Hamburg. Der städtische Wasserversorger steht vor einer doppelten Herausforderung: Unwetter nehmen zu – zugleich gibt es mehr Trockenphasen.

Der 27. Juni 2024 könnte einen Vorgeschmack gegeben haben, was da auf Hamburg zurauscht. Am Nachmittag fielen im Stadtpark binnen 20 Minuten 47 Liter pro Quadratmeter – nördlich der Alster liefen Keller voll, der Mühlenkamp wurde zur Wasserstraße. Die Statistik von Hamburg Wasser nennt das ein Jahrtausendereignis – aber diese „Jahrtausendereignisse“ finden derzeit fast monatlich statt. „Die Ereignisse kommen viel häufiger, und darauf müssen wir uns einstellen“, sagt Hamburg-Wasser-Geschäftsführer Ingo Hannemann. Für ihn ist der Klimawandel schon Berufsalltag: Wie kann Wasser schneller versickern und trotzdem stets verfügbar sein? Wie lässt sich die Stadt für den Klimawandel ertüchtigen?

Besonders gefordert sind nun die Abwassersysteme, die für diese Regenmassen nicht ausreichen. Nach dem Großen Brand von 1842 holte die Stadt den britischen Ingenieur William Lindley nach Hamburg, um eine moderne Kanalisation zu schaffen, das Schmutzwasser zu bündeln und Regenwasser abzuleiten. Später baute die Stadt eigene Systeme nur für Regenwasser auf.

Abwasserautobahnen sollen bei Starkregen helfen

Trotzdem, so sagt der gebürtige Duisburger Hannemann, flössen noch erkleckliche Mengen von Mischwasser, also Schmutzwasser mit Regen vermengt, ins Klärwerk. „Wir haben in den letzten 30 Jahren ein zweites tiefliegendes Abwassersystem gerade im Kernbereich der Stadt gebaut. Das sind Abwasserautobahnen mit mehreren Metern Durchmesser. Sie helfen uns jetzt bei Starkregen.“ Doch der 54-Jährige schränkt ein: „Wir werden nie ein System haben, das komplett alle Ereignisse abdecken kann. Der Aufwand ginge ins Unermessliche.“

Die Herausforderung sei nun, Siele punktuell zu vergrößern, aber zugleich die Oberflächen in der Stadt klüger zu gestalten. Die Überschwemmung am Mühlenkamp im Juni kam nicht aus heiterem Himmel – die Starkregen-Gefahrenkarte hatte das Gebiet aufgrund seiner tiefen Lage als gefährdet ausgewiesen. „Auch die Städtebauer müssen aufpassen, dass solche Punkte idealerweise nicht mehr entstehen.“

Teiche, Rückhaltebecken und Zisternen sollen Wasser speichern

Zugebaute Flächen lassen sich nicht ohne Weiteres entsiegeln. Hannemann verweist auf eine Vielzahl von Möglichkeiten: Grünflächen könnten so gestaltet werden, dass Wasser dort versickern oder verdunsten kann. Teichanlagen entspannen die Siele ebenso wie Regenrückhaltebecken. „So lässt sich die Situation in gefährdeten Lagen über die Umgebung entlasten, weil weniger Wasser ins System rauscht. Das Ziel ist die Schwammstadt, die Wasser aufnimmt und speichert, damit es eben nicht über die Straßen oder durch die Siele fließt.“

Diese Schwammstadt hat einen weiteren Vorteil: Sie vermag nicht nur mit Unwettern besser fertig zu werden, sondern auch mit längeren Dürren. Jeder Hausbesitzer könne mithelfen: „Privatleute können sich eine Zisterne in den Garten bauen, um das Wasser vom Dach zu speichern. Im größeren Rahmen könnten Rückhaltebecken zum Beispiel Bewässerungswasser für die Stadtreinigung liefern.“

„Das Trinkwasser ist in der Qualität, die wir liefern, eigentlich viel zu billig“

Allerdings lohnt sich der Einbau ökonomisch wenig, sagt der Hamburg-Wasser-Geschäftsführer. „Wir stecken in einem Dilemma. Das Trinkwasser ist in der Qualität, die wir liefern, eigentlich viel zu billig. Aber wir wollen natürlich auch nicht die Kosten für das Wohnen treiben.“ Um den Verbrauch zu senken oder Investitionsentscheidungen für eine Zisterne zu erreichen, müsste der Wasserpreis deutlich höher sein. „Aber dann würden uns die Sozialpolitiker aufs Dach steigen.“

Insgesamt lebt die Stadt Hamburg – anders als andere europäische Metropolen im Klimawandel – fast auf einer Insel der Seligen. „Durch den Klimawandel bekommen wir in Norddeutschland, gerade nördlich der Elbe, im Winterhalbjahr mehr Niederschläge, dafür werden die Sommer auch mal trockener oder heißer. Die Grundwasserneubildung findet im Winter statt. Da mache ich mir wenig Sorgen: Alarmismus ist nicht angebracht.“ Insgesamt bezieht die Stadt ihr Wasser aus knapp 400 Brunnen, die überwiegend im Stadtgebiet liegen.

Hamburg Wasser betreibt jährlich rund 1000 Baustellen

Nur wenig fördere Hamburg in der Lüneburger Heide. „Die Trockenheit in den sandigen Heideböden rührt nicht von unserem Wasserbezug her, sondern ist dort natürlich gegeben“, sagt der Wahl-Lüneburger. Er wirbt um mehr Miteinander. „Infrastrukturentwicklung geht nur gemeinsam. Hamburg mit 755 Quadratkilometern und knapp zwei Millionen Menschen kann nicht nur aus sich selbst heraus versorgt werden. So wie das Umland von der Stadt profitiert, so muss auch die Stadt vom Umland profitieren dürfen.“

Unwetter mit Starkregen wie hier im Juni in Winterhude am Mühlenkamp sind eine Herausforderung für Hamburg Wasser
Unwetter mit Starkregen wie hier im Juni in Winterhude am Mühlenkamp sind eine Herausforderung für Hamburg Wasser © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Um Verständnis wirbt Hannemann auch bei den Hamburgern. Jährlich buddelt Hamburg Wasser auf rund 1000 Baustellen, wozu auch kleinere Rohrbrüche zählen. „Derzeit haben wir eine Größenordnung von etwa 30 Großbaustellen, wie etwa die Elbchaussee oder die Wellingsbütteler Landstraße.“ Tendenziell ist die Zahl zuletzt leicht gestiegen. „Weite Teile der Infrastruktur sind nach dem Krieg entstanden. Diese Leitungen kommen jetzt in die Jahre. Zudem gehen wir an die bis zu 180 Jahre alten Stammsiele in der Innenstadt heran. Von einem Sanierungsstau würde ich aber nicht sprechen.“

Ein Riesenerfolg der Stadt ist die saubere Alster

Wichtig sei, Infrastrukturmaßnahmen zu koordinieren. Der Eindruck wachsender Belastung stelle sich ein, weil für den Ausbau der Energienetze, aber auch manche Hochbauten derzeit vieles gesperrt sei. „Ideal wäre eine Welt ohne Baustellen, aber dann würden wir in 20 Jahren wieder anfangen, Häuschen mit Herzchen in den Garten zu stellen. Das will ja auch keiner!“ 

Der Vater zweier Teenager verweist auf große Erfolge in Hamburg: Dank vieler Investitionen hat sich die Wasserqualität deutlich verbessert, in der Alster beispielsweise kann man schwimmen. „Das war damals ein Anlass, Titelsponsor des Triathlons zu werden“, sagt der Hobbysportler. Die Wasserreinhaltung, die für die Olympischen Spiele in Paris mit großem Aufwand vorangetrieben wurde und dann doch nicht so klappte, ist in Hamburg längst Realität. „Das ist ein Erfolg der Entlastungsprogramme, die unsere Vorgänger in den Siebzigerjahren begonnen haben. Es gibt kaum noch Momente, in denen aufgrund starken Regens auch Abwasser mit in die Gewässer fließen.“

Der Wasserverbrauch pro Kopf soll langsam sinken

Warum aber erlaubt die Stadt dann nicht das Baden in der Alster oder schafft wie Kopenhagen öffentliche Badestellen? „Das liegt nicht in der Verantwortung von Hamburg Wasser“, sagt er und verweist auf Sicherheitsaspekte, gerade bei Großveranstaltungen auf dem Jungfernstieg.

Und wie sieht die Zukunft aus? Da Investitionen in neue Wasserwerke einen langen Vorlauf haben, befasst sich Hamburg Wasser schon heute mit dem Bedarf im Jahre 2050. „Wir sehen, dass der Verbrauch je Kopf leicht zurückgeht. Die Menschen gehen verantwortungsvoll mit Wasser um. Aber weil die Bevölkerung bis in die zweite Hälfte der Dreißigerjahre ansteigen soll, gehen wir von einem leichten Wachstum des Wasserbedarfs aus.

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Wird die Zukunft zwischen Trinkwasser und Brauchwasser trennen, etwa für die Klospülung? Hannemann zitiert Goethes Faust: „Zwei Seelen schlagen ach in meiner Brust!“ Die Wasserversorgung sei sicher und nachhaltig. „Wir entnehmen weniger als ein Fünftel der jährlichen Grundwasserneubildung im Einzugsgebiet für unsere Trinkwasserversorgung.“ Der Druck, Wasser zu sparen, ist also nicht so groß. Die Sparpotenziale erscheinen überschaubar. Die Toilette benötige rund 30 Liter am Tag, einmal duschen 40 Liter. Baut man sich dafür ein zweites Wassersystem ins Haus ein? Da ist Hannemann skeptisch: „Angesichts der Betriebskosten kann man das mit dem aktuellen Wasserpreis nicht hereinholen.“

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„Trinkwasser ist eigentlich zu billig“

Was wird aus Hamburg? Der Stadtentwicklungs-Podcast

Fünf Fragen an Ingo Hannemann

Meine Lieblingsstadt ist London. Zum ersten Mal bin ich dort mit 15 Jahren gewesen und seitdem immer wieder. London vibriert. Ich mag die vielen Parallelen zu Hamburg, angefangen bei William Lindley, der hier wie dort die ersten großen Wasserversorgungs- und Entwässerungsanlagen gebaut hat, über die Beatles, bis hin zur Mischung aus Tradition und Moderne.

Mein Lieblingsstadtteil ist Rothenburgsort. Dort befindet sich unsere Zentrale mit Blick auf den halb fertigen Elbtower. Man spürt die Entwicklung an Bille und Elbe, sieht den Wandel. Rothenburgort hat tolle Wasserflächen – und das wunderbare Café Gold von Entenwerder.

Mein Lieblingsort liegt im Hafen. Direkt am Köhlbrand verfügen wir über ein Bürogebäude. Wenn ich da in der oberen Etage sitze, bin ich mit den Containern auf Augenhöhe und fürchte manchmal, dass uns gleich ein Schiff rammt. Auch der Ausblick von unseren Faultürmen auf die Skyline von Hamburg ist grandios.

Mein Lieblingsgebäude ist die Laeiszhalle. Das ist ein toller Bau mit einer beeindruckenden Historie. Es zeigt, wozu eine Bürgergesellschaft mit großzügigen Stiftern in der Lage ist. Mein Vater, er ist Jahrgang 34, hat in Hamburg Schiffbau gelernt und als junger Mann die Musikhalle geliebt. Da schließt sich für mich auch ein familiärer Kreis.

Einmal mit der Abrissbirne... halte ich mich lieber zurück. Wir sind in Deutschland sehr gründlich und bauen Häuser, die theoretisch 500 Jahre halten können. Da sollten wir weniger abreißen. Aber die Pavillons auf dem Rathausmarkt halte ich nicht für gelungen. Mit einer anderen Gestaltung bekämen wir mehr Leben auf den Platz.