trotzdem ihre Koffer.
Der amerikanische Pass machte manches einfacher. Aber Schwierigkeiten blieben: Fenja würde von Kalifornien aus regelmäßig ins weit entfernte Texas reisen müssen, um ihre Ausbildung weiterführen zu können. Vor allem aber musste sie sich in Amerika, auf einer Farm mitten im Nirgendwo, ein neues Leben aufbauen. Verwandte liehen ihr Geld, erzählt sie, damit sie sich einen Trailer zum Wohnen sowie ein Auto kaufen konnte. Zudem musste sie ihre Stute Garzi in die USA bringen. Das gelang mithilfe eines professionellen Pferdetransportunternehmens, das alle Formalitäten übernahm und den Flug organisierte.
Heute sind diese Anfangsstrapazen längst vergessen. Garzi lebt auf riesigen Weiden, hat alle Freiheiten und wird nicht mehr geritten. Fenja Königsmann wohnt in ihrem Trailer auf dem riesigen Grundstück ihrer Gastgeberin und hilft dieser mit den Tieren. Parallel versucht sie nun nach dem Ende ihrer Ausbildung, sich als Pferde-Osteopathin ein Gewerbe aufzubauen. Dafür reist sie auch mal zu ihren Kunden durchs Land.
Der nächste Supermarkt ist 25 Autominuten entfernt
Doch oft ist es ein stilles Leben, erzählt Fenja: Hier gibt es keine großen Städte, keine Ablenkung, keine riesigen Shoppingmalls, oft nicht mal andere Menschen. Die nächstgelegenen Orte Yreka und Mount Shasta sind kleine, verschlafene Örtchen, der nächste Supermarkt ist 25 Autominuten entfernt. Das Internet, das sie über eine Satellitenschüssel empfängt, würde manch einer nicht toll finden, die Komposttoilette auch nicht. Aber Fenja mag das alles: Schließlich fehlt es ihr an nichts. Sie hat fließendes Wasser und – dank Solaranlage auf dem Dach – auch ausreichend Strom. Und natürlich ist da die wunderschöne Natur. Dafür nimmt sie gern in Kauf, dass es „im Trailer im Winter sehr kalt und im Sommer sehr heiß ist“, wie sie feststellt.
Auch interessant
- Nutria-Plage: Tierschützer fordern Kastration der Tiere
- Wohngemeinschaft am Vorderdeich mit neuem Konzept und Leiter
- Handchirurgie in Boberg setzt seit 60 Jahren Maßstäbe
Noch immer kann es die 29-Jährige gar nicht fassen, wenn sie die Tür des Trailers öffnet und auf den Mount Shasta blickt – mal glutrot im Abendlicht, mal schneebedeckt leuchtend unter einem weiten blauen Himmel. Wird sie also hier bleiben, für immer? Oder doch wieder zurückkehren, zu ihrer Familie nach Hamburg? „Hamburg ist eine superschöne Stadt“, sagt sie. „Aber ich bin wohl kein Stadtmensch.“ Bis auf Weiteres will sie hierbleiben, im Norden Kaliforniens, wo auch ihre Stute Garzi ein neues Leben gefunden hat.