Hamburg. Weil Weltmarktpreise für Getreide und Energie anziehen, müssen Handwerker wie Heinz Hintelmann reagieren. Er hat mehrere Sorgen.
Im Minutentakt klingelt das Telefon von Bäckermeister Heinz Hintelmann. Der 70-Jährige ist ein begehrter Gesprächspartner. Von seinem Tisch in der Betriebsküche am Schleusenhörn organisiert er Termine. Gerade kündigt sich eine Delegation aus Japan an – für eine Franzbrötchenprüfung. So richtig freuen kann sich Hintelmann darüber gerade nicht, zu viele Sorgen bereitet ihm die aktuelle Situation. Der Krieg in der Ukraine treibt die Kosten unter anderem für Energie und Getreide in die Höhe. Folge: Brot und Brötchen werden teurer. „Wir werden die Preise zum 1. Mai anheben“, kündigt der Bäcker an. Um wie viel, wisse er noch nicht genau. Wenn das nicht reichen sollte, werde es in diesem Jahr noch eine zweite Erhöhung geben.
Krieg in der Ukraine bringt steigende Preise für Brot und Brötchen mit sich
Hintelmann, der in Bergedorf und Wentorf fünf Verkaufsstellen betreibt, beschreitet damit den gleichen Weg wie etliche seiner Kollegen. Laut einer Umfrage dieser Zeitung unter Hamburger Bäckern wollen oder müssen mehrere Anbieter die Preise für ihre Produkte erhöhen. Entsprechende Pläne haben die Braaker Mühle, die Bäckerei & Konditorei Heinrich Wulf und die Geschäfte von Ludwig Daube. Nicht ausschließen können steigende Preise auch der Vollkornspezialist Effenberger und die stark expandierende Kette Junge. „Wir müssen die Lage täglich neu bewerten“, heißt es bei Dat Backhus. Bei Harry Brot, mit Toast und Schnittware in den Regalen der Supermärkte vertreten, wolle man sich nicht zu dem Thema äußern, teilte die Zentrale des Produzenten in Schenefeld mit.
Das Mehl-Dilemma: Lokales Korn wird global gehandelt
Damit Heinz Hintelmann ein gutes Brot herstellen kann, benötigt der Bäcker vorwiegend Strom und Mehl. Bei beiden Rohstoffen sind die Preise in den letzten Jahren explodiert. 2021 war die weltweite Getreideernte schlecht. Jetzt kommt der Krieg in der Ukraine hinzu. Das Mehl-Dilemma: Deutschland produziert eigentlich genügend Getreide, um sich unabhängig zu versorgen. „Deutschland ist Selbstversorger bei Brotgetreide“, sagt etwa ein Sprecher der Aurora Mühle. Zu dem Hamburger Unternehmen gehören bekannte Marken für Mehl wie Diamant, Aurora und Gloria: „Gut 95 Prozent des Getreides, das in Deutschland zu Mehl verarbeitet wird, kommt aus Deutschland.“ Die Versorgung sei daher auch künftig sichergestellt.
Doch der Getreidepreis richtet sich nach den globalen Verfügbarkeiten und wird an der Warenterminbörse in Paris bestimmt. Das ärgert Heinz Hintelmann „Der Preis hängt nicht vom regionalen Vorkommen ab, wovon wir reichlich hätten, sondern wird durch Spekulation in die Höhe getrieben. Wie kann so was im Interesse des Verbrauchers sein?”
100 Kilogramm Weizenmehl kosten mittlerweile 65 Euro
Was das konkret bedeutet, rechnet der Allermöher vor: Im vergangenen Sommer noch habe er für 100 Kilogramm Weizenmehl 30 Euro gezahlt, inzwischen seien es 65. Sein Hamburger Kollege Thomas Effenberger, Inhaber der gleichnamigen Vollkorn-Bäckerei, berichtet von noch stärkeren Preissteigerungen. „Für Weizen müssen wir 130 bis 180 Prozent mehr als vor dem Überfall der Russen bezahlen.“
Wie stark der Mehlpreis etwas mit dem eines Brötchens oder Brotes zu tun hat, hängt von dem Herstellungsprozess ab. Heinz Hintelmann ist noch ein selbst backender Bäcker alter Schule. In seinen Backwaren sind weniger Zusatzstoffe enthalten als in industrieller Ware. Dadurch hat das Brot einen höheren Getreideanteil. Je größer der Getreideanteil, desto enger hängen die Verbraucherpreise von den Rohstoffpreisen ab. Zwar bieten Lieferverträge vorläufig eine gewisse Stabilität. Doch die Industrie kann viel leichter an der Preisschraube drehen als der selbst backende Bäcker.
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Er erinnert sich an eine Zeit, in der Energie schon mal knapp war. In den 50er-Jahren, als er ein kleiner Junge war, wurde die Knetmaschine seines Vaters von einem Pferd angetrieben, das neben der Bäckerei im Stall stand. „Die Maschine brauchte nur ein Hü. Der Teig war dann in einer Stunde geknetet“, sagt der 70- Jährige.
Bäcker macht sich Gedanken über Zukunft des Berufsstandes
Unabhängig von den aktuell steigenden Energie- und Getreidepreisen befindet sich das Bäckerhandwerk in einem Strukturwandel. Immer mehr Supermärkte haben frisch gebackenes Brot in ihrem Sortiment, auch Tankstellen bieten den Service immer öfter an. Ob und wie der Mittelstand diese Entwicklung verkraftet, lässt sich an der Zahl der selbst backenden Bäcker in Hamburg ablesen. 1990 gab es in der Hansestadt 131 selbstständige Bäckereien. Aktuell sind es nur noch 23. Allein in den Vier- und Marschlanden backten Ende der 50er-Jahre 45 Bäcker ihr Brot selbst – heute sind es nur noch drei.
Die Getreidepreise mögen das aktuell drängendste Problem sein. Heinz Hintelmann sieht für seinen Berufsstand noch etliche weitere. Zum Beispiel die Bürokratie. Vor einem Jahr habe das Finanzamt in seinem Betrieb ein neues Kassensystemen gefordert. Kostenpunkt: 40.000 Euro. „Das Geld kann ich weder in eine Qualitätssteigerung stecken noch in eine Umsatzsteigerung“, sagt er. Hinzu kommt die vor gut zwei Jahren eingeführte Bonpflicht. Heinz Hintelmann verdreht die Augen und winkt ab. „Vor 20 Jahren brauchte ich nur eine Bürokraft, heute sind es zwei – das heutige Finanzwesen ist viel zu kompliziert für den Mittelstand.“ Und dann soll auch noch der Mindestlohn erhöht werden. Das findet Bäcker Hintelmann gut, einerseits. Andererseits: „Wie soll ich das alles bezahlen?“
Helfen ist auch eine Leidenschaft von Bäcker Heinz
Die Zukunft sieht Hintelmann in einem neuen Konzept des Bäckerhandwerks und in einer steigenden Erwartungshaltung seiner Kunden. „Damit ich meine Qualität halten kann, wird sich etwas ändern müssen. Für eine nachhaltige Kalkulation müssen vielleicht künftig nicht mehr alle Waren bis zum Ladenschluss im Regal vorrätig sein. Aber alle seine 40 Brotsorten möchte er im Sortiment lassen. Trotz der Widrigkeiten liebt Heinz Hintelmann sein Handwerk. Er ist stolz darauf, „Genusserlebnisse herzustellen“. „Feinheiten spürt man eben nur im Handwerk.“
Sein Telefon klingelt schon wieder. Jemand von der Presse möchte wissen, wie viele blau-gelbe Ukraine-Hanseaten er schon verkauft hat. Helfen ist nämlich auch eine Leidenschaft von Bäcker Heinz.