Lohbrügge. Amtsgericht Bergedorf verurteilt 31-Jährigen wegen fahrlässiger Tötung. Warum die Staatsanwältin eine viel härtere Strafe forderte.
Er wird mit den verhängnisvollen Geschehnissen des 9. August 2021 sein gesamtes Leben klarkommen müssen. Damit, einen Menschen mit seinem außer Kontrolle geratenen SUV totgefahren zu haben. Das setzt Ismail S. auch immer noch sichtlich zu. Als die Staatsanwaltschaft noch einmal detailliert den tragischen Unfall an der Lohbrügger Landstraße rekapituliert, vergräbt der Angeklagte Teile seines Gesichts in den Händen, blickt dann wieder flehend an die Saaldecke. Muss er doch längere Zeit ins Gefängnis?
Doch Sebastian Gößling, Richter am Amtsgericht Bergedorf, ist sich eigentlich sicher, dass der 31-jährige S. jene Tragik überwinden wird: Ismail S., der bei dem schweren Verkehrsunfall einen Pizzaboten (23) getötet und zwei weitere Verkehrsteilnehmer (58, 59) schwer verletzt hatte, wurde jeweils wegen fahrlässiger Tötung, Körperverletzung sowie gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Darüber hinaus muss der Unfallverursacher noch eine Zeit lang zu Fuß gehen.
Bewährungsstrafe für Totfahrer (31): Staatsanwältin wollte ihn länger einbuchten
Das Urteil Gößlings liegt unter der von der Anklage geforderten, weitaus schärferen Strafe. Die Staatsanwältin hatte für S. zwei Jahre und drei Monate Freiheitsentzug gefordert, weil sie in der Beweisaufnahme „die Anklage vollumfänglich bestätigt“ sah – und auch keine Fahrlässigkeit, sondern Vorsatz beim gefährlichen Eingriff in den Straßen erkannte.
Die Höhe ihres Strafmaßes hatte sie zum einen verstärkt auf die Unfallrekonstruktion des Sachverständigen gestützt. Mit Tempo 68 war S. nicht nur zu schnell, sondern plötzlich auch völlig unkontrolliert auf der engen Verbindungsstraße unterwegs gewesen. Die Anklägerin unterstellte S. in diesem Kontext „Fahruntüchtigkeit“ aufgrund der in seinem Blut gefundenen Drogen (Cannabis-Konsum am Vorabend des Unfalls) und starker Schmerz- und Schlafmittel.
Fahruntüchtigkeit und Unbescholtenheit der Opfer Hauptpunkte der Anklage
Vor allem das offenbar kurz vor seiner langen Autofahrt von Pinneberg nach Bergedorf eingenommene Zopiclon, ein Schlafmittel durchaus auch mit Suchtpotenzial bei Einnahme über einen längeren Zeitraum, sei stark erhöht nachgewiesen worden. Dies passe nicht zur Darstellung des Angeklagten, er habe dieses Mittel am Abend zuvor genommen. Die Staatsanwältin: „Das sind insgesamt alles Medikamente mit sedierender Wirkung, die sich negativ auf Konzentration und Reaktion auswirken. Sie waren aus meiner Sicht zum Unfallzeitpunkt ganz klar fahruntüchtig, und das hätte Ihnen bei diesem Medikamentenmix klar sein müssen.“
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Neben der Fahruntüchtigkeit sah die Anklägerin hierin ihren gewichtigsten Punkt: „Weder die Verletzten noch der Getötete haben etwas falsch gemacht, sich anständig im Straßenverkehr verhalten. Sie waren eben nur am falschen Ort zum falschen Zeitpunkt.“ Dies rechtfertige in der Gesamtbetrachtung eine Haftstrafe ohne Bewährung.
Wie der Angeklagte neuerdings sein Leben ordnet
Letztgenanntes wollte Richter Gößling in seiner Urteilsbegründung nicht gelten lassen, konnte nicht den Vorsatz erkennen und orientierte sich eher an Straflinderndem wie der Reue des Angeklagten, der aufrichtigen Entschuldigung bei den Opfern und seiner guten Zukunftsprognose. Aber der Richter mahnte auch: „Sie müssen Ihren Alltag in den Griff bekommen und ein normales Verhältnis zu Tabletten und Medikamenten entwickeln. Jetzt stehen Sie zwei Jahre lang unter Beobachtung“, so Gößling eindringlich. Verteidigerin Constanze von der Meden hätte es komplett bei einer Geldstrafe „in Höhe des Ermessens des Gerichts“ für ihren Mandanten belassen, weil ihr ebenfalls die Fahruntüchtigkeit von S. nicht einsichtig sei.
Außer der zweijährigen Bewährungszeit muss der Mann, der vor Gericht stets auffallend helle Kleidung – weißer Pulli, hellblaue Jeans, graue Segelschuhe - trug, nun noch neun Monate auf seinen Führerschein warten. Der war ihm gleich nach dem tödlichen Crash mit dem Lieferdienst-Fahrer Hezbullah A. (23) abgenommen worden. Doch er scheint sein Leben langsam wieder managen zu können – vor Kurzem hat der Wentorfer eine Firma mit zwei Ausrichtungen (Beratung für Pflegebedürftige/Handel mit Gesundheitsartikeln) gegründet. Sport sei seine neue Leidenschaft. Frühmorgens aufs Rad, dann ein Sprung in den Wohltorfer Tonteich, auch Golf gehört dazu, Spaziergänge gewiss mit zwei Hunden - „und mittags koche ich dann für meine Frau“. Die verdient mit ihrem Geesthachter Pflegedienst zurzeit für beide mit.