Bergedorf. Der Opferhilfeverein in Bergedorf muss viele Menschen wegen fehlender Zuständigkeit abweisen. Sogar vorgetäuschte Straftaten gibt es.
Für Opfer in schwierigen Situationen ist er da. Und doch musste der Verein Weißer Ring im Jahr 2022 die Grenzen seiner Möglichkeiten erkennen. Denn im Bereich der Außenstelle Hamburg Süd-Ost für Bergedorf und Umgebung mussten ganze 57 Anfragen abgelehnt werden. Grund: Die Hilfesuchenden befanden sich zwar in einer Notlage, jedoch nicht wegen einer angezeigten Straftat, sondern eher in finanzieller Hinsicht. „Wir hatten sehr viele Anfragen der falschen Zielgruppe“, stellt Werner Springer, Leiter der Außenstelle Süd-Ost, fest. Der Verein habe diese Menschen an andere Organisationen verweisen müssen, „wir konnten ihnen leider nicht helfen“, so Springer.
Der Weiße Ring hat feste Statuten, vermittelt Opfern von Straftaten etwa anwaltliche Beratung, hilft bei Anträgen oder auch mal finanziell, zum Beispiel, wenn sich ein Umzug nicht vermeiden lässt. „Wir sind aber keine Versicherung, die den Schaden eins-zu-eins ersetzt“, stellt Springer fest. Er hat festgestellt, dass die Erwartungshaltung manchmal zu hoch ist – und dass zuweilen sogar getrickst wird. Da werden Portemonnaies als gestohlen gemeldet, ohne das aber anzeigen zu wollen. Oder die Polizei nimmt die Anzeige auf, hält den Fall dann aber für erfunden. Werner Springer glaubt, dass Inflation und Energiekrise die Menschen zu solchen Mitteln greifen lässt: „Die Verzweiflung der Leute ist groß“, sagt er, sie würden so versuchen, finanzielle Lücken zu schließen. Er bemüht sich, diesen Menschen dennoch zu helfen, vermittelt sie etwa an Vereine wie Ein Herz für Rentner oder an Stiftungen und die Tafel.
Auch viele Beziehungskonflikte fallen in eine Grauzone
Eine Grauzone sind auch Beziehungskonflikte, deren Folgen meist in die Zuständigkeit anderer Organisationen fallen, etwa, wenn es um das Umgangsrecht zu den Kindern geht oder um eine neue Wohnung. „Viele hoffen aber, über uns schneller an eine Wohnung zu kommen“, hat Springer festgestellt. „Denen muss ich dann sagen, dass ich ihnen wahrscheinlich nur einen Platz in einem der überfüllten Frauenhäuser vermitteln kann, mehr aber auch nicht.“ Zwar pflegt der Weiße Ring gute Kontakte zu Vermietern. Doch diese werden nur in extrem dringlichen Fällen genutzt – und selbst dann ist oft nicht so schnell was auf dem engen Hamburger Wohnungsmarkt zu machen.
Dass es so viele Anfragen aus der falschen Zielgruppe gibt, ist aber nur ein Mysterium der Jahresbilanz. Denn insgesamt sind die Zahlen Hilfesuchender seit 2019 deutlich rückläufig – und das, obwohl Corona-Effekte aus den Lockdowns inzwischen nicht mehr spürbar sein dürften. 57 Fälle mit 63 Opfern hat der Weiße Ring Süd-Ost in 2022 betreut, ein deutliches Minus zum Vor-Coronajahr 2019 mit 91 Fällen. „Es scheint flächendeckend in ganz Hamburg so zu sein“, sagt Werner Springer. Eine Erklärung gebe es nicht, „vielleicht kann die Polizei-Statistik später Aufschluss geben“. In vielen Bereichen wie etwa Einbrüchen hat sich die Zahl der Straftaten allerdings längst wieder auf ein Level wie vor Corona eingependelt.
Körperverletzungen machen den größten Anteil aus
Innerhalb der 57 Fälle machen Körperverletzungen (19) den größten Anteil aus, gefolgt von Sexualdelikten (11). Oft sind Beziehungstaten der Hintergrund, „das sind in jeder Statistik immer gleichbleibende Zahlen von 16 bis 18 Fällen“, so Springer. Jeweils im einstelligen Bereich sind Nachstellungen (2 Fälle), Bedrohungen (2), Raub (3) oder Tötungsdelikte (3). Gleichbleibend ist auch, dass Jahr für Jahr Dreiviertel der Opfer Frauen sind.
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11.000 Euro hat der Weiße Ring Süd-Ost in diesem Jahr an Opfer ausgeschüttet, „vielfach kleinere Summen“, sagt Werner Springer, aber auch mal Bestattungskosten und einen Grabstein. Zudem wurden zwölf Hilfeschecks für Anwaltsberatung ausgestellt und vier für Psychologen. Nicht immer muss es aber finanzielle Hilfe sein, oft können schon Gespräche viel bewirken. Fast sechs Stunden haben Mitarbeiter mit einer 91-Jährigen gesprochen, die Opfer falscher Handwerker geworden war. Die Seniorin konnte sich nicht verzeihen, dass sie die Männer eingelassen hatte, die dann Erinnerungsstücke an ihren Mann stahlen. Doch die Ehrenamtlichen vom Weißen Ring konnten der Frau klarmachen, dass sie nur ein zufälliges Opfer war – und dass die Täter oft eben sehr geschickt vorgehen. Werner Springer: „Einfach durchs Zuhören haben wir es geschafft, ihr viele Ängste zu nehmen.“
Künftig will der Weiße Ring auch wieder öffentliche Sprechstunden anbieten, und zwar im neuen Körberhaus (Holzhude 1). Der dritte Montag eines Monats, 16 bis 17 Uhr, ist im Visier. Genauer Ort und Startdatum stehen aber noch nicht fest.