Hamburg. Anti-Gender-Aktivisten fühlen sich ungerecht behandelt. Wird wirklich unfair gespielt? Und was bedeutet das für die direkte Demokratie?
Es ist eine Mischung aus Ärger, Trotz und Fassungslosigkeit. Hört man sich bei den Initiatoren und Unterstützern der Gender-Initiative um, spürt man drei Gemütslagen in unterschiedlicher Mischung. Es herrscht Ärger über die Hamburger Bürgerschaft, die das Volksbegehren in die Sommerferien schob. Es ist Trotz zu spüren, weil manche Bürger überschwenglich ihre Unterschriften den Sammlern aufdrängen. Und Fassungslosigkeit schimmert durch, dass manche sich nicht trauen zu unterschreiben – aus Angst vor Konsequenzen. Inzwischen glaubt die Initiative offenbar selbst nicht mehr daran, die nötigen 66.000 Unterschriften zu bekommen.
Der Ärger über die Politik ist nicht verraucht. Ganz im Gegenteil. Der Versand der Briefunterlagen für das Volksbegehren „Schluss mit Gendersprache in Verwaltung und Bildung” begann am ersten Tag der Sommerferien, die letzte Unterschrift muss am letzten Ferientag, dem 28. August, abgegeben werden. Die Bürgerschaft hätte Aufschub gewähren können, doch SPD, Grüne und Linke lehnten das Ansinnen ab –ironischerweise die Parteien, denen direkte Demokratie am wichtigsten ist. Eilanträge gegen die Terminierung hatte das Hamburgische Verfassungsgericht verworfen.
Gender-Initiative beklagt ein doppeltes Handicap
Die Initiative beklagt nun ein doppeltes Handicap. „Wir spüren die Sommerferien sehr deutlich“, sagt Anja Oelkers, eine der Vertrauenspersonen der Initiative, dem Abendblatt. „Nicht nur die Bürger, die unterschreiben wollen, sind verreist, sondern auch die Helfer, die mit uns auf den Straßen öffentlich sammeln möchten. Und wer gerade eingearbeitet war, meldet sich danach in den Urlaub ab.“
Sie ärgert, dass Hamburg keine digitale Stimmabgabe ermöglicht. Die Forderung der Initiative, die Unterschrift per digitalem Ausweis zu ermöglichen, lief ins Leere. „Wir bekommen immer wieder die Frage gestellt, wie man aus der Ferne online unterschreiben kann“, sagt Oelkers. „Wenn man dann den Bürgern erklären muss, dass dies nicht möglich ist, reagieren sie regelmäßig mit Unverständnis bis hin zur Fassungslosigkeit, dass Hamburg in diesem so wichtigen Bereich der direkten Demokratie nicht auf der Höhe der Zeit ist.“
Hinzu kommt Kritik an den Bezirksämtern. „Wir haben den nicht unbegründeten Verdacht, dass in Bezirksämtern den Wählern Steine in den Weg gelegt werden“, schreibt ein Leser, der selbst Unterschriften sammelt. Es fehlten Hinweise, wo man unterschreiben kann. Die Initiative kritisiert: „Der Senat ist dafür verantwortlich, dass die Bürger praktisch nichts von dem Volksbegehren erfahren und ihnen die Unterschrift so kompliziert wie möglich gemacht wird.“
Jens Jeep, Vertrauensperson der Initiative, sagt: „Es kann zwar in 17 Kundenzentren unterschrieben werden, aber viele Bürger finden dort praktisch keine Hinweise, dass es das Volksbegehren gibt. Es hängen bestenfalls an der Tür lange Rechtstexte zu allen Volksbegehren aus, und unseres ist nur eines davon.“
Landeswahlamt: Plakate sollen gut sichtbar aufgehängt werden
Das Landeswahlamt widerspricht: „Jede Eintragungsstelle hat ein Plakat erhalten, welches gut sichtbar möglichst in der Nähe der Eintragungsformulare angebracht werden soll“, betont Kim-Katrin Hensmann von der Innenbehörde. Die Ordner mit der darin befindlichen Eintragungsliste sollten „an geeigneter Stelle bereitgelegt werden, daneben eine Urne für den Einwurf der ausgefüllten Eintragungsformulare.“ An allen Standorten des Hamburg Service vor Ort lägen Einzelbögen zur Eintragung aus.
Auf die Frage, wie und ob diese Regeln kontrolliert werden, heißt es: „Der Hamburg Service ist eine Bezirksbehörde, welche die übertragenen Aufgaben ordnungsgemäß wahrnimmt.“ Das könnte im Auge des Betrachters liegen –Stichproben des Abendblatts zeigen, dass „gut sichtbar“ subjektiv ist. Bei vielen Aktivisten hat sich Misstrauen breitgemacht. Allein, dass viele Sammler ungenannte bleiben wollen, befremdet. Die eine sagt, in ihrem Umfeld werde gegendert, die andere verweist auf die Stadt als ihren Arbeitgeber.
Anders als bei früheren Volksbegehren ist die Stimmung giftiger
Es zeigt sich: Die Gesellschaft ist polarisierter als vor einem Jahrzehnt, als es in den Volksbegehren um die Ablehnung der Primarschule oder den Rückkauf der Netze ging. Damals wurde leidenschaftlich diskutiert, doch Angriffe unter der Gürtellinie blieben Ausnahmen. Das ist nun anders. Mehrere Sammler sprechen von heftigen Reaktionen der Gender-Fans. „Es werden Menschen, die sich gegen das staatliche Gendern aussprechen, auf offener Straße beschimpft und zum Teil angebrüllt. Frauen beschimpfen Frauen, weil sie nicht gendern wollen“, sagt Jeep.
In mehreren Stadtteilen, so in Altona oder Langenhorn, kam es zu Vandalismus. „Unsere Plakate werden in großem Ausmaß abgerissen, kaum, dass wir sie aufgehängt haben. Mir Rücksicht, mit Demokratie, mit einer sachlichen Auseinandersetzung hat das alles nichts zu tun“, so Jeep. Eine Sammlerin erzählt: „Wir werden als Lügner oder Nazis beschimpft.“ Zugleich berichten manche von begeisterten Reaktionen: „Es gibt viele, die sich bedanken – eine ältere Frau ist mir fast um den Hals gefallen und hat gesagt, das sei ihr schönstes Geburtstagsgeschenk.“
Gender-Initiative: „Viele finden das Gendern doof, aber längst nicht alle unterschreiben“
Mehrere Sammler betonen dem Abendblatt unabhängig voneinander, dass viele Bürger gern unterschreiben würden – aber Nachteile fürchten, etwa als städtische Mitarbeiter, als Lehrer oder Universitätsangehörige. „Viele finden das Gendern doof, aber längst nicht alle unterschreiben“, sagt einer. „Es gibt ein unglaubliches Misstrauen gegen den Senat“, erzählt eine andere. „Die Leute fragen, ob die Unterschrift Konsequenzen hat. Sie fragen, wer Zugriff darauf hat.“ Und manche fürchten sogar: „Steht dann bei mir die Antifa vor der Tür?“ Ihr Resümee: „Mich überraschen die Massivität und das Misstrauen, dass man auf irgendwelchen Listen landet“.“
Bei der Abgabe in den Servicezentren der Stadt ist Vertraulichkeit gesichert: „Der Zugang wird ungeprüft gewährt, und die Eintragungen erfolgen auf einzelnen Formularen, die nachfolgend in die Urne eingeworfen werden“, betont Hensmann. Eintragungslisten mit mehreren Unterschriftfeldern würden in den Eintragungsstellen nicht verwendet.
Gender-Initiative: Woher kommen die Skepsis und die Angst?
Die Ängste zu unterschreiben, klingen übertrieben, ja, verschwörungstheoretisch. Aber sie passen in die Zeit, weil sie einen Resonanzboden finden und Petzen und Pranger wieder en vogue werden. Die umstrittene Amadeu-Antonio-Stiftung etwa hat Anfang 2023 eine „Meldestelle Antifeminismus“ eingerichtet. Sie verfolgt das Ziel, die „Einordnung von Antifeminismus als Hasskriminalität zu verbessern“.
Dazu gehöre alles, was sich „gegen Emanzipationsbestrebungen, gegen Geschlechtergerechtigkeit, gegen körperliche sowie geschlechtliche Selbstbestimmung richtet“, ausdrücklich auch politische Bewegungen. Da mag sich eine Volksinitiative gegen „geschlechtergerechte“ Sprache schnell überwacht fühlen. Die Amadeu-Antonio-Stiftung wird vom Steuerzahler alimentiert: Bundesministerin Lisa Paus (Grüne) hat die Meldestelle mit 133.000 Euro bedacht.
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Wenn aber Menschen Angst haben, dass ihre Unterschrift öffentlich wird, wackelt die direkte Demokratie – zumindest dann, wenn eine Initiative sich gegen die Senatspolitik stellt. So geht die Kritik der Aktivisten über Genderstern, Binnenversale oder Unterstriche heraus. Es geht um mehr – nämlich die direkte Demokratie. Mit Argusaugen wird eine weitere Initiative auf die Entwicklung blicken: Am Dienstag begann das Volksbegehren der Initiative Hamburg testet Grundeinkommen mit ihrer sechswöchigen Unterschriftensammlung.