Hamburg. Der Angriff auf die Ukraine ist auch in großes Gesprächsthema im Bezirk Bergedorf. Wir haben einige Bürger dazu befragt.
Bilder von Panzern, von Luftangriffen und Soldaten – und das nur etwa 1500 Kilometer von Hamburg entfernt: Putins Angriff auf die Ukraine hat gestern bei vielen Menschen Entsetzen ausgelöst. Die Stimmung auf der Straße ist spürbar angespannt. Gefragt nach der aktuellen Situation, wollen viele Bergedorfer die Lage aber nicht kommentieren oder ihren Namen nicht nennen. Andere zeigen sich noch gelassen.
Russland-Ukraine: Wie denken Bergedorfer über den militärischen Angriff?
Nicht so in Neuallermöhe, wo viele Hamburger mit Migrationshintergrund leben (62,5 Prozent), darunter viele Deutsche aus Russland. Als sogenannte Spätaussiedler waren sie in den 90er-Jahren nach Deutschland zurückgekehrt und hatten im damals jungen Neubauquartier Neuallermöhe eine Heimat gefunden.
In einen dicken, grünen Wintermantel gehüllt steht nun eine Frau am S-Bahnhof Allermöhe, die blauen Augen starren auf den leeren Fleetplatz. Vor 20 Jahren ist die 47-Jährige, die ihren Namen nicht nennen möchte, aus der Ukraine nach Deutschland gekommen. Dass Russland am Donnerstagmorgen ihre zweite Heimat angegriffen hat, kann sie kaum fassen. „Das ist einfach nur schlimm“, sagt sie.
Dann stockt die Neuallermöherin, kann nicht mehr weitersprechen, Tränen fließen ihre Wangen herunter. Gleich trifft sie sich hier mit einer Freundin, erzählt sie – zusammen fahren die beiden zum russischen Konsulat auf der Uhlenhorst. „Es gab im Internet mehrere Aufrufe, zusammenzukommen, um zu demonstrieren und sich zu beraten.“ In der Gruppe solle auch überlegt werden, wie der ukrainischen Zivilbevölkerung geholfen werden könne – zu Beispiel mit Spenden. „Mein Bruder lebt in Kiew, er ist mitten im Gefahrengebiet,“ sagt sie.
Eine 72-Jährige sagt, dass Putin gute Politik macht
Auch eine Deutsche aus Russland möchte ihren Namen nicht nennen – sie hat Angst vor dem Krieg, sieht Putin aber nicht direkt als Schuldigen. „Ich finde, er macht gute Politik“, sagt die 72-Jährige, die vor 20 Jahren nach Deutschland gezogen ist. „Eigentlich versucht er, alles ohne Krieg zu erreichen. Mal sehen, wie es weitergeht.“ Aus ihrer Sicht trage sich der Konflikt jetzt vor allem zwischen den Supermächten USA und Russland aus.
Zwei Frauen aus Kasachstan meinen, dass die Ukraine Russland zuerst provoziert habe – zum Beispiel mit dem Wunsch, in die Nato einzutreten. „Dass Russland diese Gebiete als unabhängig erklärt hat und jetzt Krieg beginnt, ist trotzdem schrecklich“, sagt eine der beiden Neuallermöherinnen.
Ein Ehepaar, das vor 25 Jahren von Russland nach Deutschland gezogen ist, steht ebenfalls auf dem Fleetplatz. Die beiden 50-Jährigen stört es, dass nun wieder von „den Russen“ die Rede ist – gerade in dieser Situation und gerade in Neuallermöhe. „Hier wohnen Menschen aus allen Nationalitäten zusammen und jeder hat eine andere Meinung“, sagt die 50-Jährige. Momentan werde häufig verallgemeinert – zum Beispiel, dass alle Menschen mit russischen Wurzeln für Putin seien. „Das spaltet die Gesellschaft in diesen Stadtteilen sehr.“ Mehr mag sie nicht sagen.
Geesthachterin sieht derzeit auf keiner Seite eine Deeskalation
Auch in Bergedorfs Fußgängerzone wägen die Menschen die Worte vorsichtig ab. „Es steht viel auf dem Spiel“, meint Altenpflegerin Steffi M. (50). Die Geesthachterin sagt, sie sei kein Freund des russischen Präsidenten. Doch sie sieht derzeit auf keiner Seite eine wirkliche Deeskalation. Am meisten machen ihr derzeit die Preissteigerung Sorgen, die als Folge der Sanktionen wohl auf Deutschland zukommen.
Während Bergedorfer wie Michael B. (57) „erst mal abwarten“ wolle und der Regierung vertraue, wächst bei anderen die Sorge vor einem ausufernden Krieg. Dr. Patzka (74) aus Bergedorf fühlt sich „bedroht“. Steigende Energiekosten wären noch zu tragen – aber die Angst vor einem Krieg „macht viel mehr mit Menschen“. Auch Rentner Rainer Boudier (74) aus Bergedorf hat Kriegsangst. Er wurde genau einen Tag nach Ende des Zweiten Weltkrieges geboren. Für ihn wäre es „unfassbar einen Krieg in Deutschland noch zu erleben“.