Hamburg. Der Krieg in der Ukraine belastet auch viele Menschen in Deutschland. Coachin Nina Stiewink weiß, was gegen die Angst hilft.

Zerstörte Wohnhäuser, rollende Panzer und Millionen Menschen auf der Flucht – solche Bilder aus der Ukraine fluten derzeit die Medien. Viele Menschen fühlen sich auch hier in Deutschland von dem Ukraine-Krieg belastet, zeigen Solidarität mit Flüchtenden. Doch was, wenn die Sorge in Angst umschlägt und zu einem ungesunden Dauerzustand wird? Denn neben dem Krieg belasten auch die Pandemie und der voranschreitende Klimawandel viele Menschen psychisch.

Ukraine-Krieg: Auch in Deutschland haben vielen Menschen Angst

Laut neuesten Erkenntnissen der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) haben die behandlungsbedürftigen Angsterkrankungen von 2010 bis 2020 um 39 Prozent zugenommen – besonders stark betroffen sind junge Leute: Unter den Zwölf- bis 17-Jährigen stiegen die Erkrankungen um 82 Prozent, bei den 18- bis 24-Jährigen um 51 Prozent.

Nina Stiewink ist mit ihrer Praxis „Ihretwegen“ im Weidenbaumsweg 15 seit genau 30 Jahren professionelle Coachin in Bergedorf – die Diplompädagogin weiß, was Menschen helfen kann, wenn negative Gefühle überhandnehmen. Auch in globalen Krisen. Wenn es ihr selbst nicht gut geht, spaziert die 55-Jährige etwa gern über den Geesthang, schenkt sich selbst Blumen oder kocht eine leckere Pasta.

Putins Angriffskrieg macht auch in Deutschland vielen Menschen Angst

Zentral ist für Stiewink stets der Begriff der Selbstwirksamkeit: Anstatt sich in Krisenzeiten in negativen Gedanken zu verlieren, könne jeder gucken, wie er oder sie selbst handeln kann: „Es ist klar, dass nicht jeder mit einem Hilfskonvoi ins Kriegsgebiet fahren kann“, sagt sie. Aber jeder Mensch kann Geld oder Hilfsgüter spenden. „Ob das fünf, 50 oder 500 Euro sind – es geht darum, die eigenen Handlungsspielräume zu erkennen und in ihrem Rahmen etwas zu verändern.“ Auch Betroffenen zuzuhören, die besorgt um ihre Familie oder Freunde in der Ukraine oder in Grenzgebieten sind, könne helfen. „Zu sehen, dass sie etwas ändern können, tut vielen Menschen gut“, weiß Stiewink.

Denn anstatt aktiv zu werden, passiere es leicht, sich in negativen Szenarien zu verlieren. Viele überlegten: „Was ist, wenn der Krieg nach Deutschland kommt?“ Tatsächlich: „Diese Gedanken lassen den Krieg hier Wirklichkeit werden. Dabei ist das direkte Geschehen nicht vor unserer Haustür – auch, wenn es uns alle etwas angeht“, so Stiewink. Es sei wichtig, schwere Gedanken zu beobachten und im Zweifelsfall zu stoppen.

In einer persönlichen Krise ist es legitim, keinen gedanklichen Platz für Krieg zu haben

Außerdem: Hilfe müsse sich gar nicht nur auf die Krise beziehen. „Wenn uns so eine Situation aufschreckt, können wir auch an anderen Stellen unterstützen“, sagt Stiewink. In Bergedorf gibt es schließlich auch viele Bedürftige, denen ganz konkret geholfen werden kann. Zum Beispiel andere Geflüchtete oder einfach die Nachbarin, die Hilfe beim Einkaufen braucht. „Dort hingucken, wo gerade niemand hinschaut“, sei ein guter Ansatzpunkt, um aktiv zu werden.

Gleichermaßen sei es legitim, wenn die persönliche Situation keinen Platz für solche Sorgen lasse. „Wenn jemand mitten in einer persönlichen Krise steckt, ist es in Ordnung zu sagen: ,Ich habe gerade keinen gedanklichen Platz, mich mit dem Krieg zu befassen.‘“

Sich selbst etwas Gutes tun, um Kraft für andere zu sammeln

Manchmal sei zum Beispiel beim Nachrichtenkonsum Vorsicht geboten: Wem die Kriegsberichterstattung zu viel wird, der kann sich zeitlich beschränken. „Ein Tipp ist auch, sich Nachrichten nur anzuhören – ohne Bilder.“

Generell sei es wichtig, in Krisenzeiten die Balance zwischen Selbstfürsorge und Solidarität mit der Gemeinschaft zu halten. Für eine Auszeit vom Weltgeschehen müsse sich niemand schämen. Bestes Beispiel sei die Wiedereröffnung der Nachtclubs: „Manche haben sich gefragt, ob es okay ist, tanzen zu gehen, wenn woanders Krieg herrscht“, so Stiewink. Die Antwort sei: Ja. „Wir müssen gucken, was uns gut tut und womit wir unsere Kraft auftanken können – nur dann haben wir auch die Energie, anderen zu helfen.“

Sich im „Sonnenbuch“ die schönen Dinge vor Augen führen

Für Momente, in denen es ihr nicht gut geht, hat Nina Stiewink selbst ein sogenanntes Sonnenbuch und eine „Schatzkiste für schlechte Zeiten“. Das empfiehlt sie auch ihren Kunden: „In das Sonnenbuch schreibe ich am Ende jeder Woche alle positiven Dinge, die mir widerfahren sind. Das können ganz kleine Sachen sein“, so Stiewink. Wer sich an schöne Ereignisse bewusst erinnert, holt positive Gedanken in den Vordergrund – und lernt auch, für kleine Dinge dankbar zu sein. „Wer überlegt, merkt, dass nicht alles immer nur schlechter wird. Auch wenn es in diesen Zeiten manchmal den Anschein hat“, sagt die Coachin.

In ihrer Schatzkiste hütet sie Gegenstände, die aufmuntern – zum Beispiel ein Foto, auf dem sie sich besonders hübsch findet. Oder eine Liste, die sie daran erinnert, wie schön ein Saunagang oder eine Massage sind.

Derzeit bietet Nina Stiewink Naturraum- und Online-Coaching an. Dabei führt sie die Gespräche ganz coronakonform bei Spaziergängen am Elbstrand oder im Schlosspark. Das Coaching biete keine Beratung, so Stiewink, sondern kreative Ansätze, damit Menschen die Ideen und Lösungen finden, die sie gesucht haben.