Hamburg. FDP-Spitzenfrau Treuenfels-Frowein kandidiert bei der Bürgerschaftswahl für die CDU. Es ist nicht der erste prominente Übertritt.

Der Wechselwähler ist den Meinungsforschern längst vertraut. In den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik waren die meisten Wähler treue Seelen, abhängig von Traditionen und Herkunft machten sie ihr Kreuz bei der immergleichen Partei. Erst mit dem Schwinden der traditionellen Milieus werden die Hochburgen geschleift, manche Wahlen bringen nun zum Teil erdrutschartige Veränderungen.

Tektonisch auffällig sind auch die drei Parteiwechsel der vergangenen Tage – nach dem Wechselwähler kommt nun der Wechselpolitiker: Zunächst lief die grüne Bundestagsabgeordnete Melis Sekmen zur CDU über. Sie war mit der Wirtschafts- und Migrationspolitik ihrer alten politischen Heimat nicht mehr einverstanden. Vor einigen Tagen wechselte der langjährige wirtschafts- und hafenpolitische Sprecher der SPD die Seiten – aus Protest gegen den Teilverkauf der HHLA an die weltgrößte Reederei MSC trat Joachim Seeler nun der FDP bei.

Für CDU-Spitzenkandidaten Thering ist der Übertritt ein großer Gewinn

Am Donnerstag gab es einen spektakulären Übertritt. Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein, Frontfrau der FDP im Bürgerschaftswahlkampf 2020 und lange Zeit die einzige Liberale im Hamburger Parlament, sieht ihre Zukunft bei der Union. Dass sich Dennis Thering, der CDU-Spitzenkandidat, über diesen Coup freut, ist nachvollziehbar.

Denn Treuenfels-Frowein, das zeigt ihr Direktwahlergebnis, ist für viele Stimmen gut. Mit der jüngsten Personalie kann sich Thering in der Rolle des echten Herausforderers bestätigt fühlen. Und möglicherweise sammelt er im März 2025 Stimmen potenzieller FDP-Wähler, die an einem Wiedereinzug der Elbliberalen zweifeln.

Treuenfels-Frowein wechselt Partei: FDP Hamburg kann mit dem Verlust leben

Trotzdem hört man bei der FDP kein Wehklagen und Zähneklappern: Das Verhältnis der Partei zu Treuenfels-Frowein hatte sich in der vergangenen Monaten deutlich abgekühlt. Die Mitglieder hatten sie bei ihrer Kandidatur für den Bundestag durchfallen lassen, sie selbst zuletzt wenig Interesse an der Arbeit ihres Parteivorstands gezeigt. Sie sieht für sich in der Union deutlich bessere Perspektiven. Mit Listenplatz 2 wohl zu Recht.

So ähnlich wurde auch der Wechsel der Grünen Sekmen in Mannheim gedeutet, die sich dort Hoffnung auf eine Direktkandidatur machen kann. Bei Jochen Seeler hingegen war es weniger der politische Ehrgeiz: Er hätte zu Jahresbeginn seinerseits noch für die SPD in die Bürgerschaft einziehen könnte, verzichtete aber wegen inhaltlicher Differenzen.

Parteiwechsel in Hamburg: Wachsende Nervosität bei den Ampel-Parteien

Die wachsende Wechselfreudigkeit hat viel mit den Verschiebungen im politischen Deutschland zu tun. Bei allen drei Ampelparteien ist die Nervosität groß – bundesweit kommen SPD, Grüne und FDP in Umfragen nicht einmal mehr auf ein Drittel der Stimmen. Wer schon länger wankt, springt jetzt. Es ist wie in Goethes Gedicht „Der Fischer“: Halb zog sie ihn, halb sank er hin.

Für die Parteiendemokratie ist das nicht unbedingt eine gute Nachricht: Denn es sind gerade die Grenzgänger, die Zweifler, die Andersdenkenden, die Debatten beleben und Parteien vor dem Abdriften bewahren können. Schon die Ausgrenzung – etwa von Boris Palmer bei den Grünen oder Thilo Sarrazin bei der SPD – war fatal. Parteien sollen Diskussionsräume sein, nicht Reinräume des Denkens.

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In Hamburg hingegen werden sich die Parteien weniger über diese grundsätzlichen Fragen den Kopf zerbrechen: Dennis Thering darf sich über den Coup und eine starke Frau in der männerdominierten Union auf Listenplatz 2 freuen. Und die FDP glücklich sein, dass es bei den Liberalen in Zukunft weniger Querelen gibt.