Bergedorf. Arbeiten fast ohne Feierabend – und Bergedorfs Kneipen als beste Quelle für Informationen. Redakteur Peter von Essen blickt zurück.
Als Peter von Essen sein Journalistenleben bei der Bergedorfer Zeitung begann, bedeutete das Einsatzbereitschaft rund um die Uhr – an sieben Tagen in der Woche. Zwar gab es im Oktober 1973 schon Tarifverträge, doch bei einer Lokalzeitung wie der bz bestimmten Polizeieinsätze, Sitzungen etlicher Vereine und Gremien am Abend sowie unbedingt auch regelmäßige Kneipenbesuche den Arbeitsalltag. Schließlich ließ sich dort am besten mit Politikern, Vereinsfürsten, Wirtschaftsgrößen und sonstigen Informanten ins Gespräch kommen.
„Vielfalt ist das Salz in der Suppe. Und diese Vielfalt fangen wir da draußen auf der Straße ein“, hatte Chefredakteur Karl Mührl dem 29-jährigen Assistenten der Chefredaktion und den anderen Volontären vom ersten Tag an eingebläut. Mührl sorgte auch dafür, dass sich jeder seiner Lokaljournalisten ein Zimmer in der Stadt nahm, für die er zuständig war. Schließlich durfte kein Ereignis verpasst werden, nicht mal mitten in der Nacht.
Das Telefon stand direkt am Bett, um immer erreichbar zu sein
„Ich habe mir zeitweise das Telefon direkt ans Bett gestellt, um immer erreichbar zu sein“, erinnert sich Peter von Essen, heute 79 Jahre alt. „Wir haben dann gleich morgens bis kurz vorm Andruck der Zeitung um 10 Uhr geschrieben, um alle Ereignisse der Nacht noch aktuell ins Blatt zu bekommen.“ Die Zeitung war dann mittags an den Kiosken und am frühen Nachmittag bei den Abonnenten in Bergedorf, den Vier- und Marschlanden sowie den angrenzenden Städten Geesthacht, Schwarzenbek und Reinbek samt ihrem Umland.
Tageszeitungsjournalismus in den 70er- und 80er-Jahren bedeutete Arbeiten rund um die Uhr. „Freie Tage gab es praktisch nicht“, erinnert sich der Mann, der zwar im Jahr 2001 in den Ruhestand wechselte, aber bis heute vielen Menschen im Hamburger Osten als Zeitungsredakteur und unter seinem Kürzel pve ein Begriff ist. Damals, vor mittlerweile fast 50 Jahren, wurde der gegen 6.30 Uhr begonnene Arbeitstag nur durch den Zeitungsdruck für einige Stunden unterbrochen. Wobei zumindest ein Kollege auch noch den Andruck kontrollieren musste, also einen kritischen Blick auf die ersten Exemplare werfen, die aus der Rotationsmaschine kamen. Notfalls wurde die sogar gestoppt, um grobe Fehler zu korrigieren oder wichtige neue Ereignisse oder Erkenntnisse noch in die Zeitung zu bringen.
Bergedorfs Kneipen als bester Ort für die Recherchen
Nach dem Mittagessen ging es gegen 14 Uhr mit der großen Konferenz für die Ausgabe am nächsten Tag weiter. Per Telefon waren die Außenredaktionen mit den Bergedorfer Kollegen um Chefredakteur Mührl im hochmodernen Verlagshaus am Curslacker Neuen Deich verbunden, das die Zeitung zu Ostern 1967 bezogen hatte. Anschließend setzten sich die Redakteure wieder an ihre Schreibmaschinen, schauten was der Fernschreiber ausspuckte und recherchierten für ihre Artikel, wobei sie oft ihre natürlich besten Kontakte zu den Polizisten und Feuerwehrleuten spielen ließen.
Abends standen gewöhnlich Vereinssitzungen, politische Gremien oder Kulturveranstaltungen an. Und natürlich die wichtigen Kneipenbesuche, wo Alkohol und Zigaretten alle in gemütliche Gesprächslaune versetzten – bei gespitzten Bleistiften der Reporter. „Die Journalisten haben eigentlich nie Feierabend“, schreibt Karin Korth, die in den 60er-Jahren bei der Bergedorfer Zeitung ein längeres Schülerpraktikum absolvierte, in ihrem damaligen Bericht. „Selbst am Sonntag, wenn sie gerade zu Hause sitzen, klingelt das Telefon. Ein Unfall ist geschehen. Schon muss der Redakteur zur Stelle sein. Er muss den Lesern der bz alles schildern. Aber wer fragt schon nach dem verlorenen Sonntag, wenn sie am Montag von dem Unfall in der Zeitung lesen.“
Peter von Essen beginnt die Ausbildung fast allein in der Außenredaktion Schwarzenbek
Peter von Essen begann seine 27 Jahre bei der Bergedorfer Zeitung in der Außenredaktion Schwarzenbek. Zwar ist er in Bergedorf aufgewachsen, hatte hier als Pressewart diverser Vereine wie DLRG, Ruderclub und Briefmarkenverein beste Kontakte, aber er sollte sich erst mal anderswo beweisen. So zahlte der Verlag ihm ein Zimmer in Schwarzenbek, wo er ganz allein die Außenredaktion bildete und täglich eine ganze Seite füllen musste, nur unterstützt vom freien Mitarbeiter Gerhard Prohl, der nebenbei der Vorsitzende des TSV Schwarzenbek war.
„Meine Texte und Fotos kamen per Boten nach Bergedorf, wo letztlich ja die Druckplatten hergestellt wurden. Manchmal steckten wir auch dem Postbusfahrer unser Material zu, das dann am ZOB in Bergedorf von einem bz-Kollegen in Empfang genommen wurde“, sagt Peter von Essen. Ein Dreivierteljahr dauerte die Schwarzenbeker Ochsentour, bevor einige Wochen in Lauenburg und schließlich zwei Monate in Geesthacht folgten – immer natürlich mit einem Zimmer vor Ort.
Mit bis zu zehn Kollegen in einem Büro im Verlagshaus am Curslacker Neuen Deich
Im Oktober 1974 kehrte der frisch gebackene Redakteur dann nach Bergedorf zurück, wo neben Ehefrau Lieselotte und den beiden Töchtern nicht weniger chaotische Arbeitszeiten auf ihn warteten. „Wir haben mit bis zu zehn Kollegen in einem Büro gearbeitet. Jeder mit einer Schreibmaschine, dazu der Fernschreiber und diverse weitere Technik“, erinnert sich von Essen. „Das war manchmal schon ein extremer Lärm.“
Wichtigster Leser der Bergedorfer Zeitung war damals Axel Springer, der in den Jahren zuvor die Mehrheit am Verlag Bergedorfer Buchdruckerei von Ed. Wagner erworben hatte – und im Mai 1974 persönlich zum 100. Geburtstag kam. „Springer wurde täglich eine druckfrische bz auf den Schreibtisch gelegt. Egal ob er gerade in Hamburg oder in Berlin oder sonstwo war.“ Gleichzeitig habe der Verleger zeitlebens seine schützende Hand über die Bergedorfer Zeitung gehalten, hier auch manche Innovation für seine großen Blätter getestet. „Wir waren hier sein kleines Naturschutzgebiet.“
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Wer von der bz kommt, der weiß, wie gearbeitet wird“
Peter von Essen steht wie kein Zweiter für den Weg der Zeitung durch die folgenden Jahrzehnte bis ins neue Jahrtausend. Vielle Kollegen kamen und gingen. Wechsel zu Bild, Abendblatt, Mopo, diversen Magazinen und besonders häufig zum Weserkurier nach Bremen gehörten zu den normalen Stationen nach dem Start bei der Bergedorfer Zeitung. „Wer von der bz kommt, der weiß, wie gearbeitet wird“, erinnert sich Peter von Essen daran, wie gern überall Journalisten aus Bergedorf genommen worden sind.
Nur er selbst blieb, „weil ich eben Bergedorfer bin und es mit den Jahren eben auch genossen habe, hier alles und jeden zu kennen“. Doch auch bei der bz hat sich über die Jahre ständig etwas verändert. „Und nicht nur alles zum Besseren“, sagt Peter von Essen, der mittlerweile vierfacher Großvater ist. So sei mit dem Fotosatz die Produktion zwar gegenüber dem alten Bleisatz deutlich vereinfacht worden. Aber eben auch nicht mehr so flexibel wie zuvor gewesen, als noch in den laufenden Druckprozess eingegriffen werden konnte. „Zudem hat sich der Andruck vom Vormittag letztlich in die Nacht verschoben, was späte Unfälle oder nächtliche Feuer nicht mehr ins Blatt kommen ließen.“