Bergedorf. Delegation aus dem Bezirk Bergedorf reiste zur Ideenfindung sogar nach Wien. Die Opposition ist nicht nur deshalb empört.
Wie beliebt ist Hamburgs geplantes zweitgrößtes Bauprojekt nach der HafenCity vor den Toren Bergedorfs eigentlich? Und besteht tatsächlich unter den Bürgern der Wunsch, mehr über Ausgestaltung und Entwicklung von Oberbillwerder zu erfahren, während der Bauarbeiten täglich auf den Fortschritt zu blicken und dabei auch noch mehr über das Großprojekt zu erfahren? Wenn es nach der Bergedorfer Koalition geht, lässt sich zumindest der Punkt Akzeptanz durchweg positiv beantworten.
Damit dieser Wissensdurst nach dem zukünftigen Zuhause für 15.000 Neu-Bergedorfer aufgefangen werden kann, wollen SPD, Grüne und FDP demnächst einen Aussichtsturm in Blickrichtung in den Zukunftsstadtteil aufbauen lassen. Dazu wurde nach einer erbitterten Debatte in der Bezirksversammlung der Prüfauftrag an die Verwaltung vergeben.
Oberbillwerder: Beruhigt ein Aussichtsturm die Skeptiker?
Denn außer der Vision von einem irgendwie gearteten Aussichtspunkt über das entstehende Oberbillwerder mit seinen 6500 Wohnungen lässt der von Bergedorfs SPD-Fraktionschefin Katja Kramer vorgestellte Antrag noch viel Raum für Gedanken. Das Bergedorfer Bezirksamt möge Standort, Kosten sowie Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten erörtern, damit ein „Aussichtsturm oder eine ähnlich geartete Möglichkeit wie eine Plattform zur Baustellenbeobachtung und zur Information über das Projekt“ eventuell entstehen könne.
Auch eine zeitliche Einordnung eines Turmbaus bleibt gegenwärtig im Unklaren. Als Denkanstoß für eine Platzierung nennen die Antragsschreiber immerhin die Dachgeschossfläche eines noch zu bauenden Mobility Hubs. Der Turm zu Oberbillwerder solle ferner das Informationsbedürfnis der Besucher bedienen, etwa durch Modelle, Projektionen, Simulationen und dergleichen.
Turm für Oberbillwerder: Welche prominenten Vorbilder Pate standen
Die allgemeine Informationspolitik, das betont Kramer in ihrer Rede, sei aus ihrer Sicht elementar. Eine forcierte, frühzeitige Aufklärung könne Befürchtungen und negative Auswirkungen bei Skeptikern vertreiben. „Deshalb sollte allen Interessierten möglichst frühzeitig die Gelegenheit gegeben werden, sich umfassend über das Projekt Oberbillwerder zu informieren“, meint die 33-Jährige SPD-Chefin, die meint, dass eine solche Installation eine „höhere Akzeptanz“ für Oberbillwerder erzeugen werde.
Es gibt prominente Vorbilder, die Bergedorfs Koalitionäre als gelungene Beispiele für eine frühzeitige Informationspolitik heranzitieren. Etwa der View Point in der Hamburger HafenCity, die Infobox am Potsdamer Platz in Berlin oder das Bahnorama in Wien. Jener 67 Meter hohe Holzturm mit einer Aussichtsplattform in 40 Meter Höhe also, der in den Jahren 2010 bis 2014 dazu einlud, die Großbaustelle des Hauptbahnhofs mitsamt des Quartiers Sonnwendviertel aus der Vogelperspektive nachzuvollziehen.
CDU-Bauexperte: „Was Ihnen wichtig ist: Es muss Geld kosten“
Um Input zu sammeln, reiste eine Bergedorfer Delegation in die österreichische Kapitale, sprach dort mit dem Projektleiter des Wiener Hauptbahnhofs. Die Vergleichbarkeit stimmt: Oberbillwerder soll 118 Hektar groß werden, der Bahnhof umfasst 109 Hektar. Ins Bahnorama kamen insgesamt 350.000 Menschen, gekostet hat die Holzkonstruktion 4,7 Millionen Euro. Katja Kramer weiß: „Wegen des Andrangs wurde die Besichtigung sogar kostenpflichtig.“
All diese „Vorstellungen“ eines Turmbaus zu Oberbillwerder entpuppen sich indes als gefundenes Fressen für die Gegner des Gesamtprojekts. Zuallererst prescht Sven Noetzel vor: „Was Ihnen wichtig ist: Es muss Geld kosten.“ Der CDU-Vertreter findet es erstaunlich, dass die Turm-Fans bis auf die Ursprungsidee sich so gar nichts Konkretes vorstellen – und äußert einen Verdacht, welche Funktion ein solches Bauwerk wohl zu erfüllen hätte: „Mit Pathos und einem Holzturm um mehr Zustimmung für das Projekt kämpfen – das finde ich stark.“
„Das setzt der Fehlplanung die Krone auf“
Denn das sei ja das eigentliche Problem an Oberbillwerder, das die CDU im Grundsatz weiter strikt ablehne: Es fehle der Masse an Akzeptanz für das Gigantenprojekt vor den Toren Bergedorfs. Und vielleicht, so glaubt der baupolitische Sprecher der Union, halte dieser Gedanke mittlerweile auch Einzug bei den politischen Befürwortern: „Wenn Sie da wirklich einen Holzturm hinstellen wollen, zeigt das doch nur, wie wenig begeistert Sie selbst von Oberbillwerder sind.“
Ernst Heilmann aus der Linken-Fraktion kommentiert den Turm so: „Das setzt der Fehlplanung die Krone auf.“ Dass das Megabauprojekt mindestens mal unter kritischer Beobachtung stehe, ist für Heilmann spätestens gesetzt seit der Rüge des Landesrechnungshofs für die Behörde für Stadtentwicklung. Dabei ging es vor allem um Fehler in der Kostenkalkulation – und nun noch diese unbestimmten Kosten obendrauf. Auch Reinhard Krohn, Fraktionschef der Bergedorfer AfD, hat Fragezeichen im Gesicht: „Will man das hinstellen, bevor etwas zu sehen ist?“ Das ist aus Krohns Sicht unnötige „Verbrennung von Steuergeldern“
Ablehnung oder Zustimmung: Es fehlt an repräsentativen Daten
„Welche Statistik beweist denn, dass die Bürger gegen Oberbillwerder sind?“ Die Replik Katja Kramers auf die angeblich fehlende Akzeptanz. Ihr sprang Stephan Meyns (FDP) zur Seite, denn die Argumenten der Oberbillwerder-Opposition, was ein angebliches Nein der Bürger angehe, seien lediglich „gefühlte Wahrheiten“. Seine Empfehlung: „Machen Sie zu dem Thema doch mal eine repräsentative Umfrage.“
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Keine Umfrage, jedoch einen Prüfauftrag für den Turm zu Oberbillwerder brachte die Koalition mehrheitlich auf den Weg. Immerhin gibt es ein Zeitfenster, wann dieses Projekt wieder auf die politische Tagesordnung zurückkehren wird: Im dritten Quartal 2023 sollten Ergebnisse feststehen.