Bergedorf. 1973 protestierten Helmuth Sturmhoebel und Uwe Jensen gegen den Militärputsch in Chile. Längst haben beide der SPD den Rücken gekehrt.

Der 11. September erinnert nicht nur an die Terrorattacke mit zwei Flugzeugen im Jahr 2001 auf die Twin Towers in New York. Viele Menschen verbinden das Datum auch mit dem Militärputsch in Chile – vor jetzt genau 50 Jahren. Aus diesem Grund auch reist Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) am Sonnabend in den Andenstaat: Am 50. Jahrestag des Staatsstreichs wird er an der Unterzeichnung eines Manifests für Demokratie und Menschenrechte teilnehmen.

Am jenem Dienstag, 11. September 1973, hatte Helmuth Sturmhoebel im Radio von dem Anschlag gegen die Regierung des marxistischen Präsidenten Salvador Allende gehört – „das war damals das schnellste Medium“, erinnert sich der 69-jährige Lohbrügger, der gerade von einem Schüleraustausch aus Amerika zurückgekehrt war: „Aus der Ferne hatte ich den Wahlkampf von Willy Brandt miterlebt und mir die Unterlagen zur Briefwahl schicken lassen. Denn gerade erst war eingeführt worden, dass man schon mit 18 wählen durfte“, so Sturmhoebel, der sich sogleich den Bergedorfs Jungsozialisten anschloss.

Bergedorfs Jusos empört über „bewusste Destabilisierung“

Am selben Abend trafen sich 30 bis 40 Jusos im Gewerkschaftshaus Am Pool und empörten sich über die „bewusste Destabilisierung, über diese Inszenierung mit CIA-Unterstützung, angezettelt und geschürt durch den amerikanischen Kupferminen-Konzern ITT“, erinnert Uwe Jensen (75). Damals, gerade 25 Jahre jung, habe er noch auf eine Veränderung gehofft und darauf, dass es möglich sei, den „Sozialismus mit demokratischen Möglichkeiten zu installieren“. Geschockt und enttäuscht seien sie gewesen.

Schnell taten sich die beiden mit Rainer Witt und Werner Hackmann zusammen (der später Chef der Deutschen Fußball-Liga werden sollte und von 1988 bis 1994 Hamburgs Innensenator), um ein Flugblatt zu formulieren: „Die Jungsozialisten Bergedorf verurteilen aufs Schärfste den Anschlag antidemokratischer Kräfte auf den Marxisten Allende“, hieß es in dem Aufruf zur Demonstration, die am Folgetag um 17 Uhr vor dem Hamburger Gewerkschaftshaus starten sollte.

Flugblätter vor der Hauni verteilt

Dann fuhren sie zum Parteikeller an der Marnitzstraße, wo der Umdrucker mit Wachsmatrize stand, der bis zu 1000 Exemplare herstellen konnte. „Ich war wohl erst um 3 Uhr im Bett, stand aber um 6 Uhr schon vor der Hauni, um die Zettel zu verteilen“, erzählt Kommunikationstechniker Uwe Jensen, der danach weiterfuhr, zu seiner Arbeit im Fernmeldeamt Eimsbüttel. „Und ich habe vor dem Bergedorfer Bahnhof verteilt, bevor ich zur Hansa-Schule musste“, so Sturmhoebel.

Als sie sich dann um 17 Uhr zur Demo trafen – wie gewohnt in Jeans und mit grünem Parka – und rauchten (Schwarzer Krauser), hatten sie längst die Bergedorfer Zeitung gelesen - wenn die Nachrichtenlage auch knapp war: „Das Fernmeldeamt Frankfurt erklärte, daß auch alle Ersatzwege im Telexverkehr mit Chile unterbrochen seien. Das Auswärtige Amt in Bonn bemühte sich vergeblich, Verbindung mit der deutschen Botschaft in Chile zu bekommen“, war da zu lesen.

Einen Tag später wurde über „weltweite Empörung und Proteste“ berichtet. Nach einer Bonner Stellungnahme habe der Tod Allendes „hier große Betroffenheit und Trauer ausgelöst“, so Bundeskanzler Brandt.

Bergedorfer Schülerbund ruft zur Solidarität auf

Noch viele Monate lang sollte dies auch die Bergedorfer Jugend beschäftigen: „Schüler, solidarisiert Euch mit dem chilenischen Volk im Kampf gegen die faschistische Junta. Leistet einen materiellen Beitrag in den Kampffonds“, hieß es etwa beim Marxistischen Schülerbund - unterzeichnet von der „Gruppe Hansa- und Luisenschule, Gruppe Leuschnerstraße, Gruppe Brinkschule, Gruppe Ernst-Henning-Schule, Gruppe Schwarzenbek“.

Am 5. Oktober hieß es bei einer Solidaritätsveranstaltung im Bergedorfer Lichtwarkhaus: „Mit beispielloser Brutalität werden jetzt die Gegner des Militärs, die Arbeiter, Bauern und Angehörige der fortschrittlichen Intelligenz zusammengeschossen.“ Auch dazu gab es ein Flugblatt. Zu den Unterzeichnern zählten das Jugendzentrum Lohbrügge, die DKP Bergedorf, die IG-Metalljugend Bergedorf, die Werkstatt schreibender Arbeiter und die SDAJ.

„Die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend war stark in Bergedorf, auch der sozialdemokratische Schülerbund“, erinnert sich Sturmhoebel, der sowohl alle Zeitungsartikel aufbewahrte wie „auch die Ordner mit den Protokollen, als ich zum Kreisvorsitzenden gewählt wurde“, so der 69-Jährige, der bei vielen Demos – auch später am Atomkraftwerk in Brokdorf - Tränengas erlebte und „noch so gerade eben dem Kessel entkommen“ war.

„Ich war immer als Parteiloser aktiv“

Nach Santiago de Chile sei er erst vor wenigen Jahren gereist, aber „damals habe ich einen Nicaragua-Austausch organisiert, als ich Vorsitzender der AG Freie Jugendverbände war“, erzählt der Mann, der längst „keinen Bock mehr auf Partei hat“, 1980 bei den Nachrüstungsbeschlüssen aus der SPD austrat. Nach kurzen Zwischenstationen bei der DKP und der Wählergemeinschaft Regenbogen blieb er dennoch engagiert: „Ich war immer als Parteiloser aktiv“, betont Helmuth Sturmhoebel.

So betreut er auf Wunsch der Linken vier Bergedorfer Ausschüsse (Kultur, Soziales, Stadtentwicklung und Bauen), engagiert sich zudem etwa bei der Awo, in der AG Jugendweihe, im Landesschulbeirat und im Kulturhaus an der Serrahnstraße.

Chef vom Bürgerhaus gab sein SPD-Parteibuch ab

Dazu kommt das Bergedorfer Rathausbündnis gegen Rechts: „Da haben wir auch viele junge Leute, die auf die Straße gehen. Auch gibt es eine große Antifa in Bergedorf“, freut sich Helmuth Sturmhoebel über politisches Engagement nächster Generationen, natürlich auch in Sachen Klimaschutz.

Sein langjähriger Jugendfreund Uwe Jensen hingegen nahm nach dieser „Zeit von Aufmerksamkeit und Aufbruch“ einen anderen Weg. Mit viel Herzblut war er von 2007 bis 2017 Geschäftsführer des Bürgerhauses Allermöhe. Doch als ihm der Zuschuss für den Gastronomiebetrieb gestrichen wurde, er Langzeitarbeitslosen wieder kündigen sollte, fühlte er sich „gelähmt von den vielen Taschenspielertricks“ und gab 2013 nach 41 Jahren sein SPD-Parteibuch ab – samt der Medaille des Senats für treue Arbeit im Dienste des Volks. „Die wollten die Bürgerhäuser ausbluten lassen und hören noch heute nicht auf ihre eigenen Leute“, sagt er jetzt noch enttäuscht.

Engagiert für die Gesellschaft ist er aber auch noch als Rentner – in Sachen Verkehrspolitik: Zuletzt wählten die 600 Mitglieder der Allgemeinen Deutsche Fahrrad-Clubs (ADFC) im Landkreis Lüneburg den 75-Jährigen in den Vorstand.