Hamburg. Seine TV-Karriere hat der Moderator nun hinter sich. Statt Talkshows macht er jetzt Musik. Was er über den HSV und FC St. Pauli sagt.

Er ist Sportschau-Ikone, Talkmaster, eine selbst ernannte „kleine Flugmaschine“ und setzt das erste musikalische Ausrufezeichen im Lichtwarkttheater des neuen Körber-Hauses: Reinhold Beckmann. Mit seiner Band spielt er am Freitag, 24. Februar, um 19.30 Uhr (Tickets unter Tel. 040/72 57 02 65 oder unter staeitsch-shop.comfortticket.de, 20 bis 39 Euro) ein Konzert und zeigt, dass auch im Karriereherbst neue Leidenschaften noch möglich sind.

Im Büro seiner TV-Produktionsfirma „beckground tv“ sprach er zuvor über die dramatische Situation der Kulturschaffenden, über den Bergedorfer Künstler, der ihm musikalisch den Weg zeigte, und natürlich auch über Fußball – der Mann war schließlich selbst einmal in jungen Jahren beim niedersächsischen SC Twistringen Torwart.

Herr Beckmann, seitdem Sie Anfang der 1990er-Jahre bei den Übertragungen zur Fußball-Bundesliga mit der Sendung „ran“ in Sat1 und roten Jeansjacken Trends setzen: Was ist seit damals der größte Wandel zur heutigen Bundesliga-Berichterstattung?

Reinhold Beckmann: Ein Übermaß an Interpretationen und Deutungen. Es wird zu viel geredet im Live-Kommentar. Besonders die neue Generation der Co-Kommentatoren verdeckt den Fußball unter einem Wortteppich, dass ich mich manchmal frage, wann atmen die eigentlich? Am vergangenen Wochenende war ich froh, als bei Frankfurt gegen Werder auf Sky die Kommentatoren Fuss (Anmerkung der Red.: Wolff-Christoph) und Lothar Matthäus viele Pausen einlegten. Ich hatte das Gefühl, die beiden waren ein wenig gelangweilt von diesem etwas müden Spiel, aber es hat einfach gutgetan. Nicht jede Lücke muss man mit Worten füllen.

Fernab aller Daten: Wie groß schätzt das St. Pauli- und Werder-Mitglied Reinhold Beckmann denn die Aufstiegschancen des HSV in die Fußball-Bundesliga ein?

Beckmann: Die Tabelle zum jetzigen Zeitpunkt weist… (hält kurz inne, lacht) Ich meine, das war in den vergangenen Jahren immer so um diese Zeit, dass der HSV auf einem direkten Aufstiegsplatz stand. Ich wünsche dem HSV, dass sie das jetzt mal hinkriegen. Dieser Komplex muss weg. Der Bundesliga täte der HSV verdammt gut. Übrigens auch der FC St. Pauli. Was Mainz, Augsburg und Union in den letzten Jahren gelungen ist, kann auch der FC St. Pauli. Mehr Mut und Zuversicht, mein geliebter Kiez-Verein.

„Nicht nur ein Musikabend, sondern auch ein Erzählabend“

Sie bauen ja nun vornehmlich, nachdem Sie sich vor einigen Jahren vom Job vor der Kamera verabschiedet haben, auf Musik und haben mittlerweile schon das dritte Studioalbum veröffentlicht. Am Donnerstag werden Sie 67 Jahre alt, der Titel ihrer LP laut „Haltbar bis Ende“. Wo liegt denn das Haltbarkeitsdatum eines Reinhold Beckmann?

Beckmann: Da muss ich mal auf der Rückseite bei mir nachgucken. Wobei, die Milch ist auch immer länger haltbar, als auf der Packung steht... Was die Musik betrifft, bin ich quasi der älteste Newcomer Deutschlands. Das ist ein völlig neuer Beruf, ein neues Handwerk. Für mich ist es jedes Mal eine große Freude, die Gäste glücklich nach Hause zu schicken. Es ist nicht nur ein Musikabend, ich erzähle auch und interagiere mit dem Publikum. Das ist ein Geschenk, so etwas machen zu können.

Musik machen Sie ja schon länger, doch es brauchte offenbar ja eine Initialzündung aus Bergedorf.

Beckmann: Musik war schon immer mein Sehnsuchtsort. Den lieben Tritt in den Hintern aber hat mir der Nettelnburger Vollblutmusiker Andreas Dopp gegeben. Der war damals bei ‚Ina’s Nacht‘ in der Band. Ich war Gast in der allerersten Sendung und habe einen Bossa-Nova auf der Gitarre gespielt. Nachher haben wir gemeinsam mit dem Schlagzeuger Helge Zumdick gesagt: „Hey, lass uns mal was versuchen.“ Danach habe ich bei Andreas zu Hause gesessen und mit ihm die ersten Songs geschrieben. So hat‘s begonnen.

Da passt das doch irgendwie mit der selbsternannten „kleinen Flugmaschine“: Reinhold Beckmann (66) hebt beinahe ab auf dem Albumcover von „Haltbar bis Ende
Da passt das doch irgendwie mit der selbsternannten „kleinen Flugmaschine“: Reinhold Beckmann (66) hebt beinahe ab auf dem Albumcover von „Haltbar bis Ende".  © BGDZ | Privat

Beckmann liebt die Nähe zum Publikum

Ihr erstes Album „Bei allem sowieso vielleicht“ kam ja erst relativ spät 2014 heraus. Denkt man da manches Mal, dass man bei der Musikerkarriere etwas mehr herausholen hätte können?

Beckmann: Tja, das Fernsehen ist mir wohl irgendwie dazwischengekommen. Hätte ich geahnt, wie erfüllend Musik machen und live spielen ist, wäre ich sicher früher schon zweigleisig gefahren. Im Journalismus interessierst Du dich für Biographien von anderen Menschen, für gesellschaftliche Themen. Auf der Bühne erzählst du deine eigenen Geschichten. Zudem ist da diese Nähe zum Publikum. Du siehst und spürst genau, was an dem Abend passiert, wie er sich entwickelt. Das hat eine völlig eigene Kraft. Das kann Fernsehen nicht.

Auf dem aktuellen Album gibt es mindestens zwei herausstechende Stücke. Da wäre zunächst das leicht beschwingte „Alles schon probiert“, dem Sie sogar ein Video spendiert haben.

Beckmann: Selbstgedreht mit dem Handy auf Sri Lanka. Das war ein großer Spaß morgens um 5.30 Uhr, wenn der Markt öffnete und die jungen Zen-Mönche dann in ihr Kloster pilgerten. Eine tolle Kulisse, eine besondere Atmosphäre, genau richtig für den Song.

Ist eine gute Freundin von Ihnen eigentlich wegen dieser Textzeile sauer: „Fuhr nach New York zu Heidi Klum, war statt klüger nur noch dumm“?

Beckmann: Glaube ich nicht. Der Vater hat sich einmal kurz gemeldet. Heidi und ich haben uns lange nicht mehr gesehen, aber die Zeile ist ja nicht ehrverletzend. Eher augenzwinkernd.

Für Buchrecherchen „viel auf Dachböden herumgekrochen“

Der Song „Vier Brüder“ verarbeitet das Drama ihrer 2019 verstorbenen Mutter Aenne, die alle Brüder im Zweiten Weltkrieg verlor. Dieses Lied hat besonders viel Nachhall erzeugt.

Beckmann: Für uns alle war es eine Überraschung, was für Reaktionen der Song hervorgerufen hat. Es ist schon sehr bewegend, die Kommentare bei Youtube zu lesen. In so vielen Familien ist ein ähnliches Schicksal zu Hause. Inzwischen habe ich ein Buch zu diesem Teil meiner Familiengeschichte geschrieben, es heißt „Aenne und ihre Brüder“ und wird Ende August erscheinen. Grundlage waren die 100 Feldpostbriefe meiner Onkel, die mir meine Mutter kurz vor ihrem Tod 2019 vermacht hat.

Diese und weitere Songs spielen Sie nun am 24. Februar im brandneuen Lichtwarktheater im Körberhaus in Zeiten, in der sich die Kultur immer noch vom Corona-Stillstand erholen muss.

Beckmann: Die ganze Kulturszene hat einen solchen Schaden erlitten, das ist noch lange nicht wieder gut. Wir haben zuletzt in Wilhelmshaven im Pumpwerk gespielt, ein richtiges Traditionshaus. Die Verantwortlichen dort kenne ich schon lange. Sie sagten, dass bei den Zuschauerzahlen 100 das neue 300 oder 400 sei. Wie sollen die Bühnen damit wirtschaften? Es gibt viele Musiker, die aufgegeben haben, viele Techniker, die sich einen anderen Job suchen mussten. Wir haben in der Kulturszene ein großes Netzwerk, was Ehrenamtliche betrifft, die Theater und Kulturhäuser betreiben, teilweise keine Förderung kriegen und alles selbst stemmen müssen. Großartige Menschen, hinreißende Locations, die nur deshalb Bestand haben, weil Kämpfer für Kultur da sind.

Welchen Ansatz der Schadensregulierung hätten Sie?

Beckmann: Es wäre wichtig, dass auf Bundesebene Claudia Roth als Staatsministerin für Kultur und Medien das Thema entschlossen in die Hand nimmt. Das Publikum muss wieder vom Sofa raus ins Leben gelockt werden, die Häuser müssen finanziellen Spielraum dafür haben. Es kann ja nicht sein, dass eine lange gewachsene Szene so kaputt geht.

Spielen Sie in Bergedorf auch neue Songs? Ihr aktuelles Album stammt ja aus dem März 2021.

Beckmann: Zwei, drei neue Songs wird es sicher geben. Außerdem gibt es ‚Special Guests‘ - aus Ghana und aus Bergedorf. Ok, einen will ich verraten: Andreas Dopp kommt für ‚Celentano in Stereo‘ mit auf die Bühne. Freuen uns sehr darauf!