Hamburg. Bisher stand Körperverletzung an oberster Stelle der Liste des Weißen Rings. Viele Betroffene sexuellen Missbrauchs meldeten sich.

Die seit Jahren laufende „MeToo“-Debatte und die schier endlos kochende Skandalreihe um sexuellen Missbrauch in den Reihen der katholischen Kirche haben auch in Norddeutschland einen spürbaren gesellschaftlichen Wandel in Gang gesetzt. Das stellt Werner Springer von der Opferhilfe-Organisation Weißer Ring im Vorfeld zum Tag der Verbrechensopfer am 22. März fest.

Erstmals überhaupt hat der Außenstellenleiter des Weißen Rings in 2021 im Gebiet Hamburg Süd-Ost den größten Teil aller Hilfegesuche im Bereich der Sexualdelikte protokolliert. Dann erst folgt der frühere Spitzenreiter Körperverletzung und weit dahinter Diebstahl, Raub, Betrug, Einbruch und Beleidigung. Viele der jetzt berichteten Sexualdelikte liegen Jahre, teils Jahrzehnte zurück.

Weißer Ring: Betroffene sind mehr bereit, zu reden

„Das Thema sexueller Missbrauch ist öffentlicher geworden, daher sind mehr Betroffene jetzt bereit, darüber zu reden oder auch nur die eigene Erinnerung daran zuzulassen“, sagt Springer. Mehrfach wandten sich Opfer früherer sexueller Gewalttaten an seine Einrichtung, die bereits wegen seelischer Störungen und Konflikte in Therapie waren – ohne dass das erfahrene Leid dort zur Sprache gekommen, geschweige denn aufgearbeitet worden sei.

Die größtenteils ehrenamtlich tätigen Mitarbeiter beim Weißen Ring, dessen Schwerpunkte neben seelischem Beistand auch die Begleitung der Opfer im Strafverfahren und die Unterstützung bei Entschädigungsforderungen sind, stehen dann vor schwierigen Aufgaben: „Der Nachweis solcher lange Zeit zurückliegenden Straftaten ist meist sehr schwierig. Zudem muss für eine Entschädigung aus den verfügbaren Töpfen nachgewiesen werden, dass die Taten von damals ursächlich für die heutigen gesundheitlichen Probleme sind.“

Gesamtzahl der Hilfesuchenden seit Corona deutlich gesunken

Pandemiebedingt blicken die zwölf Mitarbeiter beim Weißen Ring Hamburg Süd-Ost wie in der ganzen Hansestadt auf ein eher ruhiges Jahr zurück. „Wir hatten im Jahr 2021 nur 64 Anfragen, im Jahr davor waren es 65“, sagt Springer. In den Jahren vor Corona seien es zuletzt stets mehr als 100 gewesen. „Es gibt keine Großveranstaltungen, und die Menschen sind weniger unterwegs, daher gibt es weniger Körperverletzungen.

Das schlägt sich auch in der Polizeilichen Kriminalstatistik nieder.“ Dass im Gegenzug die Fälle häuslicher Gewalt deutlich mehr geworden sind – dieser Kelch ging am Weißen Ring in Hamburg bisher vorbei. Nach Worten des Gebietsleiters könnte das daran liegen, dass Hilfesuchende in diesen Fällen lieber die Angebote von familiären Beratungsstellen und Frauenhäusern nutzen, die auf Hilfe bei Trennung, Sorgerechtsauseinandersetzungen oder Mediation ausgerichtet sind.

Weißer Ring: Online-Kriminalität legt kräftig zu

Ein ebenso junger wie wachsender Arbeitsbereich beim Weißen Ring ist die Online-Kriminalität. Auch in Bergedorf, Lohbrügge, Mümmelmannsberg, Billstedt und Horn fallen immer mehr Opfer auf Fake-Shops im Internet oder Dating-Portale herein, auf denen die Täter Liebesschwüre zu blanker Münze machen.

Werner Springer: „Viel helfen können wir da in der Regel nicht, weil die Täter anonym bleiben oder im Ausland sitzen. Strafprozessbegleitung fällt da schon mal flach, auch Entschädigungen gibt es nicht.“ Was den Helfern bleibe, ist den Opfern das Schamgefühl zu nehmen und ihnen zu erklären, dass sie kriminellen Vollprofis aufgesessen sind.

Den Tag der Verbrechensopfer begeht der Weiße Ring in diesem Jahr zum siebten Mal. Am Dienstag, 22. März, hält um 18 Uhr Pröpstin Kirsten Fehrs in der Hauptkirche St. Jacobi die Andacht. Es gelten 3G-Regel und FFP2-Maskenpflicht.