Hamburg. Gut die Hälfte, also 52,2 Prozent der Hilfesuchenden in Bergedorf, hadern mit ihrem Alkoholkonsum – auch und besonders Frauen.

Im zweiten Conora-Jahr hatten Suchtexperten mit ganz anderen Zahlen gerechnet. „Doch „bei unseren Klienten blieb der Konsum relativ konstant bei zehn Prozent im Kokainbereich und 16 Prozent bei Cannabis. Bloß der Heroinkonsum ist von zuletzt zehn auf 8,5 Prozent in 2021 gefallen, was aber noch nicht unbedingt einen Trend bedeuten muss“, sagt Bianca Kunze. Sie arbeitet seit 26 Jahren beim Trägerverein Jugend hilft Jugend (JhJ) und ist inzwischen Bereichsleiterin für die Kodrobs-Suchtberatungsstellen in Bergedorf, Eimsbüttel, Wilhelmsburg und Altona. Speziell für die Arbeit in der Lohbrügger Landstraße 6 sucht sie derzeit dringend neue Kollegen, denn die telefonisch Nachfrage sei rasant gestiegen.

Alkoholkonsum großes Thema: 2021 bliebe viele Selbsthilfegruppen geschlossen

Im vergangenen Jahr mussten viele Suchtkranke daheim bleiben, da die Selbsthilfegruppen ebenso geschlossen blieben wie das Treffen zur Rückfallprophylaxe und die Frühstücksgruppe, in der sich sonst 20 Leute treffen, die nicht unbedingt clean sein müssen. Wegen der Pandemie sankt auch die Zahl der persönlichen Beratungen von 600 auf etwa 500 Menschen. „Doch insgesamt stiegen die Kontakte um 26 Prozent, weil wir viel am Telefon waren, da gab es über 300 Beratungen in der anonymen Krisenintervention“, sagt Kunze – und stellte fest, dass gern auch Reinbeker und Glinder sich meldeten, deren Anteil von zehn auf 15 Prozent stieg.

Vielfach dreht es sich dabei um Alkohol, denn damit sind 56,2 Prozent der Hilfesuchenden überfordert – etwa ein Drittel aller Anfragen sind von Frauen. Kunze: „63,3 Prozent der Frauen gaben an, dass Alkohol ihr Hauptproblem sei. Die Ältesten kommen noch mit 74 Jahren und klagen über Leberschäden, weil sie zugleich Schmerzmittel und Beruhigungstabletten nehmen, zu viele Medikamente. Also Sucht im Alter ist schon echt ein Thema.“

Nicht alle Bergedorfer finden freiwillig den Weg zu Kodrobs

Vom Antrag bis zu einem freien Platz in einer Reha-Einrichtung vergehen durchschnittlich drei Monate. Manchmal geht eine zweiwöchige Entgiftung voran, denn „man muss schon stabil und nüchtern seinen Scherbenhaufen betrachten, nicht bloß zitternd da sitzen“, meint die Suchtexpertin.

Längst nicht alle Bergedorfer finden ihren Weg freiwillig zu Kodrobs: Sie werden etwa vom Jugendamt geschickt, das unschöne Auffälligkeiten bei der Kindererziehung bemerkte. Ebenso kann das Jobcenter Auflagen bestimmen oder die Krankenkasse, die den Krankengeldbezug prüft. Im Übrigen betreut der Verein Jugend hilft Jugend mit drei Vollzeitstellen auch Abhängige in der JVA Billwerder und im Untersuchungsgefängnis an der Glacischaussee – wo natürlich auch Drogenhändler einsitzen. „Therapie statt Strafe“ heißt es im Gesetzbuch, das eine Reha-Maßnahme auf die Haftzeit anrechnet. Dafür aber muss die Straftat im Zusammenhang mit einem Suchtproblem stehen, weiß Bianca Kunze und verweist auf die heimische Drogenplantage oder den Einbrecher, der Geld für seinen Heroinkonsum braucht.

Allen Ratsuchenden wird absolute Verschwiegenheit versprochen

Laut Kriminalitätsstatistik haben die Rauschgiftdelikte im Bezirk um 21,4 Prozent abgenommen. Insgesamt erfasste die Polizei 532 Fälle, von denen 445 aufgeklärt werden konnten. Die meisten betrugen sich gemäß der Einwohnerzahl in Bergedorf (164), Lohbrügge (131) und Neuallermöhe (110), wobei in allen drei Stadtteilen mindestens 21 Prozent weniger Fälle gemeldet wurden als noch im Vorjahr.

Eine absolute Verschwiegenheit verspricht JhJ allen Ratsuchenden auch in der Jugendsuchtberatung für 14- bis 21-Jährige. Das Bergedorfer Team bekam im vergangenen Jahr zwei neue Gesichter: Max Hieber (25) und Corinna Harms (45) haben etwa 130 Jugendliche beraten, die hauptsächlich mit Cannabis (54 Prozent) und Alkohol (16 Prozent) zu tun haben. Da hier vom Komasaufen bis zur Computerspielsucht samt Online-Wetten alles dabei ist, wollen die beiden künftig regelmäßige Sprechstunden in den Jugendzentren anbieten, „dazu zählen das Clippo, das Steinjuz, das KAP in Lohbrügge und der Treff der Straßensozialarbeit in Neuallermöhe“, sagt der Sozialarbeiter.

Sozialpädagogin Harms, die zuvor als Diakonin in Neuallermöhe arbeitete, ergänzt: „Wir werden auch in der Gretel-Bergmann-Schule Hilfe anbieten und in der GSB, weitere Schulen können sich gern melden.“ Das gelte ebenso für die besorgte Mutter, die etwa eine Tüte mit weißem Pulver im Kinderzimmer findet: Manchmal sei das ein zu spät erkanntes Suchtproblem, manchmal aber auch „nur ein rebellischer Akt von kiffenden Jugendlichen, die sich von ihren Eltern abgrenzen wollen und müssen“.