Bergedorf. Seine Chats in der vermeintlichen Anonymität des Internets hatten für Stefan S. ein Nachspiel. Im Amtsgericht zeigte er sich kleinlaut.
Es ist eine Aufforderung, andere Menschen zu verletzen: „Alle über den Haufen fahren.“ Oder: „Richtig so. Antifanten direkt niederknüppeln.“ Es sind Kommentare in einer Chat-Gruppe auf dem Online-Dienst Telegram vom 6. März 2021. Sie stammen von einem 30-jährigen Bergedorfer, der sie während eines Autokorsos der sogenannten Querdenker-Szene in der Hamburger Innenstadt abgesetzt hat.
Stefan S. (Name geändert) steckte laut eigener Aussage damals tief drin in diesem Online-Chat. Nun musste er sich vor dem Amtsgericht Bergedorf wegen mehrfacher „Öffentlicher Aufforderung zu Straftaten“ verantworten – und kam Ende mit einer Geldstrafe glimpflich davon.
Querdenker muss sich vor Amtsgericht Bergedorf verantworten
„Ich habe damals eine große Schnauze gehabt“, sagt der Angeklagte, der auf seinem Stuhl in Saal 112 kauert, eingeschüchtert wirkt. Die Antworten des Mannes wirken mitunter beinahe kleinlaut. Die Anspannung ist dem 30-Jährigen anzumerken. Er weiß, um was geht – seine Zukunft: „Ich bin im Moment auf der Suche nach Arbeit. Es sieht so aus, dass mich jemand in einem Transportunternehmen einstellt, ich hoffe auf einen Vorstellungstermin – je nachdem, wie das hier ausgeht.“
Dass seine Online-Einträge kein Kavaliersdelikt darstellen, wird schnell klar. S. sei in diese Gruppe „reingerutscht“, weil er wie viele andere „nicht so einverstanden war“ mit den Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Maske tragen, Abstand halten, zeitweilig erhebliche Kontaktverbote – damit scheint S. nicht klargekommen zu. Er habe die Kontaktsperre ignoriert, sei auch mal mit dem Sicherheitspersonal vor dem Impfzentrum in den Messehallen während eines „Spaziergangs“ mit Gleichgesinnten aneinandergeraten, berichtet S.
Aufruf zu Straftaten im Online-Dienst Telegram
Seine Rolle in der Telegram-Gruppe scheint zeitweilig nicht ganz so nebensächlich gewesen zu sein, wie Richter Götz Schwerin herausarbeitet: Der Vater zweier junger Mädchen war eine Zeit lang unter dem Synonym „Stifler“ als Administrator der Gruppe aktiv. Am 6. März 2021 war er nur noch Nutzer des Chats. Mittlerweile ist der Bergedorfer nach rund zwei Jahren aus der Gruppe ausgestiegen.
An jenem März-Nachmittag 2021 setzt er vier strafrechtlich relevante Posts innerhalb von zwei Stunden in der Gruppe mit damals etwa 200 aktiven Teilnehmern ab, während in Hamburg ein Autokorso der Querdenke auf Gegendemonstranten der Antifa trifft. Zum Fahrradaufzug der Gegenbewegung schreibt er unter anderem: „Einfach drüber fahren, jeder linke Chaot ist einer zu viel und gehört beseitigt, wenn er sich vor ein Auto wirft muss er damit rechnen, Schaden zu nehmen.“
Gruppe der Antifa wollte Autokorso der Querdenker stoppen
Das ist eine Reaktion auf die Ankündigung der Antifa „UNITED WE Ride“, den Querdenker-Korso zu stoppen. Zudem empfiehlt er „schönere und effektivere Methoden“ als Wanderstöcke in die Speichen der Rad-Demonstranten zu stecken, um sie zum Sturz zu bringen. Eine Möglichkeit sei doch, mit dem „Pkw gehen sie zu fahren“.
„Wie kommen Sie dazu, solch menschenverachtende Äußerungen in die Welt zu setzen?“, fragt Richter Götz Schwerin nach. Stefan S. rechtfertigt sich mit einem Ereignis, als er offenbar selbst bei einem Autokorso der Querdenker-Szene mitmachte. Da habe ihn „die Gegenseite“ fotografiert und dieses Bild auch ins Netz gestellt
Empfindliche Geldstrafe, mahnende Worte und keine Vorstrafe
Heute kann sich Stefan S. kaum mehr erklären, wie er sich so gehen lassen konnte. Er sei „wie in einer Spirale“ gefangen, als sich die Chatpartner in der vielzitierten Anonymität des Internets gegenseitig hochgepusht hätten. Sein Ausstieg sei dadurch motiviert, „dass mir einige Ansichten dort nicht mehr gefallen haben“. Und bei irgendwelchen Querdenker-Demos möchte der Beschuldigte auch nicht mehr mitlaufen, geschweige denn sie kommentieren: „Ich würde es nicht noch mal tun, weil’s totaler Blödsinn ist.“
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Diese Einsicht kommt spät, aber nicht zu spät für Gericht und Staatsanwaltschaft. „Das muss ich ihnen einmal sagen“, sagte die Staatsanwältin in aller Schärfe zum Angeklagten, „wenn jemand ihre Aufrufe umgesetzt hätte, dann wäre ihr Strafmaß deutlich höher angesetzt. Das hätte auch ganz böse ausgehen können.“
Bis zu fünf Jahre Gefängnis wären denkbar gewesen
Weil es aber niemand umsetzte, der Angeklagte Reue zeige sowie sich mittlerweile klar von der Querdenker-Szene distanziere und ihm auch nicht die Chance auf den neuen Job verbaut werden solle, genüge eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen à 15 Euro, also 1350 Euro. Auch bis zu fünf Jahre Gefängnis wären denkbar gewesen.
Der geforderten Geldstrafe schloss sich Richter Schwerin an. Damit gilt Stefan S. nicht als vorbestraft, nur Polizei und weitere Strafbehörden haben Kenntnis von dem Eintrag im erweiterten Führungszeugnis.