Hamburg. SPD, Grüne und Linkspartei verweigern erstmals Fristverlängerung: Nun fällt das Volksbegehren in die Sommerpause.
Matthias Iken
Die Volksinitiative „Schluss mit Gendersprache in Verwaltung und Bildung” fühlt sich von SPD, Grünen und Linkspartei unfair behandelt. Aufgrund einer Entscheidung der drei Parteien in der Bürgerschaft wird das Volksbegehren nun wohl in die Sommerferien fallen - also einen Zeitraum, der für die Sammlung von Unterschriften schwierig ist. Das Gesetz sieht vor, dass sich binnen drei Wochen dann rund 66.000 Hamburger (ein Zwanzigstel der Wahlberechtigten) in Listen eintragen müssen, die bei den Bezirks- und Ortsämtern oder von der Initiative ausgelegt werden.
Hintergrund für den Termin ist das Kleingedruckte in der Volksgesetzgebung. Wegen der Europawahl, die am 9. Juni stattfindet, darf die Briefeintragungsfrist weder in den drei Monaten davor noch in dem Monat danach stattfinden - eine Sammlung zwischen dem 11. März und dem 10. Juli ist also geblockt.
Anti-Gender-Initiative: Frist kann einmalig verlängert werden
Eine Entzerrung wäre möglich gewesen: In Paragraf 6 des Hamburgischen Gesetzes über Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid heißt es ausdrücklich, dass die Frist einmalig verlängert werden kann. Damit hätte man ein Begehren auch nach dem Sommer organisieren können. Doch das hat die Mehrheit in der Bürgerschaft mit den Stimmen von SPD, Grünen und Linkspartei abgelehnt - ein unübliches Verhalten.
„Mir ist nicht bekannt, dass so ein Vorschlag für eine Fristverlängerung bisher abgelehnt worden wäre. Verlängerungen kamen häufiger vor“, sagt Hamburgs Landeswahlleiter Oliver Rudolf auf Abendblatt-Anfrage. „Aber es steht selbstverständlich im freien Ermessen der Bürgerschaft, so zu entscheiden“.
Initiative hatte sich nach Abgang von Sabine Mertens neu aufgestellt
Die Volksgesetzgebung ist kompliziert: Normalerweise beginnt die Frist für die Unterschriftensammlung vier Monate nach dem Antrag der Initiative auf ein Volksbegehren. Dieser Antrag indes kann erst gestellt werden, wenn die Bürgerschaft über den Entwurf der Initiative entschieden hat, ihm entweder folgt oder ihn verwirft. Dafür hat sie ebenfalls vier Monate Zeit. Diese Frist begann, nachdem der Senat im August 2023 das Zustandekommen der Volksinitiative offiziell bestätigt hatte. Im Juli hatte sie mehr als 16.000 Unterschriften gegen das Gendern übergeben.
Das bedeutet: Eigentlich wäre die Frist für die Bürgerschaft Mitte Dezember 2023 abgelaufen, sie wurde dann auf Vorschlag der Volksinitiative von der Bürgerschaft bis zum 12. März 2024 gehemmt. Das vermeintliche Zugeständnis an die Initiative war jedoch keines. „Die Auswirkung des Bürgerschaftsbeschlusses auf den Zeitpunkt des Volksbegehrens war gleich null. Denn auch ohne Hemmung wäre ein Volksbegehren wegen der viermonatigen Europawahl-Sperrfrist zwingend in die Sommerferien gefallen“, erklärt der Notar Jens Jeep, einer der neuen Vertrauensleute der Initiative „Schluss mit Gendersprache in Verwaltung und Bildung”. Sie hatte sich nach dem Abgang der umstrittenen Initiatorin Sabine Mertens, die mit ihren Aussagen Empörung ausgelöst hatte, personell neu aufgestellt.
Guderian: „Parteien behindern das Verfassungsrecht der Bürger auf direkte Teilhabe”
Stand heute kann die dreiwöchige Briefeintragungsfrist also frühestens am 10. Juli beginnen, drei Wochen später, am 31. Juli, startet die Unterschriftensammlung. Ab dem 18. Juli aber entschwindet Hamburg in die Sommerfrische. „Demokratie ja - aber bitte ohne Bürger“, nennt Jeep das Verhalten und sieht darin eine „rot-grüne Strategie“. Das Interesse an der Meinung der Wähler scheine jenseits der alle fünf Jahre stattfindenden Wahlen eher gering ausgeprägt zu sein.
Die Anti-Gender-Initiative war fest davon ausgegangen, dass die Bürgerschaft nach der Hemmung nun die Verlängerung beschließt. „Ausgerechnet die Parteien, die sich gerade in den letzten Wochen am lautesten für die Demokratie ausgesprochen haben, behindern nun das Verfassungsrecht der Bürger auf direkte Teilhabe”, sagt Claudia Guderian, die sich als ehemalige PEN-Generalsekretärin für die Volksinitiative engagiert.
Grüne und viele Sozialdemokraten lehnen Initiative strikt ab
Allerdings hatten Grüne und viele Sozialdemokraten stets deutlich gemacht, dass sie die Initiative strikt ablehnen. Mit den Initiatoren werde es keine Verhandlungen geben, hatte der Grünen-Fraktionschef Dominik Lorenzen schon bei der Übergabe der Unterschriften betont. „Die Volksinitiative setzt sich dafür ein, jegliche Form geschlechtergerechter Sprache zu verbieten. Sie will Menschen von oben herab verordnen, wie sie zu denken oder zu leben haben.“
Auf Anfrage betonte nun auch der Sprecher der SPD-Fraktion, dass eine Auseinandersetzung mit den Argumenten der Initiative bereits über mehrere Monate hinweg stattgefunden habe und eine weitere Fristverlängerung nicht nötig sei. Bei anderen Volksinitiativen habe man Gespräche geführt, um gegebenenfalls zu einer Einigung zu kommen. Bei der Gender-Volksinitiative ist dies „nicht der Fall“, so Pressesprecher Felix Koopmann. „Unseres Erachtens liegen die Positionen zu weit auseinander. Sprache ist lebendig und entwickelt sich weiter. Nach Auffassung der SPD-Fraktion soll es jedem und jeder in Hamburg freigestellt sein, zu gendern oder dies nicht zu tun.“
Der Senat hat oft mit erfolgreichen Volksinitiativen verhandelt
Die Initiative sieht sich hingegen zu wenig gehört. Abgesehen von einem Gespräch, das sie eher als „Höflichkeitstermin“ wahrnahm, kam es nie zu Verhandlungen oder einer Kompromisssuche zwischen den Senatsparteien und den Gender-Gegnern.
Dabei waren Verhandlungen in der Vergangenheit nach vielen erfolgreichen Volksinitiativen üblich - der Initiative „Keine Profite mit Boden & Miete“ machte der Senat 2022 ebenso weitreichende Zugeständnisse wie dem Nabu, der 2018 erfolgreich Unterschriften in der Kampagne „Hamburgs Grün erhalten“ gesammelt hatte. Die Gender-Gegner, die laut Umfragen bis zu 80 Prozent der Bevölkerung hinter sich sehen, bekamen diese Gespräche nicht gewährt.
Die ersten Bundesländer gehen auf Distanz zum Gendern
Kritik übt Hans Kaufmann, ebenfalls Vertrauensperson der Volksinitiative. „Offensichtlich wollen die Regierungsfraktionen eine Abstimmung innerhalb der Ferien erzwingen, damit möglichst wenig Hamburger daran teilnehmen“, kritisiert er. „Dies entspricht nicht den demokratischen Gepflogenheiten und zeigt, dass der Senat offenbar ein klares Votum der Bürger fürchtet.“
Dabei war zuletzt Bewegung in die bundesweite Debatte gekommen. Die SPD Hessen hat sich in der Großen Koalition per Beschluss vom Gendern verabschiedet. Auch der einzige grüne Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann aus Baden-Württemberg lehnt das Gendern mit Unterstrich, Sternchen und Sprechpause strikt ab.
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Anti-Gender-Initiative zeigt sich zuversichtlich
Trotz der Entscheidung von Rot-Rot-Grün zeigt sich die Initiative „Schluss mit Gendersprache in Verwaltung und Bildung” zuversichtlich: „Wir werden trotz dieses gewollt ungünstigen Abstimmungstermins ausreichend Unterschriften für eine verständliche, diskriminierungsfreie Sprache ohne Sonderzeichen und Doppelpronomen sammeln“, sagt Jeep. Er verweist auf die Möglichkeit, durch Briefeintragung am Volksbegehren teilzunehmen. Die Unterlagen erhalten die Bürger auf Antrag rechtzeitig vor den Ferien nach Hause geschickt und können sie kostenfrei zurücksenden.
In einer Presseerklärung verwahren sich die Initiatoren zudem gegen Vorwürfe, homo- oder transphob zu sein: „Wir setzen uns ein für eine gendergerechte und zugleich verständliche Sprache, in der das Geschlecht nicht in den Vordergrund gestellt wird. Generische Begriffe erfassen alle Menschen, die ein gemeinsames Merkmal aufweisen, darunter Frauen und Männer ebenso selbstverständlich wie Non-Binäre“, heißt es da.