Hamburg. Zwillingsschwestern Luna und Moon dürfen nun beim Verein Looki in Bergedorf bleiben. Warum ihre Art kritisch gesehen wird.

Eigentlich sollten diese Neuzugänge frühestens im kommenden Jahr in die Wildtierstation am Pollhof einziehen. Denn erst mal wollte Looki-Chefin Vanessa Haloui die behördlichen Voraussetzungen dafür schaffen, Waschbären überhaupt aufnehmen zu dürfen. Dafür erkundigte sich Bergedorfs wohl prominenteste Tierschützerin in den Sozialen Medien, wer gute Tipps für den Gehegebau für die ausgezeichneten Kletterer und Schwimmer geben könne. Und dann kam es ganz plötzlich: Unbekannte setzten am 27. Mai zwei erst wenige Wochen alte Waschbärbabys direkt vor dem Stationstor aus.

„Ich befürchte, dass meine Nachfragen irgendjemand zu ernst genommen hat“, kommentiert Haloui. Der Ernstfall ist also früher als gewünscht da – in Gestalt der Schwestern Luna (eher divenhaft) und Moon (eher dominant). Die Zwillinge sind knuddelsüß, aber auch sehr anhänglich. Wer bekommt das am ehesten zu spüren? Natürlich die Chefin höchstpersönlich: Wenn Haloui die Waschbärenschwestern mal zur Fütterung mit der Milchflasche aus ihrem Übergangsquartier, einer Hundebox in der Krankenstation, herausholt, belagern sie ihre Schultern, hinterlassen bei der 41-Jährigen Kratzwunden am Hals. im Gesicht, an den Unterarmen. „Für die bin ich ihr Baum“, sagt die Leiderprobte.

Niedliche Waschbär-Babys bekommen Unterkunft mit eigenem Swimmingpool

Damit diese Leiden schnell enden, geben die Lookisten beim Bau eines neuen Zuhauses Gas: Aktuell wird eine ehemalige Eichhörnchenvoliere zum Waschbärenhaus umgestaltet. Statt Gitterfenstern wurde nun Plexiglas eingesetzt, der Boden des Käfigs mit Wellblechen ausgelegt. „Damit niemand hineinfasst und gebissen wird. Der Boden ist somit ausbruchssicher, denn Waschbären graben gut und gern.“ Problem allerdings: Insgesamt ist die Voliere nur 20 Quadratmeter groß. Die zuständige Behörde, das ist hier laut Vanessa Haloui das Veterinär- und Naturschutzamt, schreibe einen Lebensraum von mindestens 24,75 Quadratmetern für zwei Waschbären vor. Was tun, Frau Haloui?

Antwort: das Gelände, das die 38 Mitglieder des Tierschutzvereins über fast dreieinhalb Jahre zum dauerhaften Quartier für Igel,Eichhörnchen, Tauben und mittlerweile auch vier Kamerun-Schafe gestaltet haben, weiter perfekt ausnutzen. Denn hinter dem künftigen Waschbärengehege führt eine Röhre für die erst 1000 Gramm schweren Schwestern direkt zum Pool. Dort wird ein Teichanlage mit Tier-Terrasse und einem Schutzgraben entstehen. Damit vergrößert sich der Lebensraum von Luna und Moon auf mehr als 60 Quadratmeter.

Fortpflanzungen übersteigen den Populationsverlust

Waschbären werden in der Bundesrepublik insgesamt kritisch gesehen. Als invasive Art breiten sie sich insbesondere in Hessen, aber auch in Teilen Ostdeutschlands stark aus, sodass dort sogar schon von einer Waschbären-Plage geredet wird. Nicht selten berichten Betroffene, dass die Tiere in ihre Häuser durch Schornsteine eindringen, teilweise die Inneneinrichtung verwüsten und es sich dann auf dem Dachboden häuslich machen. Gesicherte Zahlen über die Zahl der bei uns lebenden Tiere hat nicht mal der Naturschutzbund Deutschland (Nabu), der das ambivalente Verhältnis zum aus Nordamerika eingewanderten Kleinbären auf seiner Homepage zum Ausdruck bringt: „Während die einen ihn am liebsten ausgerottet sähen, plädieren andere für eine friedliche Koexistenz.“

Vanessa Haloui nutzt die Gelegenheit, um ihre Position zu verdeutlichen. „Mir missfällt insgesamt der Umgang mit invasiven Tieren. Zunächst einmal sind es Lebewesen.“ Auch das in der Mehrzahl der Bundesländer erlaubte Töten der sich massiv ausbreitenden Tiere durch Jäger sei nicht der Weisheit letzter Schluss. Muttertiere würden durch den Verlust sogar dazu neigen, häufiger schwanger zu werden und größere Würfe nachzulegen. „Nach Erkenntnissen des Nabu werden es umso mehr Tiere, je mehr man sie dezimiert. Dann wird eben nachgezeugt“, so Haloui. Wissenschaftlicher ausgedrückt: Die Fortpflanzungsrate kompensiert den Populationsverlust. Aus einer „ethischen Fürsorgepflicht“ (Haloui) und der Kontrolle der Population wäre es insofern besser, eingefangene Tiere zu kastrieren und wieder auszuwildern.

Tierschutz: Vereinschefin sieht Gesetzgeber in der Pflicht

Haloui sieht bei invasiven Arten die Politik in der Pflicht. Sie, die auch im Bergedorfer Umweltausschuss sitzt, möchte die Einfuhr exotischer Haustiere nach Deutschland grundsätzlich verbieten lassen. Der nicht mehr rückgängig zu machende Fehler sei aus ihrer Sicht bereits in den 30er-Jahren geschehen, als Waschbären aus Nordamerika nach Mitteleuropa importiert wurden, weil ihr Pelz als wertvoll erachtet wurde. Der Legende nach sollen 1934 zwei Waschbärenpaare bei Kassel ausgesetzt worden sein, um die hiesige Tierwelt zu bereichern. Die nordhessische Stadt gilt heute als Waschbären-Hochburg.

Die Bergedorfer Waschbären sind alles andere als Plagegeister: In etwa zwölf Wochen sind Luna und Moon schon groß, steigern ihr Gewicht vermutlich auf für ihre Art durchschnittliche sieben Kilo. In der Vielfalt der „Stadt der Tiere“ können sie übrigens keine Gefahr für andere Bewohner darstellen aufgrund ihres ausbruchsicheren Geheges, obgleich sie durchaus eher eine räuberische Natur haben. „Sie klauen eher das Ei als das Huhn dazu“, weiß die Looki-Chefin. Doch eben diese Natur bewerten andere kritisch, gefährden Waschbären in freier Wildbahn doch Bodenbrüter und deren Nester massiv.

Bei Bergedorfs Tierschützern gehen nach Vanessa Halouis Angaben weitere Anfragen aus dem gesamten Bundesgebiet für die Aufnahme von weiteren Tieren ein. Doch die Wildtierstation soll kein Auffanglager für Waschbären werden, schon mal gar nicht für Tiere von außerhalb Hamburgs. Luna und Moon dürfen dort auf jeden Fall ihr ganzes Leben lang bleiben.