Hamburg. In einem Instagram-Video der Bundeszentrale für politische Bildung führt der Weg vom Sommermärchen 2006 in Deutschland direkt zur AfD.
„Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher“ – der Spruch von Albert Einstein fiel mir dieser Tage zur Europameisterschaft wieder ein. Nun weiß man, dass ein Teil der Fußballfans nicht die allerhellsten Kerzen auf der Torte sind: Da singen fremdenfeindliche Ösis ihr tumbes „Ausländer raus“ – gottlob jedenfalls nicht auf Sylt. Ein türkischer Spieler zeigt auf dem Feld einen rechtsradikalen Gruß, und auf den Tribünen des Balkan wird eifrig gezündelt. Rechte haben den Sport immer gern gekapert.
Da darf die AfD nicht fehlen. Sie lebt ihren Rassismus ungehemmt aus: Ihr Europa-Spitzenkandidat, Maximilian Krah, verunglimpft das deutsche Team als „Fremdenlegion“, „politisch korrekte Söldnertruppe“ und „Regenbogenmannschaft“, Björn Höcke stört sich an „Vielfalt statt Vaterland“. Angesichts dieser irren Töne sollte man erwarten, dass Linke ihren Frieden mit der deutschen Nationalelf machen und zumindest heimlich das pinke Trikot überstreifen.
Hamburger Kritiken: Ein Video der „Bundeszentrale für politische Bildung“ ist billigste Agitprop
Aber weit gefehlt. Im Netz kursiert ein Video der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB). Eigentlich hat sich die Bundesbehörde, angesiedelt bei der Bundesinnenministerin, der Information, der Demokratie und der Debatte verschrieben. Dort gibt es nicht nur kluge Publikationen und tolle Materialien für den Schulunterricht, sondern auch politische Bücher für lau. Eine so gute wie wichtige Institution. Eigentlich.
Leider üben sich dort einige auch in Agitprop: „Sind Poldi, Klinsi & Co. schuld am Rechtsruck in Deutschland?“, fragt die Moderatorin im BpB-Video. Und während man noch darüber nachdenkt, warum ausgerechnet ein Deutsch-Pole und ein Wahlamerikaner plötzlich Gaulands Väter sein sollen, wird die Antwort serviert: „Könnte was dran sein.“
Bildung auf Baumschulniveau mit Taylor Swift und Angela Merkel
Es folgt ein kurzer „Throwback“ ins Jahr 2006 mit allem, was in dem Jahr für diese Bundeszentralgebildete wichtig war: Angela Merkel ist Kanzlerin! Taylor Swift hat ihre erste Single herausgebracht! „Und Deutschland kennt man in der Welt vor allem für zwei angefangene Weltkriege und vielleicht noch den Mauerfall.“ Da kennt sich jemand nicht nur ganz toll mit Deutschland, sondern gleich in der ganzen Welt aus! Politische Bildung auf Baumschulniveau.
Im historischen Höllenritt geht es weiter: Bei der WM „durften die Deutschen wieder Flagge zeigen, ohne dass es irgendwie nationalistisch ist“. Irgendwie fängt irgendwann irgendwo der Irrsinn an: In drei Sekunden steuert die Bundeszentrale vom Sommermärchen direkt zur „nationalistischen Afterhour“ mit Pegida. Gut, das waren „etwas weniger als zehn Jahre“, aber wer in Geschichte so eilfertig ist wie die Moderatorin, lässt sich davon nicht beirren. Und Pegida war, na klar, erst der Anfang für die Radikalisierung der Rechten in Deutschland. Diese Hatespeach-History darf die Rote Flora verbreiten, aber doch bitte nicht die Bundeszentrale.
76 Sekunden, die ratlos und sprachlos machen
Es sind 76 Sekunden, die ratlos und sprachlos machen. Und, wie es bei Twitter so üblich ist, manche ziemlich zornig. Immerhin verlieren einige den Humor nicht: „Ich kann mich noch ganz genau daran erinnern, wie mich das Traumtor von Philipp Lahm im Eröffnungsspiel gegen Costa Rica radikalisiert hat“, schreibt einer.
Wir fragen uns derweil, welches Sommermärchen die Österreicher, die Franzosen, die Italiener, die Holländer, die Serben oder die Türken so radikalisiert hat. Aber vielleicht sollte man den Fußball, dieses schöne Spiel, gerade nicht den Welterklärern von rechts und links überlassen.
Hamburger Kritiken: Kann man Fußball zur Abwechslung mal positiv sehen?
Er gehört den vielen friedlichen Fans, die zusammen feiern und ertragen können, dass der eine gewinnt und der andere verliert. Wir sollten Fremdenhass und Selbsthass vom Platz stellen. Diese EM schreibt wunderbare Geschichten der Völkerverständigung. Und wer einmal genau hinschaut, sieht: Gerade viele Migranten können wunderbar mit der deutschen Fahne leben, sie stecken sie sogar ans Auto. Sie sind das neue Deutschland.
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Das alte Deutschland sind die Höckes, Krahs – und die Videomacher. Die Bundeszentrale für politische Bildung hat schnell gemerkt, welchen Unsinn sie da verzapft hat, und das Video gelöscht. „Die Veröffentlichung war ein Fehler“, sagt ein Sprecher. „Das Video entspricht inhaltlich und in der Umsetzung nicht den Qualitätsansprüchen.“
Einstein darf aufatmen: Man kann der Dummheit Grenzen setzen.