Bergedorf/Lohbrügge. Prozess um den Tod eines Pizzaboten beginnt mit hoch emotionalen Zeugenaussagen. Angeklagtem droht eine lange Haftstrafe.
Nicht nur der Angeklagte, auch die beiden Zeugen sprechen mit zittriger Stimme. Und schnell ist am Dienstag im Amtsgericht Bergedorf deutlich: Dieses Verfahren nach einem entsetzlichen Verkehrsunfall,bei dem in Lohbrügge ein Pizzabote ums Leben kam, hat viele Opfer.
Da ist zuallererst der am Unfalltag 23 Jahre alte Pizzabote Hezbullah A., der wenige Stunden nach dem Aufprall seinen Verletzungen erlag. Der angeklagte Todesfahrer Ismail S. (31) ist laut Anklage am 10. August 2021 in dem zwei Tonnen schweren Mercedes-SUV seiner Ehefrau und Chefin mit überhöhter Geschwindigkeit über die Lohbrügger Landstraße gebrettert, nach rechts von der Fahrbahn abgekommen, hat dort vor der Pizzabäckerei ungebremst das Lieferfahrzeug gerammt, an dessen geöffneter Fahrertür Hezbullah A. gerade stand. Der SUV rammte danach einen rechts geparkten Audi, hob von der Fahrbahn ab und flog gegen einen Seat auf der Gegenspur, bevor er zurück auf die Fahrbahn krachte und dort auf der rechten Seite liegen blieb.
Prozess um Todesfahrer von Lohbrügge: „Wäre gern selbst gestorben“
Die beiden Insassen im Seat wurden schwer verletzt, Unglücksfahrer Ismail S. krümmte sich kein Haar. Die Staatsanwältin wirft dem angeklagten Altenpfleger fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung vor, außerdem Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit sowie unter Einfluss von Schlafmitteln, Schmerzmitteln, Morphin und Cannabis (THC). All diese Substanzen wurden unmittelbar nach dem fatalen Crash in seinem Blut nachgewiesen. Er leidet seit dem Unfall unter Depressionen, befindet sich in psychiatrischer Behandlung, schildert seine Verteidigerin Constanze von der Meden. Ismail S. selbst sagt nicht viel.
Auch für Seat-Fahrer Helge G. (58) hat der Unfall „das Leben aus den Angeln gehoben“, wie er dem Vorsitzenden Richter Sebastian Gößling als Zeuge eindringlich schildert. Der Aufprall hat ihm sechs Rippen vom Brustbein gerissen, einen Knochen aus dem linken Knie und einen Finger gebrochen. Nach einem längeren Krankenhausaufenthalt hatte der Tischlermeister gerade wieder Fuß gefasst, hatte einen neuen Job in Aussicht. Nun war er wieder mehrere Monate lang krank. Die Partnerschaft mit seiner ebenfalls verletzen Beifahrerin brach auseinander. „Wir waren beide traumatisiert, kamen nicht mehr miteinander klar.“ Helge G. wird ein zweites Mal suchtkrank, unternimmt einen Suizid-Versuch.
Todesfahrer von Lohbrügge erträgt Schilderungen der Zeugen nur schwer
Der angeklagte Ismail S. erträgt nur schwer diese Schilderungen, wendet sich immer wieder schaudernd ab. Doch plötzlich schaut er dem Zeugen in die Augen. „Ich wünschte, ich wäre selbst gestorben bei dem Unfall“, presst er hervor. „Es tut mir leid.“ Dazu Helge G.: „Danke für diese vier Worte. Ich hätte sie gern viel früher gehört.“
Zwischen 68 und 75 Kilometer pro Stunde soll der Angeklagte nach Worten eines Gutachters auf regennasser Straße gefahren sein. Das haben eine nachträgliche Computersimulation und die gespeicherten Daten auf einem Steuergerät im Mercedes ergeben. Der Zeuge Mohammad F. (30) mag das nicht glauben. Er war Kollege des Todesopfers, stammt wie dieser aus Afghanistan. Sekunden vor dem Unfall hat er den Wagen auf der Lohbrügger Landstraße beobachtet. „Der ist mindestens 100 gefahren. Ich dachte noch, ich glaub’ das jetzt nicht.“
Bester Freund des Todesopfers bricht in Tränen aus
Mohammad F. war Hezbullah A.s bester Freund. Er hat dessen Familie in Afghanistan benachrichtigt, hat minutenlang fassungsloses Schweigen am Telefon gehört. Er hat auch die Beisetzung seines Freundes auf dem Öjendorfer Friedhof organisiert. Jetzt im Gerichtssaal bricht er in Tränen aus: „Mein Freund hatte doch keine Verwandten hier. Er hat sein ganzes Geld nach Afghanistan geschickt. Deswegen wollte er für immer hier bleiben.“
Mit bis zu fünf Jahren Haft und einer hohen Geldstrafe muss Ismail S. rechnen. Seine Verteidigerin versucht, so viel wie möglich für ihn herauszuholen. Dafür wird sie bezahlt. Die Drogen im Blut ihres Mandanten, sagt sie, seien überwiegend auf die von Ärzten verordneten Medikamente zurückzuführen. Er habe bereits vor dem Unfall unter Cluster-Kopfschmerzen und schweren Rückenschmerzen gelitten. Einen Joint habe er lediglich fast 24 Stunden vor dem Unfall geraucht, am Vorabend vor dem Einschlafen. Daher der Befund des Wirkstoffs THC in seinem Blut.
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Zwei weitere Verhandlungstermine am 18. April und am 10. Mai sind nun angesetzt. Dann soll ein medizinischer Gutachter klären, ob die Substanzen im Blut des Todesfahrer auf kontrollierte Medikamentierung zurückzuführen sind. Zudem sollen die Beifahrerin im Seat und ein Polizist von der Unfallaufnahme als Zeugen gehört werden, bevor das Urteil fällt.