Bergedorf. Statt die Nager abzuschießen, fordert Bergedorfer Verein Looki andere Wege im Kampf gegen Nutrias. Warum das Töten kontraproduktiv sei.
Bergedorfer Tierschützer machen mobil gegen den Abschuss von Nutrias. Vanessa Haloui (42), Vorsitzende des Tierschutzvereins Looki mit Sitz an der Eschenhofbrücke 3 (Pollhof), richtete sich „gegen eine unbegründete Hetz- beziehungsweise Hexenjagd“, gegen den Abschuss der Sumpfratten und „gegen Tierleid in Lebendfallen“. Stattdessen sollte das Füttern von Nutrias streng verboten werden, damit sich die Tiere nicht zu sehr an Menschen gewöhnen. Und: Looki engagiert sich „für nachhaltige Bestandskontrolle durch Kastrationsprojekte“.
Vanessa Haloui und ihre Mitstreiter sammeln derzeit Unterschriften und senden Protest-Postkarten gegen den Abschuss der invasiven Nager an die Umweltbehörde. „Wir formulieren auch gemeinsam mit anderen Tierschutzvereinen einen offenen Brief an die Tierschutzbehörde“, sagt die Looki-Chefin.
Nutrias: Tierschützer protestieren gegen Abschuss der Nager
Die Tierschützerin und Vogelexpertin Nora Picka-Pamperin, die viele hilfebedürftige Vögel von Looki in ihre Obhut nimmt, hält die bisherige Vorgehensweise gegen Nutrias ebenfalls für grundlegend falsch. Sie holte mit bloßer Hand eine ganze Nutria-Familie aus einem See und übergab die Nager einem Tierpark. „Badegäste fühlten sich gestört, deswegen bestand die Gefahr, dass die Tiere abgeschossen werden“, sagt die Bergedorferin.
Sie seien für eine natürliche Reduzierung der Nutria-Bestände, betonen die Tierschützerinnen. „Denn gibt es weniger Nutrias, dann haben alle Tiere mehr Platz und Ressourcen zur Verfügung“, sagt Vanessa Haloui, und fügt hinzu: „In Südamerika sterben die Tiere in sehr kalten Wintern.“ Auch deshalb sei ein striktes Fütterungsverbot wichtig. „Außerdem gewöhnen sich die Tiere sonst zu sehr an Menschen und kommen ihnen sehr nahe. Wenn Jungtiere dabei sind, fühlen sich die Tiere allerdings von den Menschen bedroht und gehen in Drohstellung. Dann heben sie die Vorderbeine hoch und zeigen Zähne, wie die Hamster.“
Laut Tierschützern kaum Meldungen über Schäden durch Nutrias
Dass Zigtausende Nutrias auf landwirtschaftlichen Flächen leben, können die Tierschützerinnen nicht glauben: „Das sind vielleicht mal 50 Tiere. Das Revier einer Familie hat ja schon einen Durchmesser von drei bis fünf Kilometern“, sagt Nora Picka-Pamperin. Die beiden Frauen wundern sich auch darüber, dass auf den Internetseiten der Umweltbehörde, auf denen von Nutrias angerichtete Schäden oder auch bloße Sichtungen der Tiere angegeben werden können, kaum Einträge zu finden sind. „Auch beim Melde-Michel ist zu dem Thema nichts eingegangen. Das haben die Grünen per Anfrage geklärt“, sagt Vanessa Haloui.
Nora Picka-Pamperin erkennt in der Mobilmachung gegen Nutrias eine „CDU-Propaganda mit Blick auf die Wahl der Bezirksversammlung im Juni“. Dass ihre Parteifreunde vehement den Abschuss der Tiere fordern, schreckt Vanessa Haloui nicht ab: „Andere Meinungen müssen innerhalb einer Partei erlaubt sein.“ Sie sehe ihre Aufgabe darin, „moderne Ansichten in Sachen Tierschutz“ in ihre Partei zu tragen. Die deutliche Verringerung des Bestands sei ja auch ein gemeinsames Ziel, nur denke sie halt grundlegend anders über den Weg dahin.
30.000 Euro Schwanzprämie von der Hamburger Umweltbehörde
Die Umweltbehörde hat 30.000 Euro für die Zahlung der sogenannten Schwanzprämie in Bergedorf in diesem Jahr bereitgestellt. „Bekommen die Jäger 10 Euro pro Tier, dann können 3000 Tiere geschossen werden. Doch werden Elterntiere abgeschossen, zersplittern die Familien“, sagt Nora Picka-Pamperin. Die Folge sei, dass der weibliche Nachwuchs dann schnell an Männchen gerate und seine eigene Familie gründet. Zwar ist das Töten von Elterntieren, die sich noch um ihren Nachwuchs kümmern, gesetzlich untersagt, doch die Tierschützerinnen glauben nicht, dass das in der Praxis praktikabel sei: „Da werden die Jäger doch oft kaum unterscheiden können, welche Tiere die Eltern und welche der Nachwuchs“, sagt Nora Picka-Pamperin.
Werden wiederum Jungtiere getötet, sei dies ein Grund für das Muttertier, schneller weiteren Nachwuchs zu gebären, betont Nora Picka-Pamperin. Ihre Mitstreiterin fügt hinzu: „Schießt man Tiere ab, gibt es noch viel mehr Nachwuchs. Das ist wie bei der Medusa: Schlägt man einen Kopf ab, wachsen zwei nach.“ In den USA habe man genau dieses Problem gerade mit Wildschweinen, die sich aufgrund der Abschüsse zur Plage entwickeln, betont Vanessa Haloui.
Verwendung von Lebendfallen sei nicht tierschutzkonform
Die Schwanzprämie sei deshalb auch nicht wirtschaftlich: „Werden in einem Jahr viele Tiere abgeschossen, müssen es im Jahr darauf noch viel mehr sein“, sagt Vanessa Haloui. „Bestes Beispiel sind die Niederlande. Dort werden seit 23 Jahren Nutrias abgeschossen. Warum wird das dort als Erfolg verbucht, wenn es jedes Jahr mehr Abschüsse sind?“
Die Frauen lehnen Lebendfallen ab, die von den Jägern verwendet werden, um Nutrias zu fangen und später zu töten: „Ein Tier in einer solchen Falle hat Todesangst, muss vielleicht an einem heißen Tag dort stundenlang ausharren“, sagt Vanessa Haloui. „Außerdem gehen auch andere Tiere in die Falle. Das ist nicht tierschutzkonform.“
Gutachten der Umweltbehörde zu Nutrias voraussichtlich im Oktober
Wichtig sei, verlässliche Zahlen zu erhalten, bevor Fakten geschaffen werden, betont die 42-Jährige. „Wir müssen auf das Gutachten der Umweltbehörde warten, das voraussichtlich im Oktober veröffentlicht wird“, sagt die CDU-Politikerin, die für ihre Partei im Umweltausschuss der Bergedorfer Bezirksversammlung sitzt. Dann sei auch klar, wo es Hotspots gebe, „denn das kann auch ein abgelegener Tümpel sein – und dann hätten wir doch kein Problem“.
An Feldern sollten natürliche Randzonen gelassen werden, damit die Felder nicht bis an die Gräben reichen. Werde dann noch ein kleiner Steckzaun aufgestellt, würden Nutria, die nicht klettern können, auf den Feldern keine Schäden anrichten. „Solche Randstreifen sind auch für andere Tiere wichtig“, sagt Nora Piacka-Pamperin – eine Argumentation, die auch Experten des Naturschutzbundes Deutschland anführen. Vanessa Haloui fügt hinzu: „Die Anwesenheit der Nutrias hat ja auch etwas Positives: Sie fressen das Gras und halten den Uferrand davon frei.“
Kastration sei tierschutzgerecht und das wirksamste Mittel
Mensch und Nutria können friedlich nebeneinander existieren, meinen die beiden Frauen. Doch um den Bestand zu reduzieren, sollten die Tiere kastriert werden. „Der Meinung sind eigentliche alle, die mit Tieren zu tun haben, auch Peta und der Nabu“, sagt Vanessa Haloui. „Das ist tierschutzgerecht und das wirksamste Mittel, um die Ausbreitung einzudämmen“, sagt Nora Picka-Pamperin. „Denn das Männchen und seine Gruppe besetzen weiterhin ihr Revier.“
Statt einer Schwanz- sollte eine Fangprämie gezahlt werden: „Die Jäger fangen die Nutrias eh ein. Der Aufwand ist derselbe.“ Kastrationsprojekte könnten mit Natur- und Umweltverbänden sowie Tierärzten im großen Stil umgesetzt werden. „Dann ist die Kastration auch weniger kostenintensiv“, sagt Nora Picka-Pamperin. In Aventurien (Italien) gebe es ein erfolgreiches Langzeitprojekt: „Schon nach wenigen Jahren konnte der Nutria-Bestand dort durch Kastrationen und Sterilisationen deutlich reduziert werden“, sagt Vanessa Haloui.
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576 Tiere werden derzeit von Looki an der Eschenhofbrücke beherbergt, darunter Kamerunschafe, Tauben, Hühner und Waschbären. Viele Tiere müssen für immer in der Obhut der Tierschützer bleiben, weil sie invasiven Arten entstammen, die nicht wieder in die freie Wildbahn gelangen dürfen. Zu ihnen zählt auch „Nuki“, ein etwa fünf Wochen altes Nutria-Baby, das derzeit noch von Vanessa Haloui zu Hause mit der Flasche gefüttert wird. Es soll der erste Gast in einem Nutria-Gehege sein, das derzeit neu angelegt wird.