Hamburg. Der 63-Jährige Tenor begeistert seine Zuhörer nicht nur in den Bergedorfer Fußgängerzonen. Denn Singen ist mehr als sein Hobby.
„Der braucht ganz bestimmt keinen Verstärker“, sind sich die Geschäftsleute im Sachsentor Bergedorf einig – und lauschen dem „Wolgalied“ von Franz Lehár. Aber nicht Ivan Rebroff singt im tiefsten Bass „Es steht ein Soldat am Wolgastrand, hält Wache für sein Vaterland. . .“, sondern Dmitri Romanowski – ein Tenor, dessen Vater aus Winnyzja stammt, einer Stadt in der Ukraine.
Romanowski selbst aber ist in Baranowitschi aufgewachsen, im Westen von Belarus. Von dort ging es nach Minsk, wo er vier Jahre lang auf der Musikhochschule bis zum Diplom studierte. Im Chor lernte er seine Frau Ludmilla kennen, die als Mezzosopran glänzte. Seit fast einem Jahr leben die beiden nun schon am Sander Damm in Lohbrügge. Warum? „Lukaschenko und Putin sind idiotische Faschisten. Außerdem gab es für uns keine Arbeit mehr in der Heimat“, sagt der 63-Jährige.
Opernstar der Straße verkauft seine eigene CD
Nun also steht der Sänger täglich bis zu drei Stunden in der Fußgängerzone und begeistert mit seiner eindrucksvollen Stimme: „Der Mann gehört nicht bettelnd auf die Straße, sondern in die Oper“, meint eine polnische Frau anerkennend und wirft eine Münze in die Dose.
Daneben liegt eine CD, die stutzig macht: Darauf ein Foto von einem eleganten Dmitri Romanowski im Smoking. „Das war vor neun Jahren, den Anzug habe ich in der Schweiz gekauft“, sagt er lachend und erzählt aus seinem Berufsleben. Nicht nur, dass er fünf Jahre lang als Mitglied eines Gesangs- und Tanzensembles in Budapest lebte. „Ich bin auch in Österreich und in Ungarn aufgetreten, das Mozart-Requiem durfte ich sogar als Solo-Tenor in Madrid und Barcelona singen“, sagt er.
Kirchenkonzerte mit dem Don Kosaken-Chor
Das „Ave Maria“ gehört natürlich ebenso in sein Repertoire wie „Kalinka“ und das „Vater Unser“. Auf Georgisch, Latein und Deutsch sind die Texte, meistens jedoch auf Russisch. Denn lange Zeit wurde er begleitet vom Kosaken-Chor: „Leider zahlen die nur 40 Euro pro Auftritt, aber mit den Don Kosaken habe ich Kirchenkonzerte in ganz Deutschland gegeben“, erinnert er glückliche Zeiten.
Die sind vorbei. Schließlich müssen monatlich 700 Euro für die Miete verdient werden. Und so schnappt er sich morgens seine Gitarre und läuft durch die Bergedorfer und Lohbrügger Fußgängerzone, auch an heißen Tagen. „Für die Stimme ist der Winter besser. Hier gibt es aber ja nicht wie in Minsk Wintertage bei minus 25 Grad“, meint Dmitri Romanowski.
Und das nicht nur in unserem Bezirk: Mit dem 49-Euro-Ticket kommt er auch nach Rahlstedt und Pinneberg, nach Buxtehude und Elmshorn. Auch in Bad Schwartau, Schwerin und Lübeck ist er ein „Opernstar der Straße“. Manchmal verdiene er zehn Euro pro Stunde. „Wenn es besonders gut läuft, sind es 60 Euro“, verrät er und freut sich: „Sonntags jedenfalls gehe ich nicht arbeiten, schone meine Stimme.“
Visum für ein Jahr in Deutschland
Unser Gespräch in unserer Redaktion ist nicht gerade einfach: Da niemand die Sprache des anderen beherrscht, reichen wir uns ständig das Handy weiter, nutzen für Fragen und Antworten einen Online-Sprachübersetzer. In Polen sei sein Visum ausgestellt worden, ein Jahr lang dürfe er in Deutschland bleiben, ein Asylantrag habe nicht geklappt.
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Natürlich hätte er gern eine feste Arbeit, aber das ist schwer. Der Traum von der Hamburger Elbphilharmonie? Der Tenor grinst: „Das ist verboten für 63-Jährige.“ Und von den russischen Chören in Hamburg ist er wenig begeistert: „Russische Chöre bezahlen nicht, die singen nur für die Seele“, sagt er lachend.
Was aber, wenn das Visum abläuft? Schulterzucken. „Dann muss ich in Weißrussland bleiben. Und abwarten, ob die Diktatoren überhaupt die Grenzen offen lassen.“ Immerhin aber werden Dmitri und Ludmilla dort fröhlich empfangen: Ihr 40-jähriger Sohn arbeitet in Minsk als Computerspezialist. „Und ich kann meinem jüngeren Bruder zuhören. Der singt als Bariton bei der Chor-Akademie.“