Hamburg. Ukrainerin und Wahl-Bergedorferin Anna Pylianska möchte dem Kriegsleid nicht untätig zusehen und schickte vollbepackten Lkw los.
Die Ukraine ist ihr Heimatland. Ihre Leute sterben. Auch schon zwei Freunde. Durch Kopfschüsse getötet. Und obwohl ihre Geburtsstadt Iwano-Frankiwsk fast 1000 Kilometer vom Frontlauf des tobenden Krieges entfernt liegt, ist das, was Anna Pylianska auf den Weg gebracht hat, wichtig. Für sie. Für ihre Landsleute.
Die 34-jährige Ukrainerin möchte nicht Erzählungen über den russischen Angriffskrieg hören. Sie möchte vor allem so schnell wie möglich etwas dagegen tun, aktiv helfen. Mit medizinischem Material in erster Linie, denn das fehlt in der Ukraine aktuell am meisten. Jetzt hat die zierliche junge Frau eine Lkw-Ladung voller Krankenhausbetten und weiterem Material, das vom Bergedorfer Agaplesion Bethesda Krankenhaus gespendet wurde, auf den Weg nach Iwano-Frankiwsk geschickt.
Anna Pylianska schickt Lkw mit Betten und Verbandsmaterial in die Ukraine
Anna Pylianska hat häufig Tränen vergossen, wenn sie an das Schicksal ihres Volks denkt. „Seit fast anderthalb Jahren kann ich nicht entspannen, nicht feiern gehen, keine Zeitungsberichte darüber lesen. Da sterben doch Leute.“ Die Wahl-Bergedorferin ist bereits seit dem Jahr 2012 fast ununterbrochen in Deutschland, hat hierzulande als Au-Pair-Mädchen, Kindergärtnerin und als Foto-Model (Künstlername Anna Hug) gearbeitet und eine Lehre als Hotelfachfrau abgeschlossen.
„Hier habe ich mich sofort zu Hause gefühlt“, gesteht die 34-Jährige. Sowohl sprachlich als auch emotional, was nachvollziehbar ist. Sie wurde auf einer Privatschule ab Klasse 5 in Deutsch unterrichtet. Seit Ende 2020 ist sie mit Christian Böhnke (36), einem Bergedorfer Versicherungskaufmann, liiert.
Eltern der Ukrainerin schnell nach Bergedorf geholt
Natürlich vermisse sie auch ihre Heimatstadt (230.000 Einwohner) im Vorland der Karpaten. Dort, wo die traditionelle Vyschyvanka, eine gestickte Tracht, an Feiertagen herausgeholt wird und pure Lebensfreude vermittelt. Wo Bewohner und Gäste gern die Anhöhe Vovchynets am nördlichen Ende der Stadt hinaufsteigen, um ihre Stadt zu überblicken. „Dort war ich zum letzten Mal im November 2021“, erinnert sich Anna Pylianska.
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Doch im Frühjahr 2022 änderte sich die Lage dramatisch, als Russland in der Nacht zum 24. Februar den Nachbarn überfiel. Anna Pylianska musste ihre Eltern schnell in Sicherheit bringen. Die sind unmittelbar nach Kriegsbeginn in die ehemalige Wohnung von Pylianska und ihrem Freund Christian im Bergedorfer Zentrum gezogen, das jüngere Paar zog innerhalb der Stadt um.
Zu einem Freund ihres Vaters pflegt Anna Pylianska regelmäßigen Kontakt. Über Facebook oder whatsapp-Calls berichtet der Mann namens Ljubomir fast täglich. Kriegserfahrung hat er reichlich, kämpft er doch seit neun Jahren im Donbas-Konflikt für sein Land. „Anna, das Leid kannst du dir nicht vorstellen“, sagt Ljubomir über die Zustände im Osten der Ukraine ganz häufig, berichtet sie.
Bethesda reagiert auf Aufruf in sozialen Medien
Durch dieses „Kriegstagebuch“ via Videocall ist die Auswanderin auf die Idee gekommen, Spendenaufrufe – auch monetär – für ihr Land über soziale Medienkanäle zu starten. Denn medizinisch fehlt es in der Ukraine an allem. Was gebraucht wird, weiß Ljubomir – und Hilfsgüter werden auch in weniger beschossenen Gebieten wie Iwano-Frankiwsk benötigt. Denn auch an der Front verletzte Ukrainer kommen zur Behandlung in eines von mehreren Krankenhäusern der Stadt, die gerade einmal zwei Stunden östlich von der polnischen Grenze liegt.
Die Idee war gut, die Umsetzung extrem langwierig und kompliziert: Gemeinsam mit ihrem Freund hat Anna Pylianska Apotheken, Sanitäts- und Krankenhäuser abgeklappert, ob es von dort Spendengüter geben könnte. „Zunächst hatten wir nicht viele Rückmeldungen“, gesteht Christian Böhnke. Bis sich etwas Großes ergab, sich das Bergedorfer Krankenhaus meldete und Erfreuliches mitteilte: 16 hydraulische Krankenhausbetten – jedes stattliche 140 Kilogramm schwer – plus eine große Bestellung an Verbandszeug, Erste-Hilfe-Sets, Desinfektionsmittel und weiteres wäre abzugeben, insgesamt 36 Kartons im Wert von 2000 Euro an medizinischem Material vorhanden.
16 Betten sind schon bald im Ziel-Krankenhaus
Für die freiwillige Helferin war es nicht leicht, einen Lastwagen für die Tour von Hamburg-Bergedorf nach Iwano-Frankiwsk (etwa 1350 Kilometer) zu organisieren. Jetzt macht es ein Lkw, der normalerweise Lebensmittel ins Krisengebiet bringt unter dem Label German Food Bridge. Von dort werden auch die Kosten des Transports getragen. Das kostete Anna Pylianska, nachdem sie mit der Bergedorfer Klinikleitung um Maria Theis (Geschäftsführung) und Ruthild Giesen (Pflegedirektorin) relativ schnell handelseinig war, sehr viele Telefonate. „Das war stressig“, gesteht die 34-Jährige, „hat aber mit dem Erreichten im Endeffekt viel Spaß gemacht.“
Jetzt ist der Betten-Transport unterwegs. „Ich möchte weitermachen“, kündigt Anna Pylianska an, „das ist meine Pflicht als Ukrainerin.“ Denn ihr ist eines aufgefallen: Die Menschen haben sich mit den Schrecken des russischen Angriffskrieges fast arrangiert, nehmen den Bruch des Völkerrechts hin. „Man ist müde von Flüchtlings- und Kriegsszenario geworden“, findet Pylianska. Sie aber nicht.
Wer die Hilfsaktion der Bergedorfer Ukrainerin unterstützen möchte, schreibt einfach eine Nachricht an anna.hug@outlook.de. Gesucht werden im speziellen Speditionen und weitere medizinische Partner – und hilfsbereite Menschen wie Anna Pylianska.