Hamburg. Musiker aus der Ukraine finden in Hamburg Zuflucht. Wie sich ihr Leben seit Kriegsbeginn verändert hat und was sie verzweifeln lässt.
Sie liebte das Rampenlicht, das Publikum und die Bühne. Doch seit mehr als einem Jahr spielt all das plötzlich keine Rolle mehr. Denn seitdem herrscht Krieg in ihrer ukrainischen Heimat. Und im Leben von Yuliia Ponomarova ist nichts mehr, wie es mal war.
Statt Ehrgeiz und großen Plänen verfolgt sie nun vor allem eins: zur Ruhe kommen. Ihr größter Wunsch ist es, ein Zuhause in Hamburg zu finden für ihre kleine Familie. Ein Zuhause, in dem sie mit ihrem Mann Vitali und der kleinen Tochter Alisa (2) endlich ankommen kann.
Krieg in Ukraine bricht einen Tag nach Geburtstag der Tochter aus
Dabei hatte die Familie das im Februar 2022 eigentlich gerade gefunden: In Charkiw, nach Kiew die zweitgrößte Stadt der Ukraine, hatte das Paar eine Wohnung gekauft, renoviert und eingerichtet. Alles war bereit für den Einzug.
Der war nach dem ersten Geburtstag von Töchterchen Alisa geplant. Um diesen gemeinsam mit Yuliia Ponomarovas Eltern zu feiern, reiste das Paar mit seinem Kind nach Mariupol – und kehrte nie nach Charkiw zurück. Denn ein Tag nach Alisas Geburtstag begann Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine.
Flüchtlingsfamilie weiß nicht, ob ihr Haus in Charkiw noch steht
Die Stadt Charkiw in der Ostukraine war eine der ersten Städte, die von Putins Truppen angegriffen wurden. Bis heute wissen Yuliia Ponomarova und ihr Mann nicht, ob noch irgendetwas von ihrem Zuhause übriggeblieben ist, ob das Haus noch steht, ob ihre Wohnung geplündert oder komplett zerstört wurde. Niemand ist dort geblieben, der nachschauen könnte, berichtet die 31-Jährige.
Den Beginn des Krieges erlebte die Familie in Mariupol, der Stadt, in der Yuliia Ponomarova aufgewachsen ist. „An den Ufern des wunderschönen Asowschen Meeres verbrachte ich den Sommer jedes Jahr. Ich erinnere mich, wie meine Freunde und ich die Mira Avenue entlanggingen und uns dem großen Neujahrsbaum näherten, der vor dem Drama Theatre stand. Auf den Aussichtsplattformen an der Küste begegneten wir oft der Morgendämmerung“, erinnert sich die 31-Jährige. In den vergangenen Jahren habe sich die Stadt besonders entwickelt und geblüht: „Als ich meine Eltern besuchte, war ich stolz auf mein Mariupol“, sagt sie.
Über Russland, Georgien und Istanbul nach Hamburg
Doch nun sind 90 Prozent der Stadt dem Erdboden gleichgemacht. „Und es gibt nicht mehr diese Schönheiten und malerischen Orte, die uns unser ganzes Leben lang erfreut haben“, klagt Yuliia Ponomarova. Laut russischen Behörden sei die Stadt „befreit“ worden. Tatsächlich aber seien die Menschen vom normalen Leben „befreit“ worden, stellt die Ukrainerin fest. „Das ist jetzt ein riesiger unüberwindbarer Schmerz für uns alle“, sagt sie. Aber dank Hamburg und seinen Menschen sei der Schmerz tief in der Seele verborgen. „Doch er bricht regelmäßig aus. Aber wir verstehen, dass wir einfach leben müssen und es Zeit braucht“, sagt Yuliia Ponomarova.
40 Tage hatte sie gemeinsam mit ihrer Familie in Mariupol ausgeharrt, bevor sich die Familie zu flüchten traute. Über Russland, Georgien und Istanbul kam Yuliia Ponomarova gemeinsam mit ihren Eltern und ihrem Bruder nach Hamburg. Während ihre Angehörigen in einer Wohnung in Altona unterkamen, fand Yuliia Ponomarova gemeinsam mit ihrem Töchterchen in Kirchwerder ersten Halt – bei Petra Gladiator und ihrer Familie, mit der sie noch immer eng verbunden ist.
Berührendes Konzert in der Kirche St. Severini
Die Vierländerin war es auch, die Yuliia Ponomarova und ihre musikalische Familie zurück auf die Bühne brachte. In der Kirche St. Severini gab sie im November ein Konzert. Es sei wirklich magisch gewesen, erinnert sich die junge Ukrainerin. Sie habe noch nie so viel Schmerz und Freude gleichzeitig während einer Aufführung gesehen, berichtet die Sängerin. Vor allem als ihr Bruder, Lazarus Skudar, ein selbstkomponiertes Stück vortrug. Darin berichtete der junge Mann, dass viele seiner Freunde im Krieg gestorben sind und bedankte sich bei Deutschland, wo seine Familie eine sichere Zuflucht fand. „Es war das Berührendste, was ich jemals gehört habe“, sagt Petra Gladiator.
Auch Yuliia Ponomarova konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Es sei das erste Mal gewesen, dass sie in der Öffentlichkeit geweint habe. In dem Moment schien es ihr, als ob das Musikgeschäft, in dem sie ein ganzes Leben lang tätig gewesen war, sich in einer anderen Realität befände oder überhaupt nicht existiere. „Ich hatte schon ganz vergessen, was Applaus ist und wie er sich anfühlt“, sagt die 31-Jährige, die in der Ukraine gemeinsam mit ihrem Mann in der Coverband Holiday erfolgreich war – sie am Mikrofon und Vitali Ponomarov an der Gitarre. Zudem arbeitete Yuliia in einem Gesangsstudio, hatte viele Schüler: „Ich war so glücklich“, sagt sie.
Viele Behördengänge und eine Masse von Anträgen
Heute fühle es sich an, wie aus einem anderen Leben. Nun gehe es darum, die gemeinsame Zeit miteinander zu genießen. Denn Ehemann Vitali Ponomarov hatte es zunächst in die USA zu Verwandten verschlagen. Auch wenn die Familie nicht mehr direkt in Gefahr war, so war sie doch trotzdem monatelang getrennt. Die Frage, was der jeweils andere gerade mache und wie es ihm gehe habe sie stets begleitet. Seit Dezember ist Vitali Ponomarov nun bei seiner Frau und Tochter in Hamburg – und die Familie wagt einen Blick in die Zukunft.
- Ukraine: Vierländerinnen starten erneut zur Spenden-Reise
- Krieg in der Ukraine: So geht es geflüchteten Künstlern in Hamburg
- Haspa: Diese zwei Ukraine-Flüchtlinge sind jetzt Bankangestellte
Vorher hätte die Familie schlichtweg keine Pläne gemacht, es zählte nur heute und vielleicht morgen. „Wir haben uns nur um die notwendigen Dinge gekümmert“, sagt Yuliia Ponomarova. Die vielen Behördengänge zu erledigen und die Masse von Anträgen zu bewältigen sei nur mithilfe der großartigen Unterstützung der Hamburgerinnen und Hamburger wie Petra Gladiator möglich gewesen, betont Yuliia Ponomarova. Vor allem die Kommunikation ohne Sprache war ein großes Hindernis, weiß die 31-Jährige, die derzeit fleißig Deutsch lernt.
Musik gibt ihnen wieder ein wenig Hoffnung
Nach einem Zimmer bei der Familie Gladiator in Kirchwerder und einer Airbnb-Wohnung in Winterhude ist das Paar mit Tochter derzeit bei einem Ehepaar mit sieben Kindern in Billstedt untergekommen. Allerdings kann es das Zimmer nur bis Anfang April nutzen, muss daher dringend eine neue Bleibe finden. Die Sehnsucht nach einem eigenen kleinen Reich ist groß. Doch bisher hagelte es bei der Wohnungssuche Absagen. „Ob dauerhaft oder zumindest übergangsweise – die Familie wäre für jeden Hinweis dankbar“, betont Petra Gladiator.
Eine Perspektive gibt ihnen nun wieder einmal die Musik: Denn während Yuliia und auch ihr Mann sich gut vorstellen könnten, Musik zu unterrichten, hat ihr Vater Yuri Skudar in Hamburg bereits Anschluss gefunden – in einer russischen Volksmusikgruppe. Gemeinsam mit einem ukrainischen Musiker spielt er auch Lieder aus seiner Heimat. „Von Hass und Trennung ist dort nichts zu spüren, das gibt Hoffnung“, sagt Yuliia Ponomarova.
Kontakt zu Yuliia Ponomarova per E-Mail an vokal4ik@gmail.com