Hamburg. Hamburg Wasser plant Milliarden-Investitionen in Abwasserkanäle und Pumpen. Eine große Rolle spielen „alte Riesen“ aus der Kaiserzeit.

Wer an diesem Freitagmorgen in die Unterwelt an der St. Pauli Hafenstraße hinabsteigt, ahnt gar nicht, was dort am Vorabend los war. Gemächlich mit vielleicht 500 Litern pro Sekunde fließt das Abwasser durch die „Bootskammer“, die so heißt, weil dort vor 120 Jahren Kaiser Wilhelm per Boot die damals modernste Kanalisation des Kontinents inspiziert haben soll. Eine Parfümerie ist das immer noch nicht – aber in der Luft liegt auch kein Hauch von Drama mehr. Das war am Donnerstag anders.

Mehr als 7000 Liter pro Sekunde schossen da durch die Bootskammer, in der das Kuhmühlenstammsiel und ein Abzweiger des Geeststammsiels aufeinandertreffen. Statt 90 Zentimeter wie jetzt war der Wasserschwall 3,50 Meter hoch. Dass es nicht noch mehr war, lag nur daran, dass das angeschlossene Pumpwerk Hafenstraße nicht mehr bewältigen kann und Hamburg Wasser daher schon im Vorfeld Wasser umgeleitet hatte. Denn davon fiel in kurzer Zeit so viel vom Himmel wie selten zuvor in Hamburg. „Unsere Statistik sagt: Das war ein Regenereignis, wie es nur alle 10.000 Jahre einmal vorkommt“, sagte Hamburg-Wasser-Geschäftsführer Ingo Hannemann.

„Jahrtausendregen“: 47 Liter pro Quadratmeter in 20 Minuten – das gab es noch nie

„Jahrtausendregen“ stand auf einer Folie, die er dazu präsentierte. Das bezog sich zwar nur auf die Wahrscheinlichkeit, mit der so ein Ereignis auftritt und nicht darauf, wann das tatsächlich zuletzt der Fall war. Doch die 47 Liter pro Quadratmeter, die im Stadtpark innerhalb von 20 Minuten zu Boden gestürzt waren, spülten zumindest den bisher von Hamburg Wasser verzeichneten Rekord hinweg: Der lag bei 35,60 Liter, gemessen 2009 in Nienstedten.

Der Starkregen hatte in Hamburg ganze Straßen überflutet wie den Mühlenkamp in Winterhude.
Der Starkregen hatte in Hamburg ganze Straßen überflutet wie den Mühlenkamp in Winterhude. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Hochgerechnet wären das mehr als 140 Liter pro Stunde gewesen, so Hannemann: „Das hatte fast die Dimensionen des Ahrtals.“ Die Region in Rheinland-Pfalz war 2021 im Zuge von Starkregenfällen schwer verwüstet worden, mehr als 100 Menschen waren ums Leben gekommen. Im Vergleich dazu ist Hamburg sehr glimpflich davongekommen. Die Schäden an gefluteten Kellern und abgesoffenen Autos sind dennoch erheblich. Daher rückt erneut die Frage in den Mittelpunkt, ob die Stadt ausreichend auf solche Starkregenereignisse vorbereitet ist.

Hamburg Wasser befürchtet: „Was wir aktuell erleben, wird typisch werden“

Bei Hamburg Wasser geht man davon aus, dass dieser „Jahrtausendregen“ sich nicht erst in 1000 Jahren wiederholen wird, im Gegenteil: Das städtische Unternehmen erwartet vor dem Hintergrund des Klimawandels weitersteigende Regenmengen, die sich nicht gleichmäßig auf das Jahr verteilen werden. Vor allem in den Winterhalbjahren sei mit mehr Niederschlag zu rechnen, sagte Hannemann. Doch auch im Sommer könne der Niederschlag heftiger werden.

Die kaufmännische Geschäftsführerin Gesine Strohmeyer belegte das mit Zahlen. Während der Trinkwasserverbrauch der Hamburgerinnen und Hamburg seit Jahren rückläufig ist und trotz steigender Bevölkerungszahl auch von 2022 zu 2023 von 114,5 auf 113,9 Millionen Kubikmeter weiter sank, steigt die Abwassermenge kontinuierlich an, 2023 sogar kräftig von 153,4 auf 169,8 Millionen Kubikmeter. Das sei auf den „enormen Regen“ im vergangenen Jahr zurückzuführen, so Strohmeyer. 2023 sei insofern einerseits ungewöhnlich gewesen, andererseits habe es gezeigt, worauf sich die Stadt einstellen sollte. „Was wir aktuell erleben, wird typisch werden.“

Milliarden-Investition zur Vorbereitung auf Starkregen infolge des Klimawandels

Und weil das so ist, will Hamburg Wasser große Anstrengungen unternehmen, um vor allem das Abwasser-System auf Vordermann zu bringen. Rund 1,4 Milliarden Euro sollen bis 2027 investiert werden, davon rund 400 Millionen in die Trinkwasser-Versorgung und knapp eine Milliarde in die Abwasser-Netze und -Anlagen. Allein das aus den 50er-Jahren stammende Pumpwerk Hafenstraße soll bis 2029 für 110 Millionen Euro grundsaniert und erweitert werden. Von hier wird das gesammelte Abwasser Richtung Altona gepumpt und vor dort aus in einem Düker unter der Elbe hindurch zum Klärwerk Dradenau.

Die kaufmännische Geschäftsführerin von Hamburg Wasser, Gesine Strohmeyer, zeigte sich zufrieden mit den Zahlen für 2023.
Die kaufmännische Geschäftsführerin von Hamburg Wasser, Gesine Strohmeyer, zeigte sich zufrieden mit den Zahlen für 2023. © dpa | Markus Scholz

Die Probleme beginnen jedoch schon früher. Denn das Abwasser von nördlich der Elbe wird nach wie vor ganz wesentlich über wenige Stammsiele, die „alten Riesen“, an den Hafenrand geleitet. Und die sehen überwiegend noch so aus, wie sie zu Kaisers Zeiten auf rund 1000 Kilometer Länge in Handarbeit gemauert wurden. Rund 250 Kilometer davon, vor allem in der Innenstadt, müssen nun punktuell saniert werden, um die heutigen Abwassermengen sicher ableiten zu können.

Kapazität des Abwassernetzes wird um 30.000 Regentonnen erweitert

„Anders als es im Straßenverkehr der Fall ist, können wir unsere Abwassersiele nicht einfach komplett sperren, um daran zu arbeiten“, erklärte Hannemann. Daher habe man zunächst Ersatzkanäle gebaut, die „Abwasserautobahnen“, die das Wasser aus den Stammsielen aufnehmen können, während die „alten Riesen“ sukzessive saniert werden. Langfristig sei ein Parallelbetrieb der neuen und der alten Siele geplant, sodass sich die Kapazität des insgesamt 6000 Kilometer langen Netzes um bis zu 9000 Kubikmeter erhöhe, so Hamburg Wasser – das entspreche der Menge, die in 30.000 handelsübliche Regentonnen passe.

Ingo Hannemann, Geschäftsführer von Hamburg Wasser, sprach von einem „Jahrtausendregen“, der am Vortag über Hamburg niedergegangen sei.
Ingo Hannemann, Geschäftsführer von Hamburg Wasser, sprach von einem „Jahrtausendregen“, der am Vortag über Hamburg niedergegangen sei. © dpa | Markus Scholz

Eine Herausforderung ganz anderer Natur ist für Hamburg Wasser der Bau der U5: Nicht nur, weil Wasserleitungen umgelegt werden müssen, die der neuen U-Bahn im Weg wären. Sondern auch, weil wegen der offenen Baustellen für die Bahnhöfe Schwerlastverkehr in Straßen umgeleitet werden muss, unter denen Wasserleitungen verlaufen, die für diese Belastung nicht ausgelegt sind. Insgesamt 150 Millionen Euro wende Hamburg Wasser allein im Zuge des Projekts U5 auf, erklärte Hannemann.

Fußball-EM: Mit Halbzeitpfiff steigt der Wasserverbrauch in Hamburg um 50 Prozent

Eher kurios sind die Auswirkungen der Fußball-EM auf die Wasserversorgung: Mit dem Halbzeitpfiff vieler Spiele steige der Trinkwasserverbrauch sprunghaft um 50 Prozent an, erklärte Gesine Strohmeyer – offensichtlich, weil dann sehr viele Menschen mal schnell auf die Toilette gehen. Einen ähnlichen Effekt beobachte man mit dem Abpfiff. Probleme bereit beides aber nicht.

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Mit den Ergebnissen des abgelaufenen Jahres zeigte sich die kaufmännische Geschäftsführerin zufrieden. Hamburg Wasser habe seinen Umsatz von 624 auf knapp 630 Millionen Euro gesteigert und den Gewinn von 97,6 auf 109,8 Millionen Euro. 43,8 Millionen Euro entfielen auf den Trinkwasserverkauf – dieser rekordverdächtige Überschuss wird an die Stadt abgeführt. Die 65,2 Millionen Euro Gewinn aus der Stadtentwässerung würden hingegen reinvestiert – Bedarf gibt es ja reichlich. Ähnlich wie die Hochbahn mit ihren „Green Bonds“ will sich auch Hamburg Wasser künftig auf dem Markt für „grüne Investitionen“ mit Kapital versorgen. Einerseits wolle man damit gezielt klimabewusste Investoren ansprechen, andererseits erhoffe man sich auch bessere Konditionen, so Gesine Strohmeyer.

Hamburg Wasser: Wasserpreise in Hamburg sind noch moderat. Aber bleibt das so?

Wie sich die Wasserpreise künftig entwickeln werden, könne man nicht vorhersagen, hieß es aus der Geschäftsführung. Diese würden „im politischen Raum“ festgelegt. Ein Vergleich der Wohnnebenkosten durch den Bund der Steuerzahler hatte jüngst ergeben, dass die Kosten für Trink- und Abwasser in Hamburg relativ moderat sind. Ingo Hannemann räumte ein, dass man den rückläufigen Wasserverbrauch zwiespältig betrachte: „Da schlagen zwei Herzen in unserer Brust. Einerseits finden wir es gut, dass die Hamburger sensibel mit Trinkwasser umgehen. Aber es trifft uns natürlich auf der unternehmerischen Seite.“ Das steigende Abwasseraufkommen kann das nur bedingt kompensieren – denn für den zunehmenden Regen kann man keine Rechnung verschicken.