Bergedorf. Die Bergedorfer Zeitung wird 150. Vor 50 Jahren, zum Hundertsten, hielt der Verleger eine bewegende Rede. Aber war es das richtige Jahr?
Er wurde verehrt und angefeindet: Kaum eine Persönlichkeit war im Deutschland der 1970er-Jahre bekannter, aber auch umstrittener als Axel Springer (1912-85). Der mächtige Verleger und engagierte Kämpfer für die Deutsche Wiedervereinigung war eine eloquente Ikone der Bürgerlich-Konservativen, der sogar den Sturmlauf der Studenten gegen sich und seine „Springer-Presse“ abperlen ließ. Doch der Erfinder von „Bild“, „Hörzu“, „Welt“ und „Hamburger Abendblatt“ hatte eine geheime Schwäche: die Bergedorfer Zeitung.
Das gestand er vor versammelter Belegschaft am 24. Mai 1974: „Natürlich ist es für einen Mann wie mich bewegend, an diese Stätte hier in Bergedorf zurückzukehren“, sagte Springer damals am Vorabend des Jubiläums anlässlich des 100-jährigen Bestehens bei der internen Betriebsfeier auf dem Verlagsgelände am Curslacker Neuen Deich. „Von allen meinen Ausbildungsstätten ist nur eine erhalten geblieben – die Bergedorfer Zeitung. Ich bin deshalb gern zu Ihnen gekommen.“
Axel Springer: 1932/33 Volontär bei der Bergedorfer Zeitung
Tatsächlich hatte der große Verleger hier seine ersten Erfahrungen als Journalist gemacht, war er doch Ende 1932 für ein Jahr als Volontär in der Lokalredaktion gekommen. Die hatte damals wie der gesamte Verlag samt Druckerei ihren Sitz am Bergedorfer Markt. Genau dort, wo bis vor wenigen Wochen das kleine Karstadthaus stand. Ein typischer Betonklotz aus den 1960er-Jahren, nach dem Abriss des Verlagshauses der Bergedorfer Zeitung damals gebaut für den Kepa-Konzern.
„Ich bin 41 Jahre nicht mehr in Bergedorf gewesen“, gestand Springer in seiner Rede zum Jubiläum. „Bevor ich heute aber zu Ihnen kam, bin ich in die alten Räume gegangen, in denen ich damals arbeitete. Dort wo heute die Kepa sitzt“, versuchte er sich das schöne alte Verlagshaus im Gründerzeit-Stil vorzustellen als Vorgänger der Kepa.
„Wo man jetzt Damenstrümpfe verkauft, stand damals mein Schreibtisch“
„In etwa da, wo man jetzt Damenstrümpfe verkauft, stand damals mein Schreibtisch.“ Und er habe jetzt „noch einmal die Vergangenheit genossen“. Natürlich hatte Springers Bergedorf-Besuch, zu dem er mit Peter Tamm anreiste, dem Vorstandsvorsitzenden seiner Axel Springer Verlag AG, nicht allein nostalgische Gründe. Vielmehr war es ihm gerade gelungen, die Mehrheit des Verlags „Bergedorfer Buchdruckerei von Ed. Wagner“ zu übernehmen, nachdem die Familie Wagner die Bergedorfer Zeitung seit September 1883 herausgegeben hatte.
Sicher genoss es Springer aber auch, als neuer Hausherr gefeiert zu werden. Schließlich war er manchen älteren Mitarbeitern hier noch aus seinem Volontariat bekannt. Im Bericht unserer Zeitung über seinen Besuch wird unter anderem sein Treffen mit der ehemaligen Verlagsbuchhalterin Ella Griesmann (79) beschrieben, die fast 50 Jahre im Dienst der Bergedorfer Zeitung stand. „Sie hat mich immer sehr kurz gehalten, wenn es ums Geld ging“, sagte Springer dem Reporter.
Eigene Rolle in der Nazizeit möglichst passiv dargestellt
Bei aller Nostalgie versäumte es der neue Hausherr nicht, seine Rolle in der beginnenden Nazizeit möglichst passiv darzustellen: „Ich kam Ende 1932 hierher, und dann vollzog sich der politische Bruch. Wir kriegten die Nazis. Mein Vater und dessen Chefredakteur waren die Ersten, die abgeholt wurden“, sagte er in seiner Rede zum Jubiläum der Bergedorfer Zeitung. Tatsächlich aber war er damals in den väterlichen Verlag zurückgekehrt und dort 1935 zum stellvertretenden Chefredakteur der Altonaer Nachrichten aufgestiegen.
Bis zu deren Einstellung 1941 wegen allgemeinen Papiermangels, gilt Axel Springer deshalb mindestens als mitverantwortlich für antisemitische Propaganda. Zudem war er bereits zu seiner Bergedorfer Zeit dem NS-Kraftfahrkorps beigetreten, einer paramilitärischen Unterorganisation von Hitlers NSDAP. Deshalb ist Springer auch der einzige Uniformierte neben dem Chefredakteur auf dem Foto zum 50-jährigen Jubiläum der Bergedorfer Zeitung vom 15. September 1933.
Merkwürdig: Zwei Jubiläen im Abstand von 41 Jahren
Darauf geht Axel Springer in seiner Rede allerdings nicht ein – ebenso wenig wie auf die Merkwürdigkeit der beiden nur 41 Jahre voneinander entfernten Jubiläumsfeiern, obwohl er doch an beiden teilnahm. Tatsächlich hatte die Verlegerfamilie Wagner 1933 exakt den 50. Jahrestag ihrer Übernahme der Zeitung im Jahr 1883 zum Anlass genommen. Springer bemühte für seine 100-Jahr-Feier 1974 dagegen einen Nebensatz aus der damaligen Jubiläumsschrift, wonach ein Vorläufer des Wagnerschen Blattes ab 1874 in Bergedorf täglich erschienen sein soll.
Alle Fragezeichen übertönt der Verleger in seiner Rede mit einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein: „Nach dem Krieg, als es in Hamburg schon sechs Zeitungen gab, hatte ich den Mut, eine siebte Zeitung zu machen. Und, o Wunder: das Hamburger Abendblatt hatte Erfolg“, blickte er auf das Jahr 1948, als er vom Senat die Lizenz dazu erhielt.
„Gern habe ich in all diesen Zeiten zurückgedacht an meine Ausbildung in einem kleinen Haus in Bergedorf“, schlug er den Bogen zurück. „Hier hatte man den Vorzug, alle kennenzulernen, mit den Menschen im Betrieb persönliche Fühlung zu haben.“
Und als neuer Eigentümer ergänzt er schließlich: „Wenn ich vielleicht darin einen Sinn sehen darf, hier einmal junger Redakteur gewesen zu sein. Und dass es mir jetzt vergönnt ist, diesem Haus bei den Unwegsamkeiten und Gefahren des Zeitungsgeschäfts der Zeit, in der wir leben, zu helfen, dann wäre ich sehr glücklich. So sehr fühle ich mich mit Ihnen und der Bergedorfer Zeitung verbunden.“